# taz.de -- CDU-SPD-Koalitionsvertrag in Berlin: Ein Ticket Richtung Abstellgle… | |
> Die künftige Koalition will das 29-Euro-Ticket verlängern – es ist | |
> fraglich, ob das klappt. Der SPD droht die erste Schlappe noch vor dem | |
> Start. | |
Bild: Könnten bald ausgedient haben: Ticketautomaten in der U-Bahn | |
In der Politik geht es darum, (Duft-)Marken zu setzen, auch Branding | |
genannt, und damit – um im Werbesprech zu bleiben – den Markenkern | |
anzupreisen. Mit Blick auf Berlins SPD fällt dabei sofort [1][das | |
29-Euro-Ticket auf], das die beiden Parteichef*innen Franziska Giffey | |
und Raed Saleh im Spätsommer 2022 aus dem Hut gezaubert und ohne Absprache | |
mit irgendwem auf die politische Agenda gesetzt hatten. | |
Obwohl der direkt betroffene Verkehrsverbund Berlin Brandenburg (VBB) große | |
Bauchschmerzen hatte, das Nachbarland ebenfalls und nicht zuletzt die | |
Grünen als inhaltlich zuständiger Koalitionspartner, setzte sich die SPD | |
durch. Das Ticket, nur gültig in Berlin, kam als leicht verspäteter | |
Nachfolger des bundesweiten 9-Euro-Tickets, und wurde sogar noch zweimal | |
verlängert. Am 30. April läuft es planmäßig aus. Denn am [2][1. Mai startet | |
das bundesweite „Deutschlandticket“ für 49 Euro.] | |
Das hält die SPD nicht davon ab, eine weitere Verlängerung zu versprechen. | |
Schon im Wahlkampf hatte die Partei entsprechende Plakate geklebt, | |
natürlich landete das Projekt auch [3][im diese Woche vorgestellten | |
Koalitionsvertrag]: „Mit einem unbefristeten 29-Euro-Ticket für alle wollen | |
wir den ÖPNV als klimafreundliches Fortbewegungsmittel noch attraktiver | |
machen. Wir streben dabei eine Lösung unter dem Dach des VBB an.“ Den | |
letzten Satz könnte man übersetzen mit: Wenn der VBB nicht will, dann | |
machen wir das eben ohne ihn. | |
Das 29-Euro-Ticket ist damit zwar längst nicht versprochen – dafür hätte es | |
„werden wir“ statt „wollen wir“ heißen müssen. Trotzdem ragt es aus d… | |
rund 1.000 Einzelvorhaben starken Wünsch-dir-was-Katalog mit dem Titel „Das | |
Beste für Berlin“ heraus. Es ist zum einen sehr konkret, zum anderen sehr | |
wichtig für die SPD-Führung, um sich selbst nach dem Schwenk zur CDU von | |
den Grünen abzugrenzen. | |
Denn zum SPD-Branding gehört in diesem Fall mehr: Der | |
Noch-Koalitionspartner wolle vor allem Verbote anordnen, Stichwort | |
autofreie Friedrichstraße. So unterstellt es die SPD den Grünen und deren | |
Verkehrssenatorin Bettina Jarasch. Die Sozialdemokraten möchten dagegen | |
„Anreize schaffen“, um Menschen weg vom Auto und hinein in Busse und Bahnen | |
zu locken. Sprich: Das 29-Euro-Ticket ist ein zentrales Argument, wie eine | |
Verkehrswende Marke SPD aussieht und warum die Partei angeblich mit den | |
Grünen nicht weiter regieren kann. | |
## Politik nach Gutsherr*innenart | |
Entsprechend nachdrücklich wirbt die Partei für das Ticket. „Ich gehe fest | |
davon aus, dass Brandenburg diesen Weg unterstützt“, sagte Saleh diese | |
Woche dem Tagesspiegel. Warum, blieb unklar. Bei der Vorstellung des | |
Koalitionsvertrags am Montag hatten Giffey und CDU-Chef Kai Wegner ihre | |
„guten Beziehungen“ in die brandenburgische Landesregierung herausgestellt, | |
dank derer das Ticket wohl durchgesetzt werden könne. Und nachdem die BVG | |
erklärt hatte, man könne das Ticket frühestens 2024 einführen, [4][hatte | |
Saleh im taz-Interview lapidar erklärt]: „Ich erwarte, dass man dafür eine | |
schnelle Lösung findet.“ Politik nach Gutsherr*innenart. | |
Doch mit dem VBB war klar ausgemacht, dass es eine weitere Verlängerung | |
nicht geben wird. Und auch die ersten Reaktionen in dieser Woche aus | |
Brandenburg sind ebenfalls sehr zurückhaltend. Die SPD hat es offenbar | |
überreizt. Darauf deutet auch hin, dass sie jetzt ausgerechnet die Grünen | |
für das vermutliche Scheitern verantwortlich macht: Deren Senatorin Jarasch | |
habe nicht entsprechend weiterverhandelt, erklärte Saleh. | |
Das ist natürlich wohlfeil, weil Jarasch Senatorin der rot-grün-roten | |
Regierung ist und nicht einer schwarz-roten. Sie hätte gar nicht die | |
Legitimität für entsprechende Verhandlungen. Das weiß auch der | |
SPD-Parteichef, aber es ist ihm egal – er versucht weiter, die Grünen als | |
Schuldige für das Ende von Rot-Grün-Rot öffentlich zu brandmarken. | |
## Die SPD-Basis stimmt über den Vertrag ab | |
Das muss er auch, denn sonst droht ihm von der Basis womöglich Ungemach: | |
Die darf noch bis 21. April über den Koalitionsvertrag abstimmen. Und wenn | |
eines der neuen Markenzeichen der SPD schon wankt, noch bevor dieser | |
Vertrag beschlossen ist – was heißt das für andere, nicht schon bestehende | |
Vorhaben von CDU und SPD? Ist Schwarz-Rot nur ein großes Luftschloss der | |
Parteiführung? | |
Insgesamt hat man nach gründlichem Lesen des Koalitionsvertrags den | |
Eindruck, dass die Zeit der Verhandlungen, die nur gut drei Wochen | |
dauerten, zu knapp war, um viele wichtige Details zu klären. Es musste halt | |
schnell gehen, um möglichst viel „Bestes“ für Berlin auf eine Liste zu | |
setzen. [5][So entstand ein Forderungskatalog,] der vor allem in den | |
wichtigen Bereichen Verkehr, Innen- und Sicherheitspolitik sowie | |
Klimaschutz eher oppositionelle Züge trägt. | |
Die Mitglieder der SPD haben nun die großartige Aufgabe, für sich zu | |
klären, ob das ausreicht, um sich in die Arme der CDU zu werfen. Ob es | |
reicht, die Marke ihrer Partei so zu stärken, dass sie bei den nächsten | |
Wahlen bereits 2026 nicht das häufige Schicksal der Juniorpartnerin in | |
einer „Groko“ erleidet und absäuft. Das 29-Euro-Ticket, sprich die | |
Verkehrswende Marke Schwarz-Rot, ist dafür der perfekte | |
Diskussionsgegenstand. | |
8 Apr 2023 | |
## LINKS | |
[1] /29-Euro-Ticket-in-Berlin/!5885028 | |
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[4] /SPD-Chef-zu-Koalitionsverhandlungen/!5921942 | |
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## AUTOREN | |
Bert Schulz | |
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