| # taz.de -- Streit um A 100 in Berlin: SPD findet die Autobahn-Ausfahrt | |
| > Die SPD stimmt auf ihrem Landesparteitag klar gegen den 17. Bauabschnitt. | |
| > Dessen Planungen hatte der Bundesverkehrsminister vor kurzem angeschoben. | |
| Bild: Protest am Samstag gegen einen Weiterbau der A 100 | |
| Berlin taz | Es war die letzte Debatte auf dem [1][langen Landesparteitag | |
| der SPD], und eigentlich auch die einzige an diesem Sonntag, die diese | |
| Bezeichnung wirklich verdiente. Am Ende sprach sich fast eine | |
| Zweidrittelmehrheit der Delegierten gegen den [2][Weiterbau der | |
| Stadtautobahn 100 durch Friedrichshain] aus. | |
| Die Entscheidung hat Signalcharakter in doppelter Hinsicht. Zum einen in | |
| die Partei hinein, weil die Berliner SPD seit Jahrzehnten um ihre Position | |
| zur A 100 gerungen hat; mehrfach war die Präferenz unterschiedlich | |
| ausgefallen. Nun scheinen sich die linkeren und jüngeren Kreisverbände | |
| durchgesetzt zu haben: Der erfolgreiche Antrag kam [3][aus dem Kreisverband | |
| Friedrichshain-Kreuzberg]. Zum anderen ist es ein Signal in Richtung Bund, | |
| denn dieser ist zuständig für den Bau von Autobahnen und finanziert ihn | |
| auch. | |
| Auslöser für die Diskussion um den 17. Bauabschnitt der A 100 von Treptow | |
| durch Friedrichshain bis Prenzlauer Berg war [4][die Entscheidung des | |
| FDP-geführten Bundesverkehrsministeriums], die Planungen dafür zu starten – | |
| entgegen den Vereinbarungen im Koalitionsvertrag der Ampel im Bund. Und | |
| während sich Berliner Linke und Grüne schon lange gegen die Autobahn | |
| aussprechen – 2011 scheiterte gar eine Koalition auf Landesebene mit der | |
| SPD unter anderem an diesem Streitpunkt – war die Position der | |
| Sozialdemokraten unklar. | |
| Im [5][Wahlkampf hatten sie eine Mitbestimmung der Bürger*innen] zur | |
| Vorbedingung für einen möglichen Weiterbau gemacht – ohne dass klar ist, | |
| wie diese Mitbestimmung überhaupt umgesetzt werden kann. Im rot-grün-roten | |
| Koalitionsvertrag von Dezember 2021 heißt es, dass in dieser | |
| Legislaturperiode die A 100 nicht weiter geplant wird, auch das ein | |
| Zugeständnis an die SPD. | |
| ## Neue Situation durch FDP | |
| Die Gegner*innen des Antrags aus Friedrichshain-Kreuzberg argumentierten | |
| dann auch, dass diese von Parteitagen abgesegnete Position nicht bereits | |
| nach einem halben Jahr wieder geändert werden dürfe. Doch sie hatten keine | |
| Chance in der emotionalen Debatte nach fast neun Stunden Parteitag. | |
| Durch den nicht in der Ampel-Koalition abgesprochenen Vorstoß des | |
| Bundesverkehrsministeriums sei eine neue Situation entstanden, auf die | |
| schnell und klar reagiert werden müsse, erklärten mehrere | |
| Unterstützer*innen. Zudem sei eine verlängerte Autobahn das letzte, was | |
| Berlin für die Verkehrswende bräuchte: Denn mehr Straßen erzeugten auch | |
| mehr Autoverkehr. Die Planungen für die Autobahn seien jahrzehntealt und | |
| längst überholt. | |
| Am Ende votierten 64,35 Prozent der Delegierten für den Antrag. Dieser | |
| fordert die SPD in Bund und Land auf, sich gegen den 17. Bauabschnitt | |
| einzusetzen. Vor allem soll das Land den Flächennutzungsplan ändern und für | |
| die Areale, die für den Autobahnbau vorgesehenen sind und frei gehalten | |
| werden, andere Nutzungen festschreiben, etwa Wohnungsbau, Urban Gardening | |
| oder Sportplätze. Auf diese Weise soll dem Bund die Möglichkeit genommen | |
| werden, die Strecke zu bauen. | |
| ## Tiefe Narben in der Stadt | |
| Derzeit laufen die [6][Arbeiten für den 16. Abschnitt der Autobahn], der | |
| nahe der Elsenbrücke über die Spree endet. Kostenpunkt: voraussichtlich | |
| mindestens 700 Millionen Euro. Wer von Norden mit der S-Bahn zum Neuköllner | |
| Hotelkomplex Estrel fährt, wo die SPD ihren Parteitag abhielt, passiert die | |
| brachiale Baustelle der Stadtautobahn 100, die einer tiefen Narbe im | |
| Gelände gleicht. Vielleicht hat auch dieser Eindruck dazu beigetragen, dass | |
| die Partei endlich die Ausfahrt gefunden hat. Denn die noch aufwändigeren | |
| Arbeiten durch das dicht bebaute Friedrichshain würden sich über Jahre, | |
| vielleicht Jahrzehnte hinziehen. | |
| Für Regierungschefin Franziska Giffey, die bei der Debatte nicht mehr | |
| anwesend war, ist die Entscheidung problematisch: Sie hatte sich im Vorfeld | |
| nicht gegen einen Weiterbau positioniert, sondern auf Zeit gespielt. | |
| Zusammen mit dem mageren Ergebnis bei ihrer Wiederwahl als Parteichefin – | |
| [7][auch ohne Gegenkandidat*innen kam sie nicht über 58,9 Prozent | |
| hinaus] – dürfte das zu Diskussionen in der Partei führen. | |
| Und noch ein weiterer erfolgreicher Antrag dürfte Giffey wenig in den Kram | |
| passen: Der Parteitag sprach sich dafür aus, schnellstmöglich mit der | |
| [8][Ausarbeitung eines Enteignungsgesetzes zu beginnen], sofern die vom | |
| Senat eingesetzte Kommission ein solches Gesetz für rechtlich möglich hält. | |
| Die Menschen, die mit großer Mehrheit für den Volksentscheid gestimmt | |
| hatten, würden einen solchen Schritt auch von der SPD erwarten, | |
| argumentierten die Unterstützer*innen. Die Kommission soll das Ergebnis | |
| ihrer Prüfungen Ende April 2023 veröffentlichen. | |
| Bausenator Andreas Geisel hatte noch versucht, diese Entscheidung zu | |
| verhindern. Natürlich müsse auch noch über die Finanzierbarkeit eines | |
| solchen Gesetzes diskutiert werden; allgemein wird mit Kosten in | |
| zweistelliger Milliardenhöhe gerechnet. Doch die Delegierten ließen Geisel | |
| abblitzen, ähnlich wie zuvor ihre Parteiführung bei der Wahl. | |
| Die Initiative Deutsche Wohnen und Co. enteignen feierte das Votum als | |
| einen „Richtungswechsel“. Allerdings gilt als unwahrscheinlich, dass die | |
| 13-köpfige Senatskommission unter Leitung der einstigen Bundesministerin | |
| Herta Däubler-Gmelin zu einer einheitlichen Empfehlung kommt. | |
| 20 Jun 2022 | |
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| Bert Schulz | |
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