| # taz.de -- Weiterbau der Berliner Stadtautobahn: Wahlkampfthema A100 | |
| > Rot-Rot-Grün hat das Thema A100 nur vertagt, nach dem September kommt es | |
| > wieder auf die Tagesordnung. Das Konfliktpotenzial ist riesig. | |
| Bild: Bei einer Demo gegen den Weiterbau der A100 im November 2020 | |
| Desaster im Dutzend“: So überschreibt der Bund für Umwelt und Naturschutz | |
| (BUND) eine aktuelle Veröffentlichung über geplante Autobahnen in | |
| Deutschland. Ein Worst-of drohender Betonschneisen, die Unmengen an Geld | |
| verschlingen, der Umwelt schaden und schlimmstenfalls mehr Verkehrsprobleme | |
| schaffen als lösen. | |
| Mittenmang dabei ist die Berliner [1][A100], genauer gesagt: der geplante | |
| 17. Bauabschnitt. Vier Kilometer lang wäre dieses – dann aber wirklich | |
| allerletzte – Stück der Stadtautobahn, es reichte vom Treptower Park bis an | |
| den Rand von Prenzlauer Berg und würde nach verschiedenen Schätzungen | |
| irgendetwas zwischen einer halben und einer ganzen Milliarde Euro | |
| verschlingen. | |
| Nicht auszuschließen ist, dass dieses dicke Ende der A100 auch im Wahlkampf | |
| wieder eine Rolle spielt. Der Mittelstreifen, um im Bild zu bleiben, | |
| verläuft nämlich quer durch die amtierende Koalition. Während Grüne und | |
| Linke den Weiterbau ablehnen, ist die SPD dafür, sie hatte sich aber bei | |
| den Koalitionsverhandlungen 2016 ein Moratorium abringen lassen. | |
| 2011 war das Zustandekommen eines rot-grünen Senats vor allem an dieser | |
| Frage gescheitert – damals ging es noch um den 16. Bauabschnitt zwischen | |
| Neukölln und Treptow. Der wird nun schon seit Jahren gebaut: Unter einer | |
| rot-schwarzen Koalition stand den Baggern bis auf den ohnmächtigen Protest | |
| von BürgerInnen nichts mehr entgegen. | |
| ## Es wird ungemütlich | |
| Der Abschluss der Arbeiten wird wohl auf das Jahr 2023 fallen. An der | |
| Straße Am Treptower Park, der Elsenstraße und der Puschkinallee, wohin sich | |
| der Autostrom dann ergießt, wird es dadurch noch viel ungemütlicher als | |
| jetzt schon. Das fürchten eigentlich alle: die KritikerInnen des geplanten | |
| 17. Bauabschnitts genauso wie seine BefürworterInnen, die schon immer genau | |
| mit diesem Argument dafür plädieren. | |
| „Erst mit dem 17. Bauabschnitt ist die volle Wirkung der Entlastung zu | |
| erwarten“, begründete 2015 der damalige Verkehrssenator Andreas Geisel | |
| (SPD) den Willen seiner Partei zum Weiterbau. Fragt man heute bei der | |
| Senatsverwaltung der grünen Senatorin Regine Günther nach, ist die Antwort | |
| eine gänzlich andere: „Der 17. Bauabschnitt der A100 würde tief in | |
| gewachsene Stadtstrukturen in Friedrichshain und Prenzlauer Berg | |
| eingreifen, Quartiere zerteilen und städtische Lebensqualität gefährden bis | |
| zerstören“, sagt Günthers Sprecher Jan Thomsen. | |
| Das Projekt biete keinen „verkehrlichen Nutzen für die | |
| [2][Mobilitätswende]“, denn es mache den Autoverkehr in der Stadt | |
| attraktiver, so Thomsen. „Das Ziel des Berliner Mobilitätsgesetzes ist das | |
| genaue Gegenteil, nämlich die Stärkung des Umweltverbunds aus ÖPNV, Rad- | |
| und Fußverkehr und zugleich die Entlastung der Straßen vom motorisierten | |
| Individualverkehr.“ Eine Autobahn würde „weniger die Kieze von | |
| Durchgangsverkehr befreien, sondern stattdessen wie ein Zubringer für | |
| insgesamt mehr Verkehr in der Stadt sorgen“. | |
| Das ist auch die Position, die Grüne und Linke im Wahlkampf vertreten | |
| wollen. Als „verkehrspolitischen Unsinn“ bezeichnet Grünen-Landeschef | |
| Werner Graf auf Anfrage eine erneute A100-Verlängerung. „Die Stadt der | |
| Zukunft muss endlich vom Menschen her gedacht werden, statt weiter vom | |
| Auto.“ Auch die Sprecherin des Linken-Landesverbands, Diana Buhe, | |
| bezeichnet den Weiterbau als „verkehrspolitisch nicht sinnvoll. Er führt zu | |
| keiner Entlastung und löst kein einziges Verkehrsproblem.“ Sie verweist auf | |
| einen Parteitagsbeschluss der Linken, der fordert, „alle verfügbaren | |
| Maßnahmen“ zu ergreifen, „um zu verhindern, dass die Bundesregierung den | |
| Weiterbau der A100 durch und unter Friedrichshain und Lichtenberg auch | |
| gegen den Willen des Landes Berlin planen und durchführen kann“. | |
| ## Dampfwalzen gegen den politischen Willen | |
| Denn zumindest theoretisch hat das Land Berlin beim Bau einer | |
| Bundesautobahn nicht viel zu melden – sogar noch weniger, seit mit dem | |
| Jahreswechsel die Planungsleistungen für deutsche Autobahnen nicht mehr | |
| stellvertretend von den Bundesländern ausgeführt werden, sondern von der | |
| neuen „Autobahn GmbH des Bundes“. Dass die Bundesregierung gegen den | |
| politischen Willen eines Landes die Dampfwalzen anrollen lässt, diese | |
| Vorstellung gehört dann aber doch eher ins Reich der Fiktion. Trotzdem ist | |
| das Projekt aus Sicht des Bundesverkehrsministeriums bereits „im Bau“, weil | |
| es den 16. und den 17. Abschnitt einfach zur untrennbaren Einheit | |
| umdefiniert hat. | |
| Zumindest rechnerisch gibt es aber in Berlin eine politische Mehrheit für | |
| den Weiterbau: Nicht nur die gesamte Opposition ruft danach, auch die SPD | |
| bekennt sich weiterhin dazu: „Die Verlängerung der Stadtautobahn A100 ist | |
| für uns Teil eines Gesamtkonzepts zur Verkehrsentlastung der umliegenden | |
| und innerstädtischen Quartiere, wo wir durch die Reduzierung von Verkehr, | |
| Lärm und Feinstaubbelastung mehr Lebensqualität schaffen wollen“, erläutert | |
| die Sprecherin des Landesverbands, Claudia Kintscher, die Beweggründe der | |
| SozialdemokratInnen. „Wir wollen nicht, dass sich Lkws weiter durch | |
| Neuköllner und Treptower Nebenstraßen schieben.“ | |
| Das, so Kintscher, sei „für die Verkehrssicherheit in den Kiezen genauso | |
| wichtig wie für die Umweltgerechtigkeit vor Ort“. Beiden Zielen sei die | |
| „Konzentration des Verkehrs auf einer Autobahn-Route, die sogar überdeckelt | |
| werden kann“, dienlich. Mit Blick auf die grüne Senatsverkehrsverwaltung, | |
| die den Bau des 16. Abschnitts quasi geerbt hat und nun mitverantwort, sagt | |
| Kintscher: „Wer die Autobahnweiterführung bis Treptower Park mitträgt, aber | |
| die Verlängerung bis zur Frankfurter Allee ablehnt, muss erklären, wie die | |
| Verkehre geleitet werden sollen.“ | |
| Dieselbe Begründung kommt von Tino Schopf, dem verkehrspolitischen Sprecher | |
| der SPD-Fraktion, und der sozialdemokratische Bürgermeister von | |
| Treptow-Köpenick, Oliver Igel, forderte unlängst in der B.Z. ganz | |
| unverblümt den nahtlosen Weiterbau. Er habe „bereits viel Zustimmung“ daf�… | |
| bekommen, so der Bezirkspolitiker. | |
| ## Der Weiterbau wird keine Probleme lösen | |
| Der verkehrspolitische Sprecher der Grünen im Abgeordnetenhaus, Harald | |
| Moritz, ist selbst Treptower und sieht das dennoch komplett anders: „Der | |
| 17. Bauabschnitt wird unsere Probleme nicht lösen“, so Moritz zur taz, | |
| „auch nicht die, die durch den 16. Bauabschnitt entstanden sind.“ Wichtig | |
| sei, dass es bis zu dessen Eröffnung ein funktionierendes Verkehrskonzept | |
| für den Bereich um den neuen Endpunkt gebe. Sollte sich herausstellen, dass | |
| Chaos drohe, weil die [3][Elsenbrücke] frühestens 2028 wieder vollständig | |
| über die Spree führt, müsse man „gegebenenfalls sagen: Die Autobahn bleibt | |
| zu, bis die Brücke steht.“ | |
| Moritz verweist auf den Antrag für einen Parlamentsbeschluss, den seine | |
| Fraktion gerade vorbereitet. Darin wird gefordert, den Bund zur Löschung | |
| des 17. Bauabschnitts aus dem Bundesverkehrswegeplan zu drängen. Zur | |
| Begründung wird angeführt, der Sektor Verkehr sei der einzige, dessen | |
| CO2-Emissionen im Vergleich zu 1990 absolut gestiegen seien. Angesichts der | |
| herrschenden Klimanotlage müssten diese Emissionen deutlich sinken. Das sei | |
| nur erreichbar, wenn der motorisierte Individualverkehr deutlich reduziert | |
| werde. Um den Antrag mitzutragen, müsste die SPD eine unerwartete | |
| Kehrtwende vollziehen. Dafür gibt es aber keinerlei Anhaltspunkte. | |
| Derweil fordert der Geschäftsführer des Berliner BUND-Landesverbands, | |
| Tilman Heuser, etwas, das unter den derzeitigen Rahmenbedingungen nach | |
| einer Quadratur des Kreises klingt: „Die Regierung des Landes muss dafür | |
| kämpfen, dass die für den Neubau reservierten Mittel für eine echte | |
| Verkehrswende in Berlin umgewidmet werden“, so Heuser. „Nur so werden sich | |
| die Verkehrsprobleme mit Umwelt- und Klimaschutz vereinbar lösen lassen.“ | |
| Eine solche Umwidmungsmöglichkeit ist derzeit aber nicht in Sicht. Würde | |
| das Projekt tatsächlich beerdigt, würden die dafür vorgemerkten | |
| Bundes-Millionen einfach anderswo zu Beton. | |
| 21 Feb 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Claudius Prößer | |
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