# taz.de -- Neubau von maroder A100-Brücke: Kann Autobahn denn Sünde sein? | |
> Das Planfeststellungsverfahren für die Rudolf-Wissell-Brücke auf der A100 | |
> soll bald starten. Angeblich steht alles im Einklang mit der | |
> Verkehrswende. | |
Bild: Das ist die neue Rudolf-Wissell-Brücke – wie sie der Computer errechne… | |
Eines will Andreas Imgartinger gleich klarstellen „Wir hören heute oft, man | |
brauche ja gar keine Autobahnen mehr. Wir sind der festen Überzeugung: Das | |
Gegenteil ist der Fall.“ Imgartinger ist Bereichsleiter Berlin des | |
Projektmanagers Deges, das Unternehmen plant im Auftrag der Autobahn GmbH | |
des Bundes den Neubau der Rudolf-Wissell-Brücke auf der Stadtautobahn. Das | |
Mammutprojekt steht kurz vor der Einleitung des Planfeststellungverfahrens, | |
am Dienstag informierte die Deges über den Stand der Dinge. Dabei wehren | |
sich die PlanerInnen strikt gegen den Vorwurf der Rückwärtsgewandtheit. | |
Viele Menschen ohne Auto kennen die Rudolf-Wissell-Brücke gar nicht. | |
Tatsächlich handelt es sich um einen knapp einen Kilometer langen Abschnitt | |
der A 100 am nordöstlichen Rand von Charlottenburg und – wie der | |
stellverretende Projektleiter James Kanyi im Pressegespräch betont – den | |
„drittmeistbefahrenen Autobahnabschnitt Deutschlands“. Darin liegt auch das | |
Problem, denn anstelle der 20.000 Kfz, die im Jahr 1960 täglich die damals | |
neue Brücke passierten, waren es 2019 fast 180.000. Entsprechend marode ist | |
das Bauwerk. | |
Der Ersatzneubau dieses „Sorgenkinds der Berliner Brückenlandschaft“ | |
(Imgartinger) geht in einem aufwendigen Verfahren vonstatten, denn die Lage | |
über der Spree lässt keine Umleitung solcher Verkehrsmassen zu. Also wird | |
zuerst eine neue Brücke etwas östlich des heutigen Verlaufs gebaut, auf die | |
vorerst alle Fahrspuren verlegt werden. Nachdem die heutige Brücke | |
abgetragen ist, entsteht dort ein zweiter, westlicher Baukörper. Es handelt | |
sich also künftig um eine Doppelbrücke. | |
Die soll keinesfalls eine Kapazitätserweiterung darstellen: Das ist der | |
Deges ganz wichtig, das sollte daher auch bei einer Publikumsveranstaltung | |
am Dienstagabend deutlich gemacht werden. KritikerInnen monieren | |
allerdings, dass die Ostbrücke zwei Meter breiter wird als eigentlich | |
notwendig, nur damit sie in der Übergangszeit den gesamten Verkehr ohne | |
eine Reduzierung der Fahrspuren aufnehmen kann. Bei der | |
Planungsgesellschaft ist man allerdings fest überzeugt, dass dieses | |
Vorgehen im Sinne der Mobilitätswende ist. | |
Schließlich gehe es darum, den Pendel- und den Lastverkehr aus den Kiezen | |
herauszuhalten, betont Andreas Imgartinger. Heute sei es schon so, dass | |
der marode Zustand immer wieder Teilsperrungen mit sich bringe – dann | |
suchten sich die FahrerInnen Ersatzwege durch Wohngebiete. Und auch wenn | |
der Kfz-Verkehr in der Zukunft abnehme – er werde auf absehbare Zeit weit | |
über dem Niveau liegen, das dem Bau in den 1950er Jahren zugrundegelegte | |
wurde. | |
## Die Preise explodieren | |
Wenn das Planfeststellungsverfahren im vierten Quartal dieses Jahres | |
startet, will die Deges die BürgerInnen so weit wie möglich im Boot haben. | |
Denn sollte es zu Klagen vor dem Verwaltungsgericht kommen, wäre die | |
Zeitplanung – mit einem Baustart frühestens 2025 – nicht zu halten. „Das | |
wäre dann Makulatur“, so Imgartinger. Deshalb hat sein Unternehmen den | |
Kontakt zu den KleingärtnerInnen gesucht, die dem Brückenneubau weichen | |
müssen (gut 60 von ihnen auf Dauer), deshalb legt Projektleiter Kanyi | |
großen Wert darauf, dass die AnwohnerInnen durch zeitgemäße Lärmschutzwände | |
künftig mehr Ruhe hätten. | |
Es gibt aber noch mehr Unwägbarkeiten: „Bei vielen Baustoffen und | |
Baunebenprodukten explodieren gerade die Marktpreise“, berichtet | |
Imgartinger. Beim Zement gehe es „rasant nach oben“, Europas größtes | |
Stahlwerk liege in Mariupol und ein Ölembargo gegen Russland werde sich auf | |
den Bitumen-Preis niederschlagen. Nicht zu vergessen: die durch die | |
Pandemie unterbrochenen Lieferketten aus China. Bei den veranschlagten 270 | |
Millionen Euro wird es nicht bleiben. | |
Eine Idee, die der Mobilitätswende im engeren Sinn entspringt, hat vorerst | |
keine Chance beim Neubau der Rudolf-Wissell-Brücke: das vom ADFC Berlin | |
eingebrachte [1][Projekt eines Radwegs, den man an das Bauwerk „hängen“ | |
könnte]. Technische Vorbilder dafür gibt es bereits, aber der Senat will | |
eine solche Extra-Querung nicht bestellen, weil sie im Radverkehrsplan | |
nicht auftaucht. Laut Imgartinger gibt es seitens der Deges keine | |
grundsätzlichen Bedenken dagegen. | |
Henning Voget aus dem ADFC-Landesvorstand, der die Idee entwickelt hat, | |
ärgert sich, dass die grüne Mobilitätsverwaltung diese Chance nicht | |
ergreifen will: „Es geht im Vergleich zum Gesamtprojekt um geringfügige | |
Zusatzkosten“, sagt er. Er hofft, dass die Politik bei den PlanerInnen | |
wenigstens eine Bauvorleistung bestellt – Haken, an denen sich irgendwann | |
der Zusatzweg montieren ließe. | |
18 May 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Verkehrswende-in-Berlin/!5713649 | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
## TAGS | |
Autobahnbau | |
Mobilitätswende | |
A100 | |
SPD Berlin | |
Verkehrswende | |
Verkehrswende | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Streit um A 100 in Berlin: SPD findet die Autobahn-Ausfahrt | |
Die SPD stimmt auf ihrem Landesparteitag klar gegen den 17. Bauabschnitt. | |
Dessen Planungen hatte der Bundesverkehrsminister vor kurzem angeschoben. | |
Verkehrswende in Berlin: Radfahren ist nicht eingeplant | |
Wenn Berlins längste Autobahnbrücke bald neu gebaut wird, soll sie auch zur | |
Radverbindung werden. So zumindest die Forderung aus den Reihen des ADFC. | |
Protest gegen Autobahn-Umbau in Berlin: 230.000 Fahrzeuge täglich | |
Das Autobahndreieck Funkturm ist einer der am stärksten belasteten | |
Knotenpunkte der Bundesrepublik. Und wird komplett umgebaut. Dies sorgt für | |
Ärger. |