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# taz.de -- Protest gegen Autobahn-Umbau in Berlin: 230.000 Fahrzeuge täglich
> Das Autobahndreieck Funkturm ist einer der am stärksten belasteten
> Knotenpunkte der Bundesrepublik. Und wird komplett umgebaut. Dies sorgt
> für Ärger.
Bild: Zu viel Verkehr für diesen Knoten: Hier soll bald umgebaut werden
Alles ist perfekt vorbereitet an diesem Abend Ende Februar: Das Ambiente im
Westhafen Event & Convention Center wirkt professionell und einnehmend,
und das dürfte von den Veranstaltern beabsichtigt sein. Wenn sie ihre Gäste
schon nicht überzeugen können, sollen die wohl zumindest ein bisschen
besänftigt nach Hause gehen, mit dem guten Gefühl, dass man sich um sie
kümmert.
Die rund 200 Menschen im Saal – am Tag darauf werden noch einmal so viele
erwartet – haben ein Problem mit der Gastgeberin, der Deutsche Einheit
Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH, kurz: Deges. Das Unternehmen, das dem
Bund und zwölf Bundesländern gemeinsam gehört, baut und saniert seit den
1990er Jahren Autobahnen in Deutschland. In Berlin wird die Deges unter
anderem ab 2023 die Rudolf-Wissell-Brücke – längste Brücke Berlins und
Nadelöhr des Autobahn-Stadtrings –, neu bauen. Ungefähr zur selben Zeit
startet sie ein paar Kilometer weiter südlich ein Megaprojekt: den
Komplettumbau des Autobahndreiecks Funkturm.
Das Dreieck verknüpft die A100, den Stadtring, mit der A115, der Avus. Es
ist einer der am stärksten belasteten Knotenpunkte der Bundesrepublik:
230.000 Fahrzeuge nutzen es täglich, darunter 12.000 Lkws, und der
Verkehrswende zum Trotz werden noch mehr prognostiziert. Das verschlungene
Bündel aus Auf- und Abfahrten zwischen ICC, Avus-Tribüne und S-Bahnhof
Westkreuz wurde Anfang der 1960er Jahre gebaut. Mittlerweile reichen die
ständigen Ausbesserungen, die seit Jahren stattfinden, nicht mehr aus: 1,9
Kilometer Autobahn mitsamt Verbindungsrampen sowie zwei Dutzend Brücken
müssen neu gebaut werden.
## Mehr Lärm und Gefahr
2018 begannen erste Untersuchungen, seit 2019 läuft die Entwurfsplanung.
Mittlerweile hat die Deges auch schon eine „Vorzugsvariante“ ausgetüftelt,
mit der sie dem strengen Katechismus ihrer Branche, den „Richtlinien für
die Anlage von Autobahnen“ (RAA), Genüge tun kann.
Es geht um Fahrbahnbreiten, Kurvenradien, Mindestabstände zwischen
Ausfahrten – alles Standards, die unterm Funkturm längst nicht mehr
eingehalten werden. Denn das Dreieck war ursprünglich für ein Zehntel des
heutigen Verkehrs vorgesehen. „Die heute im Autobahndreieck bestehenden
Verkehrsführungen wären mit einem Umbau nicht mehr genehmigungsfähig“, sagt
die Deges.
Dass bei diesem Rundumschlag unter anderem der Rasthof Avus verlegt werden
muss, ist den BesucherInnen der „Themenwerkstatt“ im Westhafen herzlich
egal. Es sind AnwohnerInnen aus der Siedlung Eichkamp, aber auch aus dem
Altbauquartier nördlich des Kaiserdamms und dem Westend.
Sie alle befürchten, dass die Pläne der Deges ihnen mehr Verkehrslärm und
Gefährdungen bescheren werden. Und sie haben, wie so oft bei Bauprojekten
dieser Größenordnung, das Gefühl, dass man ihre Sorgen als
Partikularinteressen abtut, als „Not-in-my-Backyard“-Forderungen, die den
Interessen der Allgemeinheit entgegenstehen.
Ein Wortführer der Aufgebrachten ist Falk von Moers. In seinem gemütlichen
Einfamilienhaus in der Eichkamp-Siedlung blättert der 62-Jährige in einem
dicken Aktenordner und legt dem Besucher von der taz eine Menge Pläne und
Skizzen vor, um die Befürchtungen der Anwohnerinitiative zu untermauern,
die hier etwa seit einem Jahr mobilisiert. „Das Autobahndreieck ist marode,
kein Zweifel. Aber die Deges hat eine völlig autobahnzentrierte Planung
gemacht“, sagt er. Eine Planung, die im Rückbau von insgesamt sieben Auf-
und Abfahrten gipfelt sowie im Bau einer ganz neuen Anschlussstelle an der
Jafféstraße, direkt am Rand der Eichkamps.
Von Moers zeigt eine Grafik, auf der die Verkehrsströme dargestellt sind.
Im Umfeld des Dreiecks Funkturm kreuzen sich zwei große Relationen:
Nord-Südwest und Nord-Südost auf den beiden Autobahnen sowie Ost-West auf
der riesigen Stadtschneise des Kaiserdamms und der Neuen Kantstraße. „Der
Übergang verläuft heute zu großen Teilen über den Messedamm, der alles wie
eine Schnalle verbindet“, erklärt er, „was den Vorteil hat, dass dort
niemand wohnt.“ Die neue Anschlussstelle dagegen liegt direkt neben der
Eichkamp-Siedlung, und in der parallel zur Jafféstraße verlaufenden
Waldschulallee befinden sich gleich mehrere Schulen, unter anderem die
Ernst-Adolf-Eschke-Schule für Gehörlose.
## Es wird voller und lauter
Kein gutes Umfeld für viel Verkehr, findet von Moers. Zumal nach
Einschätzung der Initiative die meisten AutofahrerInnen, die von Südosten
über die A100 kommen und nach Westen, etwa nach Spandau, wollen, diese
Ausfahrt benutzen würden. Als Alternative bliebe ihnen sonst nur die
Anschlussstelle an der Knobelsdorffstraße, die viel weiter nördlich liegt.
Allerdings fürchten auch dort die AnwohnerInnen, dass es bei ihnen durch
den Wegfall der Ausfahrten am Messedamm voller und lauter wird.
„Diese Planung verdrängt den Verkehr in die umliegenden Stadtstraßen“,
folgert Falk von Moers. Es werde dort zu mehr Staus kommen, Radfahrende und
FußgängerInnen würden noch stärker gefährdet als jetzt schon. „Von einer
strukturellen [1][Verkehrswende] kann hier nicht die Rede sein“, kritisiert
er, „Belange der Stadt werden nicht mitgedacht, und die Deges hat sich nach
einem Jahr Protest nicht einen Millimeter bewegt.“
Rund ein Jahr ist es nämlich her, dass den EichkamperInnen Männer in roten
Westen auffielen, die etwas vermaßen. Als klar wurde, worum es ging, begann
die Anwohnerinitiative, die Baugesellschaft und den Bauherrn, die
Verkehrsverwaltung, zu piesacken. Bundesautobahnen gehören zwar dem Bund,
in diesem Fall liegt die Planungshoheit aber noch bis 2021 beim Senat.
Ende Oktober stellte die Deges dann erstmals ihre Pläne der Öffentlichkeit
vor, und bis Mitte Februar dauerte es, dass auch Verkehrsstaatssekretär
Ingmar Streese sich den Fragen der Betroffenen stellte. Zufrieden waren die
allerdings nicht. Zehn Tage später riefen sie zu einer Demonstration auf,
an der mehrere hundert Menschen teilnahmen.
Immerhin: Das Bezirksamt steht den AnwohnerInnen zur Seite – obwohl es
neben Bund und Land hier kaum etwas mitzureden hat. Bezirksbürgermeister
Reinhard Naumann (SPD) und der für Stadtentwicklung zuständige grüne
Stadtrat Oliver Schruoffeneger präsentierten bei der Veranstaltung im
Februar eine Idee, wie die „gravierenden verkehrlichen, städtebaulichen und
freiraumplanerischen Nachteile“ des Umbaus deutlich zu verringern wären:
Sie besteht vor allem darin, die neue Anschlussstelle drei- bis vierhundert
Meter in Richtung ICC zu verschieben. Damit wäre die Eichkamp-Siedlung
halbwegs aus dem Schneider.
Das Problem: An der von Naumann und Schruoffeneger vorgeschlagenen Stelle
ist eigentlich zu wenig Platz, um Auf- und Abfahrten mit den geforderten
Radien anzulegen. Kein Problem, finden die Bezirkspolitiker: Dann wird eben
das Tempo so stark gedrosselt, dass der Verkehr auch auf den engeren Kurven
sicher rollt.
Nur noch 60 oder 70 Stundenkilometer auf der Strecke – statt aktuell 80 –
und auf den Zufahrten Tempo 50 statt 60. Bei „Einbettung in ein
Gesamtgeschwindigkeitskonzept“ sei das „ohne Verlust an Leistungsfähigkeit…
möglich, so der Bezirk, der darüber hinaus für die Beibehaltung der Zu- und
Abfahrten Messedamm im Bereich der Halenseestraße plädiert.
## Bei Stau durch die Siedlung
Wenig Begeisterung dafür bei der Deges: Der Vorschlag widerspreche den
Planungsgrundsätzen, auch in Bezug auf „die Geschwindigkeitsfrage“, so
Sprecher Lutz Günther zur taz. Weil kein ausgearbeiteter Entwurf des
Bezirksamts vorliege, sei eine abschließende Bewertung ohnehin „derzeit
noch nicht möglich“.
Das kommunizieren die Deges-PlanerInnen so auch an den „Themeninseln“ beim
Riesen-Workshop im Westhafen. Zwei weitere Entwürfe, die von Personen aus
dem AnwohnerInnen-Umkreis erstellt wurden, haben da noch schlechtere
Karten, im Gegensatz zu der präzise durchgerechneten Deges-Variante sind
sie kaum ausgearbeitet und mit der Hand gezeichnet – es standen dafür ja
auch keine Mittel zur Verfügung.
Besonders professionell wirkt allerdings auch das Simulationsprogramm
nicht, das die Deges für diesen Abend hat erstellen lassen. Der ziemlich
ruckelige virtuelle Gang durch die Eichkamp-Siedlung soll zeigen, wie sich
der Umbau dort optisch bemerkbar machen wird. Weil an der geplanten
Anschlussstelle auch mehrere Bahnstrecken unter der Avus hindurchführen,
muss das Fahrbahnniveau um vier Meter angehoben werden, damit die neuen
Aus- und Auffahrten noch drunterpassen. Hinzu kommt die Lärmschutzwand.
Missmutig betrachten einige Teilnehmer das Bild der hohen Mauer, die sich
an der Eichkampstraße erhebt. „Na, da freuen wir uns ja schon drauf“,
grummelt ein älterer Mann. „Mich stört die Wand nicht so sehr“, meint
dagegen eine jüngere Frau, „aber der Verkehrsfluss macht mir Sorgen. Wenn
Stau ist, werden am Ende alle durch unsere Siedlung fahren!“
## Die Stadt bleibt außen vor
Am Ende kann die aufwändige Beteiligungsveranstaltung die Bedenken von Falk
von Moers und seinen MitstreiterInnen nicht zerstreuen. „Die Stadt bleibt
weiter außen vor“, bilanziert anschließend der Arbeitskreis Verkehr des
Siedlervereins Eichkamp in einer Erklärung. Die Vorzüge der
Deges-Vorzugsvariante bestünden „nur darin, die RAA so streng wie möglich
einzuhalten.“ Fortschritte in Richtung einer veränderten Planung habe es
nicht gegeben, die Bedenken seien nicht zerstreut worden. „Alles in Allem
ein hoher Aufwand, der den Erwartungen nicht gerecht wurde.“
Bei der Deges sieht man das natürlich anders: „Aus unserer Sicht war die
Themenwerkstatt ein Erfolg“, sagt Sprecher Günther. „Sachbezogen“ sei der
Austausch gewesen, in einer – nun ja – „weitestgehend konstruktiven
Gesamtatmosphäre“. In den kommenden Wochen würden alle Vorschläge der
TeilnehmerInnen geprüft und die Planung weiterentwickelt.
Und die Senatsverwaltung? Die versucht es noch mal mit einem
Vermittlungsversuch: Wie Staatssekretär Streese auf der letzten Sitzung des
Verkehrsausschusses ankündigte, will man ein Gutachten in Auftrag geben, um
die vorgeschlagenen Alternativen zur Deges-Planung zu prüfen. Das werde
gerade vorbereitet, bestätigt Sprecher Jan Thomsen der taz. Sich von
vornherein auf die Seite der AnwohnerInnen schlagen, dass ist der Behörde
erst einmal zu heikel. Aber, so Thomsen: „Die Senatsverwaltung will ebenso
wie der Bezirk eine möglichst stadtverträgliche und anwohnerschonende
Lösung.“
4 Mar 2020
## LINKS
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## AUTOREN
Claudius Prößer
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