| # taz.de -- Verkehrswende und Kommunikation: Alles viel zu komplex | |
| > In Sachen Rad-Infrastruktur hat die Verwaltung die eigene Planung nicht | |
| > auf dem Schirm – oder ist überfordert, sie angemessen zu kommunizieren. | |
| Bild: Ein bisschen was tut sich ja beim Radwegebau, auch – wie hier – in Ne… | |
| Dank Mobilitätsgesetz und Verkehrswende geht’s gerade richtig rund beim | |
| Ausbau der Radinfrastruktur – na ja, einigermaßen. Was dabei immer wieder | |
| auffällt: Selbst dort, wo der beachtliche Aufwuchs von PlanerInnen-Stellen | |
| mittlerweile mit Personal gefüllt wurde, tut sich die Verwaltung schwer, | |
| den Überblick über die geplanten Maßnahmen zu behalten. Und auch bei der | |
| Transparenz im Umgang mit laufenden Projekten hapert es bisweilen | |
| erkennbar. | |
| Das mussten zuletzt Niklas Schrader und Kristian Ronneburg (beide Linke) | |
| erfahren, die sich mit einer parlamentarischen Anfrage an die | |
| Verkehrsverwaltung wandten. Thema: „Ausbau der Fahrradwege in Neukölln“. | |
| Die beiden Abgeordneten wollten unter anderem wissen, wie viele Kilometer | |
| Fahrradweg an welchen Straßen, mit welchen Schutzmaßnahmen und in welchem | |
| Zeitraum neu entstehen oder ausgebaut sollen, was das kostet und wie die | |
| Sicherheit der Radfahrenden während der Arbeiten gewährleistet wird. | |
| Interessiert waren sie außerdem an der Zahl der geplanten Fahrradparkplätze | |
| im Bezirk. | |
| Und so lautete die Antwort des Neuköllner Bezirksamts, die | |
| Verkehrsstaatssekretär Ingmar Streese weiterreichte: „Aufgrund der sehr | |
| komplexen Fragestellungen ist eine sachgerechte Beantwortung der Fragen | |
| kurzfristig nicht leistbar. Die Beantwortung erfordert eine umfassende | |
| Auswertung vieler Projektunterlagen und Daten von Bauvorhaben, | |
| einschließlich solcher, die schon länger abgeschlossen sind. Das Straßen- | |
| und Grünflächenamt führt hierzu keine gesonderten Statistiken in Form von | |
| Tabellen oder Datenbanken, die eine spezifische schnelle Auswertung im | |
| Hinblick auf diese Fragen zulassen würde.“ Mit anderen Worten: Wissen wir | |
| alles nicht genau und überfordert uns komplett. | |
| ## Gelegenheit verpasst | |
| Die Beantwortung von Anfragen wird unter Verweis auf zu hohen | |
| Rechercheaufwand immer mal wieder abgelehnt, oft ist das auch | |
| nachvollziehbar. Dass Schraders und Ronneburgs kleiner Fragenkatalog nicht | |
| einmal in Teilen zu bewältigen sein soll, überrascht dann aber doch, zumal | |
| Neukölln einer der wenigen Bezirke ist, die bereits beide | |
| Radverkehrs-Planungsstellen besetzen konnten. | |
| Das sieht auch Saskia Ellenbeck vom Netzwerk Fahrradfreundliches Neukölln | |
| so: „Dass weder Senatsverwaltung noch Bezirksamt eine kohärente Übersicht | |
| über die Radverkehrsprojekte führen, ist bedauerlich.“ Der Bezirk habe hier | |
| eigentlich die Gelegenheit verpasst zu zeigen, wo er aktiv ist und was | |
| Radfahrende in Zukunft erwarten könnten, findet sie. Allein: „Ein | |
| umfassendes Konzept mit konkreten Plänen und Maßnahmen ist nicht erkennbar. | |
| Das zeigt, wie sehr die Verkehrswende in Berlin immer noch Stückwerk ist.“ | |
| Auch bei der SPD ist man leicht frustriert über die Kommunikation der | |
| Verwaltung. Ihr Abgeordneter Andreas Kugler hatte nach einem Gespräch mit | |
| dem Allgemeinen Blinden- und Sehbehindertenverein Berlin (ABSV) ebenfalls | |
| eine Anfrage gestellt. Hier ging es um den Umbau der Karl-Marx-Allee in | |
| Mitte, der zurzeit erfolgt: Wenn der geschützte Radstreifen fertig ist, | |
| soll der von der Alexanderstraße rechts abbiegende Radverkehr über einen | |
| „Bypass“ hinter dem Haus des Lehrers diagonal dorthin geleitet werden. Der | |
| Radweg kreuzt also den an dieser Stelle extrem breiten Gehweg. | |
| Wie hier für die Sicherheit von Sehbehinderten gesorgt sei, die Räder nicht | |
| kommen sähen und meist auch nicht hörten? Staatssekretär Streese antwortete | |
| diesmal selbst: „Aufgrund der gegebenen Platzverhältnisse“ stelle der | |
| Bypass aus Sicht der Senatsverwaltung „eine vertretbare Lösung dar“, einen | |
| „für den Fuß- und Radverkehr gangbaren Kompromiss“. Denn anderenfalls | |
| würden Radfahrende „vermutlich vermehrt über den Gehweg abkürzen, um ohne | |
| Wartezeit auf die Radverkehrsanlage in der Karl-Marx-Allee zu gelangen“. | |
| Dank sogenannter taktiler Streifen sei die geplante Wegführung auch für | |
| seheingeschränkte Personen erkennbar. | |
| ## Schmale „taktile Streifen“ | |
| SPD-Mann Kugler hatte vom ABSV aber auch erfahren, dass genau diese | |
| „taktilen Trennstreifen“, die mit dem Stock ertastbar sein sollen, künftig | |
| wohl noch schmaler ausfallen werden als jetzt schon: Sie sollen von 35 auf | |
| 25 Zentimeter Breite schrumpfen. Das würde in den „Ausführungsvorschriften | |
| Geh- und Radwege“ zum Berliner Straßengesetz festgehalten – wohl als | |
| Reaktion auf die wachsende Raumkonkurrenz auf Straßen und Gehwegen. | |
| Die Antwort des Staatssekretärs auf Kuglers Frage, ob das wirklich mit den | |
| Interessen der Sehbehinderten vereinbar sei (und wenn ja, auf welchen | |
| überprüfbaren Erkenntnissen das beruhe), fiel schmallippig aus: Es sei | |
| „geplant, die Ausführungsvorschriften Geh- und Radwege an die neuen | |
| Regelungen des Mobilitätsgesetzes anzupassen“, aber „über konkrete Inhalte | |
| sind zum jetzigen Überarbeitungsstand keine Aussagen möglich“. „Sicher“… | |
| jedoch, dass die Belange mobilitätseingeschränkter Personen berücksichtigt | |
| würden. | |
| ABSV-Geschäftsführer Manfred Scharbach will das so gegenüber der taz nicht | |
| stehen lassen. Zwar heiße es immer, die Verbände würden in die Prozesse | |
| einbezogen – es würden ihnen aber lediglich bereits fortgeschrittene | |
| Planungsstände mitgeteilt. Scharbach bekräftigte, dass für seinen Verein | |
| der Bypass an der Karl-Marx-Allee – der erste dieser Art in Berlin –, keine | |
| zufriedenstellende Lösung sei. Das Argument, die Radfahrenden würden sonst | |
| ungeregelt die Abkürzung nehmen, findet Scharbach absurd: „Wie kann man | |
| allen Ernstes darauf kommen, ein Fehlverhalten positiv zu sanktionieren? | |
| Dazu muss man doch ein Rad abhaben!“ | |
| 19 Jan 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Claudius Prößer | |
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