# taz.de -- Enteignung unter Schwarz-Rot in Berlin: Ein Rahmen ohne Inhalt | |
> CDU und SPD haben sich zwar auf ein „Vergesellschaftungsrahmengesetz“ | |
> verständigt. Der Volksentscheid könnte so dennoch sabotiert werden. | |
Bild: Die Enteignungsini will sich nicht für dumm verkaufen lassen | |
Im Sondierungspapier der SPD, in dem die Aufnahme von | |
Koalitionsverhandlungen mit der CDU empfohlen wird, findet sich ein Satz, | |
der auf den ersten Blick irritiert: „Dem Volksentscheid ‚Deutsche Wohnen | |
und Co. enteignen‘ wird im Fall eines entsprechenden Votums der | |
Expertenkommission durch die Entwicklung eines | |
Vergesellschaftungsrahmengesetzes Rechnung getragen.“ | |
Wow, ein Enteignungsgesetz, könnte man denken. Das ist ja nun wirklich eine | |
Trendwende für CDU und SPD, deren Parteispitzen Enteignungen vehement | |
ablehnen – jedenfalls wenn es um Immobilienkonzerne und nicht um | |
Grundstücke für Kohlegruben und Autobahnen geht. Sebastian Czaja, Chef der | |
nun außerparlamentarischen Kleinpartei FDP, [1][polterte auch gleich], die | |
CDU knicke „ausgerechnet als Erstes bei Massenenteignungen ein“. Kommt nun | |
also der Sozialismus durch die Hintertür einer schwarz-roten Koalition? | |
Natürlich nicht, auch wenn zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht bekannt ist, | |
worin genau die Pläne von CDU und SPD bestehen. Vermutlich aber dürfte die | |
Crux in dem unscheinbaren Wortteil Vergesellschaftungs-rahmen-gesetz | |
liegen. Denn ein Rahmengesetz ist kein Umsetzungsgesetz. Geregelt wird | |
darin voraussichtlich nicht die Enteignung der Immobilienkonzerne, sondern | |
die spezifische Systematik, wie auf Landesebene überhaupt vergesellschaftet | |
werden kann. Passieren dürfte also zunächst gar nichts, kein | |
Immobilienkonzern müsste um sein Eigentum bangen. | |
## Volksentscheid tot? | |
Das klingt wieder mal wie ein Spiel auf Zeit: Ein solches Gesetz müsste | |
zunächst geschrieben werden, wobei man sich Zeit lassen könnte, schließlich | |
wird ja juristisches Neuland betreten. Dann müsste das Gesetz nach | |
Karlsruhe zum Bundesverfassungsgericht geschickt werden, wo es wieder für | |
etliche Monate liegen könnte. | |
Dabei darf bezweifelt werden, dass ein Rahmengesetz überhaupt nötig ist. | |
Denn der Artikel 15 des Grundgesetzes gibt ja bereits einen Rahmen für | |
Vergesellschaftungen vor. Zudem besteht die Gefahr, dass ein Rahmengesetz | |
die Vergesellschaftung von Immobilienkonzernen effektiv erschweren würde. | |
Als Erstes fallen könnte die von der Initiative gesetzte Grenze von 3.000 | |
Wohnungen, ab der Immobilienkonzerne derzeit als reif für die Enteignung | |
definiert werden. | |
Enteignung wäre dann kein Weg in eine Zukunft, in der das Leben der | |
Menschen nicht mehr der Kapitalverwertung unterworfen ist, sondern eine Art | |
Bestrafung für besonders mieter:innenfeindliches Verhalten. Die | |
Kriterien könnten aber auch so eng gefasst werden, dass Vergesellschaftung | |
praktisch unmöglich würde. | |
Ähnlich erklärte es Linken-Chefin Katina Schubert [2][im taz-Interview.] | |
Ein Rahmengesetz sei auch ein Zugeständnis der Linken gewesen, damit es zur | |
zwischenzeitlich gefundenen Einigung von Rot-Grün-Rot bei diesem Thema | |
kommen konnte. Die Linke habe aber laut Schubert auf einem zusätzlichen | |
Umsetzungsgesetz bestanden. | |
Auch sie wisse nicht, worauf sich CDU und SPD nun geeinigt haben. Schubert | |
warnte aber: „Wenn sie es so machen, wie es die SPD uns ursprünglich | |
vorgeschlagen hatte, dann wird es zu keiner Vergesellschaftung kommen. Der | |
Volkentscheid wäre faktisch tot.“ | |
## Enteignungsinitiative: „Politische Verarsche“ | |
Was ist wahrscheinlicher: dass CDU und SPD ihre Überzeugungen aufgeben oder | |
dass sie sich einer beliebten Politikkunstform bedienen, bekannt aus dem | |
Umgang mit der Klimakrise: Zu wirken, als würde man handeln, ohne | |
tatsächlich zu handeln? Nur so ließe sich politisch überleben und etwas | |
verhindern, wofür es einen direkten Auftrag – wenn auch keinen rechtlich | |
bindenden – des höchsten demokratischen Souveräns, des Volks, gibt: die | |
Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne. | |
Entsprechend wütend ist die Initiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen. | |
„Ein Rahmengesetz für etwas, das schon im Grundgesetz steht: Das ist | |
juristischer Quatsch und politische Verarsche“, sagte Gisèle Bekouche, | |
Sprecherin der Initiative. Jede Regierung habe den konkreten Auftrag zur | |
Vergesellschaftung der Bestände großer Immobilienkonzerne. „Wir lassen uns | |
von CDU und SPD nicht für dumm verkaufen“, so die Kampfansage der | |
Initiative an den wahrscheinlichen künftigen Senat. | |
In der Tat steht für die linken sozialen Bewegungen mit dem Volksentscheid | |
sehr viel auf dem Spiel. Die Kampagne hatte die gesellschaftliche Linke | |
bundesweit elektrisiert, weil ein realpolitischer Weg gefunden schien, | |
streng legal eine reale Machtverschiebung innerhalb des Kapitalismus | |
durchzusetzen. Ein Erfolg könnte eine Tür hin zu einer Welt öffnen, in der | |
demokratisch darüber entschieden werden kann, welche Bereiche des Lebens | |
vom Diktat privater Profitinteressen bestimmt – und welche demokratisch | |
selbstverwaltet werden. | |
Dass CDU und SPD dies verhindern wollen, entspricht den von der | |
marxistischen Staatstheorie gut erforschten Mechanismen: Dass nämlich | |
elementare Wirtschaftsinteressen im demokratischen Kapitalismus nicht zur | |
Disposition stehen. Ausgerechnet die SPD-Basis könnte dem aber noch einen | |
Strich durch die Rechnung machen, da sie über den fertigen | |
Koalitionsvertrag abstimmen darf. Die Genoss:innen sollten dabei | |
beachten, ob der Koalitionsvertrag [3][dem eigenen Parteitagsbeschluss] vom | |
Juni 2022 gerecht wird. Darin heißt es: „Im Falle eines positiven Votums | |
für die Möglichkeit einer Vergesellschaftung soll schnellstmöglich ein | |
Gesetz zur Umsetzung erarbeitet werden.“ | |
4 Mar 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://twitter.com/SebCzaja/status/1630978611795591172 | |
[2] /Reaktion-auf-GroKo-Plan-in-Berlin/!5916399 | |
[3] https://parteitag.spd.berlin/cvtx_antrag/transparenz-und-ernsthaftigkeit-de… | |
## AUTOREN | |
Timm Kühn | |
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