# taz.de -- Vergesellschaftung in Berlin: Prüfen, bis der Arzt kommt | |
> Der schwarz-rote Senat will trotz Expertenkommission noch ein weiteres | |
> Gutachten zur Enteignung. Kritiker werten das als Verzögerungstaktik. | |
Bild: Während der Senat noch prüfen lässt, bereitet die Initiative DW & Co. … | |
BERLIN taz | Das von der schwarz-roten Koalition angekündigte Rahmengesetz | |
zur Vergesellschaftung könnte in noch weitere Ferne rücken und damit auch | |
eine Enteignung der Bestände großer Wohnungsbesitzer. Denn wenn der | |
Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses am Mittwoch zusammensitzt, liegt ihm | |
auch [1][die Unterlage mit der rot gefärbten Nummer 1281] vor. Darin ist | |
von einem externen Rechtsgutachten die Rede, „das verfassungsrechtliche | |
Fragen eines Rahmengesetzes und grundlegende Überlegungen zur weiteren | |
Umsetzung umfassen soll“. Vorliegen soll das Gutachten „möglichst bis zum | |
dritten Quartal 2024“. Der Linke-Abgeordnete Niklas Schenker nennt das | |
„skandalös“. Der taz sagte er am Dienstag: „Wenn man eins und eins | |
zusammenzählt, ist das ein weiterer Versuch, den Volkswillen auszusitzen.“ | |
CDU und SPD hatten sich gleich zu Beginn ihrer Koalitionsgespräche im März | |
darauf geeinigt, ein Vergesellschaftungsrahmengesetz zu erarbeiten. Das | |
sollte nur für den Fall gelten, dass die parallel noch an ihrem Bericht | |
arbeitende, 2022 vom rot-grün-roten Vorgängersenat eingesetzte | |
Expertenkommission grünes Licht für die Enteignung großer | |
Immobilienbesitzer geben würde. Hintergrund ist der [2][erfolgreiche | |
Volksentscheid vom September 2021]: Der gab dem Senat vor, „alle Maßnahmen | |
einzuleiten, die zur Überführung von Immobilien sowie Grund und Boden in | |
Gemeineigentum zum Zwecke der Vergesellschaftung nach [3][Artikel 15 des | |
Grundgesetzes] erforderlich sind“. | |
Die CDU und auch viele in der SPD hofften im März merklich noch darauf, | |
dass die Kommission hohe Hürden dafür sehen und den Senat damit aus der | |
Umsetzungspflicht nehmen würde. Doch Ende Juni befand das von | |
Ex-Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) geführte Gremium, dass | |
eine Vergesellschaftung – also eine Enteignung gegen Entschädigung – | |
verfassungsrechtlich möglich wäre. | |
In der Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen, die den erfolgreichen | |
Volksentscheid auf den Weg gebracht hatte, ging man schon nach der ersten | |
Ankündigung eines Rahmengesetzes von einer Verschleppungstaktik aus. Nun | |
sieht man sich in dieser Annahme bestätigt: „Prüfen, prüfen, prüfen schaf… | |
keine einzige bezahlbare Wohnung“, sagte am Dienstag ihr Sprecher Achim | |
Lindemann – offenbar in bewusster Anlehnung an einen bei Schwarz-Rot oft | |
benutzten Satz: „Enteignen schafft keine einzige neue Wohnung.“ | |
Man brauche keine weiteren Gutachten und auch kein Rahmengesetz. „CDU und | |
SPD weigern sich, den Willen der Berliner*innen zu respektieren und die | |
Immobilienkonzerne endlich zu enteignen, damit die Mieten wieder bezahlbar | |
werden“, äußerte sich Lindemann. | |
Bausenator Christian Gaebler (SPD) hatte Ende August im | |
Stadtentwicklungsausschuss des Abgeordnetenhauses angekündigt, dass der | |
Senat in Kürze mit der Arbeit am Rahmengesetz beginnen werde. Unter Führung | |
von Finanzsenator Stefan Evers (CDU) sollten daran mehrere | |
Senatsverwaltungen mitwirken. | |
Bei Evers weist man die Vorwürfe der Verzögerung zurück. „Fest steht, dass | |
auch nach dem Vorliegen der Arbeitsergebnisse der Kommission wesentliche | |
verfassungsrechtliche Fragen zur Vergesellschaftung umstritten sind“, sagt | |
eine Sprecherin der Finanzverwaltung der taz. „Gründlichkeit geht auch in | |
diesem Fall vor Schnelligkeit.“ | |
Zumindest für die Vorsitzende der Expertenkommission, Däubler-Gmelin, ist | |
die Lage längst klarer. Sie hatte den Abgeordneten in der Ausschusssitzung | |
Ende August nochmals Kernpunkte ihres Abschlussberichts erläutert: dass auf | |
der Basis von Grundgesetzartikel 15 vergesellschaftet werden könne und dass | |
die Berliner Landesverfassung dem nicht entgegenstehe. Auch Sondervoten zum | |
Bericht änderten daran aus ihrer Sicht nichts: Die seien „nicht so zu | |
verstehen, dass man ein Gesetz nicht machen könnte“. | |
In der Ausschusssitzung äußerte sich Däubler-Gmelins [4][Kommissionskollege | |
Florian Rödl], Professor für Bürgerliches Recht an der Freien Universität, | |
auch [5][kritisch gegenüber dem geplanten Rahmengesetz] „Mir leuchtet das | |
Vorhaben einfach nicht ein“, sagte er. Seine Argumentation: Es bringe | |
nichts, allgemeine Grundsätze in ein Gesetz zu schreiben, das zudem nicht | |
bindend für ein folgendes Umsetzungsgesetz sei. | |
„Das ist ein ganz, ganz mieser Umgang mit dem Willen der Berliner“, sagt | |
der Linkspartei-Abgeordnete Schenker zum nun geplanten Gutachten. Er | |
erinnert an Rödls Einschätzung und hinterfragt, warum nun | |
verfassungsrechtliche Fragen eines schon im März angekündigten | |
Rahmengesetzes geprüft werden sollen. | |
Beim Berliner Mieterverein sieht man das kaum anders. „Der Senat behindert | |
eine schnelle Umsetzung des Volksentscheids“, sagt Geschäftsführerin Ulrike | |
Hamann-Onnertz, „das auffällige Schneckentempo der Koalition ist aus | |
unserer Sicht inakzeptabel.“ Wenn der Auftrag für das Gutachten erst im | |
Januar erfolgen soll, obwohl die Kommission ihren Bericht Ende Juni | |
vorlegte, dränge sich ihr ein Verdacht auf: bewusste Verzögerung „des | |
demokratischen Willens der Mehrheit der Wahlberechtigten“. | |
21 Nov 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.parlament-berlin.de/adosservice/19/Haupt/vorgang/h19-1281-v.pdf | |
[2] https://www.berlin.de/wahlen/abstimmungen/deutsche-wohnen-und-co-enteignen/… | |
[3] https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_15.html | |
[4] https://www.jura.fu-berlin.de/fachbereich/einrichtungen/zivilrecht/lehrende… | |
[5] /Debatte-ueber-Vergesellschaftung/!5953077 | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
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