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# taz.de -- Gutachten zu Vergesellschaftung: Enteignen ist machbar, Herr Nachbar
> Der schwarz-rote Senat will ein neues Gutachten zur Vergesellschaftung.
> Damit offenbaren CDU und SPD ein fragwürdiges Demokratieverständnis.
Bild: Die Enteignungsaktivist*innen geben alles – und werden doch nicht erhö…
Ich mach mir die Welt, widdewidde wie sie mir gefällt – das Lebensmotto von
Pippi Langstrumpf scheint auch im Berliner Senat angekommen zu sein. Oder
zumindest gutachten sie sich dort die Welt, bis sie ihnen gefällt. Doch was
bei der neunjährigen Autonomen und Anarchistin ein sympathisches
Lebensmotto ist, ziemt sich noch lange nicht für gewählte
Regierungsvertreter*innen. Denn in der harten Realität macht im
Gegensatz zu Astrid Lindgrens Kinderbuchwelt zwei mal drei eben nicht vier
und drei auch nicht neune.
So lustig die Vorstellung von Kai Wegner mit zwei roten Zöpfen und
gestreiften Kniestrümpfen auch sein mag, das Vorhaben der schwarz-roten
Koalition, ein neues Gutachten darüber einzuholen, ob Enteignungen großer
Wohnungsunternehmen rechtlich möglich sind, ist es ganz und gar nicht. Im
Gegenteil, es ist sogar brandgefährlich und zutiefst antidemokratisch.
Denn da die Mehrheit der Berliner*innen im Gegensatz zu Pippi
Langstrumpf keine eigene Villa besitzt, sondern sich nicht mal die Miete
für ihre Wohnung leisten kann, haben die Menschen von ihrem demokratischen
Stimmrecht Gebrauch gemacht und [1][für die Vergesellschaftung]
profitorientierter Immobilienkonzerne gestimmt. Das kann man blöd finden,
aber so ist das nun in einer Demokratie: Die Mehrheit entscheidet.
Das scheinen die vermeintlichen Sozialdemokrat*innen jedoch anders zu
sehen: In der Hoffnung, den erfolgreichen Volksentscheid dadurch aushebeln
zu können, hatten sie eine 13-köpfige Expert*innenkommission
durchgesetzt, die die rechtliche Machbarkeit dieses Vorhabens prüfen
sollte. Doch selbst [2][ausgewiesene Enteignungsgegner*innen] in dem
Gremium kamen nach einjähriger Prüfung nicht umhin festzustellen, dass das
Land Berlin [3][das laut Grundgesetz darf]. Mehr noch: Angesichts der
fehlenden Möglichkeiten zur Kontrolle des außer Rand und Band geratenen
profitorientierten Wohnungsmarktes ist dies auch verhältnismäßig.
## Missachtung von Wähler*innenwillen und Verfassung
Das war nun wahrlich nicht das, was sich die Enteignungsgegner*innen
von CDU, SPD und ihre Spezies aus der Immobilienlobby erhofft hatten. Aber
man kann es nicht oft genug sagen: Demokratie ist kein Wunschkonzert und
sowohl der Wähler*innenwille als auch die Verfassung müssen von
Regierungen respektiert werden. Wer das nicht tut, ist nichts anderes als
ein Verfassungsfeind. Und das Grundgesetz sieht Enteignungen laut Artikel
15 explizit vor, auch wenn dieser noch nie zuvor angewendet wurde.
Doch im Roten Rathaus scheinen sie keine allzu großen Anhänger*innen
der Demokratie zu sein. Anders ist nicht zu erklären, dass sie im kommenden
Jahr ein Rechtsgutachten einholen wollen, das die verfassungsrechtlichen
Fragen eines Gesetzes zu Enteignungen prüfen soll – also genau das, was die
Expert*innenkommission bereits gemacht hat.
Dass nun die Möglichkeiten eines Rahmengesetzes statt eines konkreten
Enteignungsgesetzes für Wohnungskonzerne geprüft werden sollen, ist dabei
nicht mehr als ein Feigenblatt: Entweder sind Enteignungen machbar – und
das sind sie – oder nicht. Und wenn sie das sind, ist das Grundgesetz der
„Rahmen“, dafür braucht es kein neues Gesetz. Und weil das so ist, sind
sowohl das Rahmengesetz als auch das neue Gutachten reine
Verschleppungstaktik, um den Willen von mehr als einer Million
Berliner*innen zu ignorieren. Eigentlich ein klarer Fall für den
Verfassungsschutz.
21 Nov 2023
## LINKS
[1] /Enteignungsvolksentscheid-in-Berlin/!5803784
[2] /Deutsche-Wohnen-und-Co-enteignen/!5840468
[3] /Gutachten-zu-Wohnungspolitik-in-Berlin/!5940303
## AUTOREN
Marie Frank
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