# taz.de -- „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“: Sabotage à la SPD | |
> In Berlin haben die Senatsparteien ihre Mitglieder für die Kommission | |
> „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ benannt. Die SPD setzt auf Gegner des | |
> Plans. | |
Bild: Ein breites Berliner Bündnis protestierte im Mai 2021 gegen Verdrängung… | |
Treffen sich zwölf Topjuristen und sprechen über Enteignung. Was anfängt | |
wie ein Witz, und am Ende womöglich auch einer wird, ist in Berlin bald | |
Realität. Ein halbes Jahr nach dem erfolgreichen Volksentscheid | |
[1][Deutsche Wohnen & Co enteignen], der für seine Forderung, die großen | |
privaten Wohnungskonzerne zu vergesellschaften, eine satte Mehrheit der | |
Berliner Wähler:innen hinter sich vereinigen konnte, kommt endlich | |
Bewegung in die Sache. | |
Dass der Volkswille zunächst an eine Expertenkommission delegiert wird, | |
darauf hatten sich die Regierungsparteien SPD, Grüne und Linke nach zähem | |
Ringen in ihren Koalitionsverhandlungen geeinigt. Doch Besetzung und | |
Ausgestaltung dieses Gremiums blieben unklar; und nicht nur die Initiative | |
DW Enteignen scharrte immer ungeduldiger mit den Hufen. [2][Nun aber haben | |
sich die Senatsparteien auf neun Expert:innen festgelegt], die ein Jahr | |
lang die Umsetzung prüfen sollen. Drei weitere kann die Initiative selbst | |
benennen. | |
Unter Leitung der ehemaligen Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin | |
(SPD) wird eine hochkarätig besetzte Kommission zustande kommen, die – im | |
besten Fall – Eckpunkte für ein Vergesellschaftungsgesetz erarbeiten soll. | |
Dass das gelingen wird, muss aber bezweifelt werden – und das liegt, wie so | |
oft, an der SPD, die kein Interesse an der Konfrontation mit den | |
Immobilienkonzernen und einer grundsätzlichen Umgestaltung des Berliner | |
Wohnungsmarkts hat. | |
Benannt hat sie drei konservative Verfassungsrechtler, deren Willen an | |
einem konstruktiven, auf Umsetzungsperspektiven fokussierten Dialog | |
bezweifelt werden muss. Neben dem ehemaligen, von der CDU benannten | |
Bundesverfassungsrichter Michael Eichberger sind das zwei explizite Gegner | |
der Initiative. Sowohl Christian Waldhoff, Professor für Öffentliches | |
Recht an der Humboldt-Universität, als auch sein Kollege Wolfgang Durner | |
von der Uni Bonn vertreten die These, dass die Berliner Verfassung einen | |
höheren Eigentumsschutz habe als das Grundgesetz und damit der | |
Vergesellschaftungsartikel 15 des Grundgesetzes hier nicht zur Anwendung | |
kommen könne. | |
## Affront gegen Mehrheitsentscheid | |
Ihre Benennung ist ein Affront von Bürgermeisterin Franziska Giffey und | |
Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) gegen den demokratischen | |
Mehrheitsentscheid und ein Gremium, das sich diesen Auftrag mit Respekt und | |
Ehrgeiz stellt. Da hilft es auch kaum, dass die weiteren Vertreter:innen, | |
darunter etwa Christoph Möllers, Verfassungsrechtler der | |
Humboldt-Universität und Florian Rödl, Verteidiger des Mietendeckels, mehr | |
oder minder große Sympathien für die erstmalige Anwendung von Artikel 15 | |
hegen. | |
Denn was nützt ihre Mehrheit, wenn sich drei juristische Schwergewichte mit | |
ihren Bedenken querstellen? Selbst wenn am Ende neun Kommissionsmitglieder | |
einen Weg sehen, den Versuch der Enteignung zu wagen, bleiben die Mahner, | |
auf die sich die SPD dann in ihrer Ablehnung, ein Gesetz zu verabschieden, | |
berufen kann. Mit der Aussicht, dass die Umsetzung ihrer Forderung noch | |
unwahrscheinlicher geworden ist, steht DW Enteignen nun vor einem Dilemma. | |
Soll sie sich an dem Gremium beteiligen und damit einem absehbaren | |
Scheitern eine größere Legitimation verleihen? Oder soll sie die Mitarbeit | |
verweigern und sich damit, allgemein als populistische Spinner, die nicht | |
in die Detailarbeit gehen wollen, beschimpft, ins Abseits stellen? Beide | |
Wege sind wenig attraktiv und doch sprechen jeweils Argumente dafür. | |
## Der Spagat | |
Gelingt es der Initiative, drei respektable Expert:innen zu gewinnen, | |
verschiebt sie die Mehrheitsverhältnisse in der Kommission deutlich | |
zugunsten jener Fraktion, die einen Weg suchen will, die gesetzliche | |
Möglichkeit mit dem Enteignungsbegehren in Einklang zu bringen. Zumindest | |
die Hoffnung auf eine Umsetzung bliebe so erhalten. Ihre | |
Vertreter:innen wären die Garantie, dass alles, was in der Kommission | |
passiert, auch öffentlich verhandelt wird. Die Initiative würde an | |
öffentlichem Standing gewinnen und Wissen abschöpfen. | |
Jetzt die Reißleine ziehen, statt ein Jahr Zeit zu vergeuden mit | |
Scheindebatten und einem absehbaren Scheitern, entspräche dagegen der Logik | |
einer selbstbewussten sozialen Bewegung, die sich nicht im politischen | |
Prozess zermahlen lassen will. Man wäre frei, der Kommission von außen | |
Feuer zu machen und zugleich als Motor für emanzipatorische, die | |
Eigentumsfrage stellende Initiativen über Berlin hinaus zu wirken. | |
## Sie kann sich nicht zurückziehen | |
Wenn die Initiative aber clever ist, gelingt ihr der Spagat. Will sie ein | |
mehrheitsfähiger Akteur in der Stadt bleiben, der [3][nicht nur | |
Unterstützung in linksradikalen Kreisen genießt], kann sie sich nicht | |
zurückziehen. Ein Großteil ihrer Wähler:innen würde nicht verstehen, | |
dass man nicht in den Konflikt geht und schon beim ersten schwierigen | |
Schritt, der für eine Umsetzung gegangen werden muss, kneift. Gleichzeitig | |
kann sie kämpferisch bleiben und sich auf den Moment vorbereiten, in dem | |
entweder schon die Kommission oder im Anschluss der SPD-geführte Senat die | |
Vergesellschaftung begräbt. | |
Die Initiative liebäugelt in diesem Fall offensiv mit einem neuen | |
Volksentscheid – dann nicht mit dem Auftrag an den Senat, ein Gesetz zu | |
erarbeiten, sondern mit einem eigenen Gesetzentwurf. Wer aber ein möglichst | |
unangreifbares Gesetz haben will, kann auf die Hinweise, die sich aus der | |
Kommissionsarbeit ergeben werden, nicht verzichten. Alles andere wäre | |
fahrlässig. Denn auf dem Spiel stehen nicht nur die Interessen von Berlins | |
Mieter:innen, sondern eine grundsätzliche antikapitalistische | |
Veränderungsperspektive. Für diese wäre es fatal, wenn am Ende das | |
Bundesverfassungsgericht das Gesetz kassiert und den Sozialisierungsartikel | |
15 für überholt erklärt. | |
24 Mar 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Volksbegehren-Deutsche-Wohnen-enteignen/!t5764694 | |
[2] /Expertengremium-fuer-DW-Enteignen-steht/!5843777 | |
[3] /Berliner-Linke-zu-DW-Enteignen/!5839504 | |
## AUTOREN | |
Erik Peter | |
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