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# taz.de -- Enteignungsdebatte in Berlin: Volkswille liegt auf Eis
> Auch wenn der Volksentscheid klar erfolgreich war: Wer auf Enteignungen
> in Berlin hofft, braucht nach wie vor Geduld.
Bild: Tanzender Enteignungs-Protest als Erinnerung vor dem Roten Rathaus
Berlin taz | Ende März ist der neue [1][rot-grün-rote Berliner Senat] 100
Tage im Amt. Doch die Bestände der großen privaten Immobilienkonzerne mit
mehr als 3.000 Wohnungen sind noch immer nicht vergesellschaftet. Na gut,
ganz so schnell hätten das die [2][57,6 Prozent der Wähler:innen, die bei
der Wahl Ende September für den Volksentscheid Deutsche Wohnen & Co
enteignen gestimmt hatten], wohl auch nicht erwarten können. Ein bisschen
mehr Dampf auf dem Weg zur Umsetzung von Volkes Wille aber hätte es schon
sein dürfen.
In ihren Koalitionsverhandlungen hatten sich SPD, Grüne und Linke darauf
geeinigt, als eine der ersten Amtshandlungen eine [3][Kommission
einzusetzen], der die „Prüfung der Möglichkeiten, Wege und Voraussetzungen
der Umsetzung des Volksbegehrens“ obliegen soll. Das Gremium freilich ist
ein Kompromiss zwischen den Parteien, die das Ziel des Entscheids teilen
(Linke), ablehnen (SPD) oder überfordert (Grüne) – für einen postulierten
eindeutigen Umsetzungswillen hat es also nicht gereicht.
Innerhalb von 100 Tagen sollte das Expert:innengremium die Arbeit
aufnehmen, doch zwei Wochen vorher sind die Parteien im Clinch und die
Initiative ungeduldig. Offen ist sowohl der konkrete politische Auftrag an
die Kommission als auch, wer dem Gremium letztlich angehören wird – und wie
viel Mitspracherecht jenen gebührt, die die Forderung gegen alle
Widerstände durchgekämpft haben. Um so saurer stößt den
Volksentscheidler:innen auf, dass sie noch auf eine Einladung ins Rote
Rathaus warten, während die Immobilienlobby bereits zwei Mal zu Gast sein
durfte.
## Das Lieblingsprojekt von Giffey
Das Lieblingsprojekt der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey und
ihres Stadtenwicklungssenators Andreas Geisel (beide SPD) – ein Bündnis für
Neubau und bezahlbares Wohnen – hat nämlich umgehend seine Arbeit
aufgenommen. Statt über die Enteignung spricht man hier über freiwillige
Selbstverpflichtungen beim Auspressen der Mieter:innen – wohlgemerkt,
mit Aktienunternehmen, deren Daseinszweck die Profitmaximierung, nicht die
Mieter:innenzufriedenheit ist. Die Hoffnung der SPD dabei: Mehr
Neubau – 25 Prozent davon laut Giffey „bezahlbar“, 75 Prozent dann wohl
eher nicht – und ein bisschen Zurückhaltung bei den Mieterhöhungen würden
das Problem des leergefegten und überteuerten Marktes lösen.
Daran aber glaubt weder die Initiative, noch dürfte es die Berliner
Mieter:innen überzeugen. Die Frage allerdings ist: Kommt es stattdessen
schlussendlich zur Enteignung? Der Weg dahin jedenfalls ist lang und die
Hürden zahlreich. Die Kommission, so viel gilt trotz der derzeitigen
Verspätung ihrer Vorbereitung als sicher, wird kommen. Die Linke sich hat
am vergangenen Wochenende auf ihrer Fraktionsklausur für eine
viertelparitätische Besetzung ausgesprochen, also das Vorschlagsrecht für
ihre Mitglieder durch SPD, Grüne, Linke und DW enteignen. Eine Mehrheit an
progressiven Stimmen sollte damit – aber auch bei einem möglichen anderen
Besetzungsverfahren – zumindest stehen. Tagen soll sie so weit wie möglich
öffentlich.
Der Initiative und der Linken ist es wichtig, dass die Debatte über die
konkrete Umsetzung einer Vergesellschaftung – die Bestimmung der
Wohnungsbestände, der Höhe der Entschädigung, die Form, in der die
sozialisierten Bestände verwaltet werden – möglichst öffentlich geführt
wird. Beide wollen über Aktionen und Konferenzen, parlamentarische Anträge
und Debatten oder über Gutachten und Fachbeiträge versuchen, das Ziel
mehrheitsfähig zu halten. Erst nach Abschluss der Kommissionsarbeit, die im
besten Falle Leitlinien für die Vergesellschaftung hervorbringt, könnte das
Parlament gesetzgeberisch tätig werden. Sollten sich die
Parlamentarier:innen tatsächlich dem Willen des Volksentscheids fügen,
stünde danach die gerichtliche Anfechtung.
Selbst im besten Fall werden also noch viele, viele Jahre vergehen, bis der
Grundgesetzartikel 15 über die Vergesellschaftung erstmals zur Anwendung
kommt und sich die Eigentümerstruktur des Wohnungsmarktes fundamental in
Richtung Gemeinnützigkeit verschiebt. Im Schlechten versandet das Ganze,
was einen neuen Anlauf der Initiative nach sich ziehen würde – oder es
endet damit, dass Richter:innen, den Artikel zu einem historischen Artefakt
hinunterstufen.
13 Mar 2022
## LINKS
[1] /Rot-gruen-roter-Senat-in-Berlin/!5823098
[2] /Deutsche-Wohnen--Co-enteignen/!5803072
[3] /Koalitionsverhandlungen-in-Berlin/!5813773
## AUTOREN
Erik Peter
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