| # taz.de -- Franziska Giffey über den Eierwurf: „Durch nichts zu rechtfertig… | |
| > Seit fünf Monaten ist Franziska Giffey Regierende Bürgermeisterin von | |
| > Berlin. Ein Gespräch über „Deutsche Wohnen enteignen“ – und gewalttä… | |
| > Protest. | |
| Bild: Seit Dezember ihr Arbeitsplatz: Franziska Giffey in ihrem Büro im Roten … | |
| taz: Frau Giffey, es kommt in Deutschland zum Glück sehr selten vor, dass | |
| Politiker*innen körperlich angegriffen werden. Sie wurden bei Ihrem | |
| Auftritt auf der DGB-Demo am 1. Mai niedergebrüllt und [1][mit zwei Eiern | |
| beworfen]. Was haben Sie in dem Moment gedacht? | |
| Franziska Giffey: Ich habe ja schon, als der Demonstrationszug an der Bühne | |
| ankam, damit gerechnet, dass auf dieser Veranstaltung irgendetwas passiert. | |
| Warum? | |
| Na, Sie spüren doch in so einer Situation die Aggression. | |
| Waren Sie nicht erschrocken: Man weiß ja nicht, ob es „bloß“ ein Ei ist, | |
| wenn da was geflogen kommt? | |
| Ja, es hätte auch ein Stein sein können … Ich war aber eigentlich schon | |
| vorher entsetzt darüber, dass es kaum möglich war, eine Rede zu halten, | |
| weil in den ersten Reihen so geschrien wurde. | |
| Betrachten Sie das als Einzelfall? | |
| Als Politikerin erlebe ich bisweilen einen Umgang, der nicht mehr unter den | |
| demokratischen Grundkonsens fällt, nach dem jeder seine Meinung offen | |
| vertreten kann, aber noch ein Austausch und gegenseitiges Zuhören möglich | |
| ist. Dazu gehört auch dieses Niederbrüllen: Gerade am Brandenburger Tor mit | |
| seiner Geschichte muss es doch möglich sein, sich respektvoll zu begegnen – | |
| und als Gast einer Veranstaltung eine Rede halten zu können. | |
| Ist das eine grundsätzliche Entwicklung in der Demokratie: Es wird lauter, | |
| es wird offensiver? | |
| Manche glauben, dass sie gewisse gewalttätige Aktionen nach dem Motto | |
| rechtfertigen können, der Zweck heilige die Mittel: „Unsere Gewalt ist in | |
| Ordnung, denn es ist doch gute Gewalt.“ Aber solche Aktionen sind durch | |
| nichts zu rechtfertigen. Ich habe manchmal den Eindruck, dass der Rahmen, | |
| in dem wir uns bewegen, nicht mehr klar ist. | |
| Die Gruppe, aus der am 1. Mai viel lauter Protest kam, bestand vor allem | |
| aus Unterstützer*innen [2][der Initiative Deutsche Wohnen & Co | |
| enteignen]. Gibt Ihnen das zu denken? | |
| Das impliziert ja, dass ich noch nie bemerkt hätte, dass andere Menschen in | |
| der Frage der Enteignung von großen Wohnungsbeständen anderer Meinung sind | |
| als ich. Ich verstehe das Anliegen der Initiative, und die Bezahlbarkeit | |
| von Wohnraum ist eines der wichtigsten Themen in der Stadt. Aber die | |
| Aggressivität, mit der hier ein Instrument – das der Enteignung – vertreten | |
| wird, finde ich nicht in Ordnung. Ich kann auch nicht nachvollziehen, wenn | |
| dem Senat vorgeworfen wird, dass wir den Volksentscheid missachten würden. | |
| Im Gegenteil: Wir nehmen ihn sehr ernst. Wir haben die Expertenkommission | |
| in den ersten hundert Tagen einberufen, die die Verfassungskonformität, | |
| Rechtmäßigkeit und die finanziellen Folgen prüft und danach eine Empfehlung | |
| an den Senat abgibt. | |
| Die unterschiedlichen Haltungen zum Volksentscheid gibt es ja auch | |
| innerhalb der Koalition. Letztlich muss der Senat entscheiden, ob es ein | |
| Enteignungsgesetz geben soll. Wird das die zentrale Bewährungsprobe für | |
| Rot-Grün-Rot? | |
| Wir haben in dieser Koalition einen gemeinsamen Weg gefunden: Das Verfahren | |
| mit der Expertenkommission ist fest verabredet. Das haben alle | |
| Koalitionspartner zugesagt. Auch Klaus Lederer … | |
| … der Vizeregierungschef von der Linkspartei, die sich massiv für ein | |
| Enteignungsgesetz starkmacht … | |
| … hat kein Interesse, mit einer rechtlichen Regelung, die nicht trägt, vor | |
| dem Bundesverfassungsgericht zu scheitern. | |
| Nun hat auch der grüne Fraktionschef Werner Graf erklärt, es gehe nur noch | |
| um das Wie und nicht mehr um das Ob einer Enteignung. Die Grünen waren ja | |
| bisher eher zurückhaltend … | |
| Mich hat das auch überrascht. Bettina Jarasch [die Vize-Regierungschefin | |
| der Grünen; d. Red.] hat sich bisher anders geäußert. Offensichtlich gibt | |
| es bei den Grünen ein großes Meinungsspektrum zu diesem Thema. | |
| Darum fragen wir uns ja: Wie soll die Koalition in diesem Punkt | |
| zusammenkommen? | |
| Man muss unterscheiden zwischen dem Anliegen und dem Umgang mit dem | |
| Volksentscheid. Das Anliegen ist bezahlbarer Wohnraum, und da kann ich | |
| Ihnen versichern: Das ist eines der Schwerpunktthemen der ganzen Koalition. | |
| Wir haben ja sogar in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung eine eigene | |
| Staatssekretärin, die für das Thema Mieterschutz eingesetzt wurde und auch | |
| für die Frage, wie wir die Wohnsituation verbessern können – zum Beispiel | |
| auch durch unsere Initiative für das gemeindliche Vorkaufsrecht, die wir im | |
| Bundesrat mit Hamburg eingebracht haben. | |
| Wie groß ist denn Ihr Rückhalt in der SPD in dieser Frage noch? Auch die | |
| Berliner Jusos haben sich gerade für Enteignungen ausgesprochen. | |
| Die SPD hat sich im Wahlkampf klar positioniert. Dem Koalitionsvertrag | |
| wurde mit über 90 Prozent der Delegierten des SPD-Landesparteitages | |
| zugestimmt. | |
| Da stehen viele Sachen drin – als Gradmesser für Ihren Rückhalt explizit | |
| bei der Enteignungsfrage dient das nicht. | |
| Es gibt doch einen eindeutigen Prozess: Die im Koalitionsvertrag | |
| vereinbarte Expertenkommission wurde eingesetzt, und nachdem die Initiative | |
| Deutsche Wohnen & Co enteignen [3][ihre drei Experten benannt hat], hat sie | |
| Ende April ihre Arbeit aufgenommen. Nun müssen wir der Kommission doch auch | |
| mal die Gelegenheit zum Arbeiten geben. | |
| Die große Herausforderung für den Senat sind aktuell die Folgen des Krieges | |
| in der Ukraine. Derzeit wird intensiv über die Kehrtwende des Kanzlers, | |
| ihres Parteigenossen Olaf Scholz, in Sachen Lieferung von schweren Waffen | |
| diskutiert. Können Sie das nachvollziehen? | |
| (überlegt) Wir hier in Berlin müssen uns ja vor allem mit den Folgen des | |
| Krieges beschäftigen. Wir tun, was wir können, um humanitäre Hilfen zu | |
| leisten, um Spenden zu organisieren und die Menschen, die in die Stadt | |
| kommen, aufzunehmen. | |
| Das beantwortet nicht die Frage. | |
| Ich bin mir sicher, dass sich niemand in der Bundesregierung diesen Schritt | |
| leicht gemacht hat und dass das sehr gut abgewogen wurde. Ich unterstütze | |
| den Kurs der Bundesregierung, alles, was möglich ist, zu tun, um der | |
| Ukraine in dieser Lage zu helfen. | |
| Scholz hat auch betont, das Ziel sei, dass sich der Krieg nicht ausweitet, | |
| also zum Beispiel nicht noch mehr Menschen aus der Ukraine fliehen müssen. | |
| Womit wir wieder bei Berlin wären – der Stadt, in der die meisten | |
| Geflüchteten erst mal ankommen. Wo stehen wir derzeit, was die Flucht | |
| angeht: Ist der Höhepunkt schon überwunden? | |
| Eine gute Frage, die wir aktuell nicht seriös beantworten können. | |
| Was sagen denn die Zahlen? | |
| Demzufolge war [4][der bisherige Höhepunkt bereits in den ersten Wochen], | |
| als bis zu 10.000 Menschen täglich allein in Berlin ankamen. Das war für | |
| uns eine große Herausforderung – einfach, weil die Strukturen für die | |
| Aufnahme, etwa das Ankunftszentrum im ehemaligen Flughafen Tegel – noch | |
| nicht aufgebaut waren. Jetzt hat sich das eingespielt, die Abläufe | |
| funktionieren gut, wir haben genügend Schlafplätze auch für die temporäre | |
| Unterbringung, und wir brauchen nicht mehr die große Messehalle. Und wir | |
| haben zu keinem Zeitpunkt Menschen in den Turnhallen untergebracht. Wir | |
| können allein über Tegel bis zu 10.000 Menschen am Tag versorgen. | |
| Wie viele kommen derzeit? | |
| Etwa 2.500 bis 3.000 täglich – wobei wir nicht alle versorgen und | |
| unterbringen müssen, weil einige in andere Städte weiterreisen. Die neue | |
| Herausforderung sind jetzt jene, die schon länger in Berlin untergebracht | |
| sind. Offiziell registriert sind rund 55.000, ich denke aber, es sind eher | |
| doppelt so viele in der Stadt: Sie suchen Arbeit, Sprachkurse, Kita- und | |
| Schulplätze für die Kinder. Für die Menschen stellt sich nach dem ersten | |
| Ankommen die Frage: Wie geht es jetzt weiter mit meinem Leben? | |
| Sollen sie sich darauf einrichten, hierzubleiben? Oder sollen sie sich | |
| daran orientieren, möglichst bald wieder zurückzukönnen? Was würden Sie | |
| raten? | |
| Wir wissen, dass sich sehr viele Menschen wünschen, schnell nach Hause | |
| zurückzukehren. Ob das möglich sein wird, ist aber fraglich. Deswegen ist | |
| jeder Tag, der hier mit Integration verbracht wird, ein guter Tag. Es gibt | |
| ja Menschen, die argumentieren: „Die Kinder sollen nicht sofort in die | |
| Schule gehen, weil sie schnell zurückkehren.“ Ich bin da anderer Meinung: | |
| Selbst wenn die Kinder in ein paar Monaten zurückgehen, lohnt sich jeder | |
| einzelne Tag Kita, Schule, das Kennenlernen anderer Kinder, das | |
| Deutschlernen und ein geregelter Tagesablauf. Wir sollten von Anfang an auf | |
| Integration setzen. | |
| Das ist eine klare Ansage. | |
| Wir haben jetzt die Chance, die Fehler, die in der Vergangenheit beim | |
| Umgang mit Geflüchteten gemacht wurden, zu vermeiden: Sie brauchen | |
| Berufsorientierung, ein Recht auf Arbeit, Sprachkurse, Kita und Schule. | |
| Dass Menschen, die in Not sind und nach Deutschland fliehen, so herzlich | |
| empfangen werden, sofort arbeiten dürfen, integriert werden sollen – das | |
| hätte man sich schon früher und für Geflüchtete auch aus anderen Ländern | |
| gewünscht. Wäre die aktuelle Situation nicht die Chance für einen | |
| generellen Wandel im Umgang mit Geflüchteten? | |
| Ich finde es absolut richtig, dass jeder, der hier lebt, auch arbeiten und | |
| eine Ausbildung und ein Studium aufnehmen darf. Das habe ich schon als | |
| Neuköllner Bezirksbürgermeisterin gesagt: Dass Menschen nicht arbeiten | |
| dürfen, ist einer der Gründe für viele Probleme bei der Integration. Wer | |
| nicht arbeitet, keine Ausbildung machen kann, hat nun mal weniger Chancen. | |
| Das ist nicht gut. | |
| Was ist Ihr Ziel? | |
| Wir müssen die Asyl- und auch die Einbürgerungsverfahren beschleunigen. Und | |
| wir müssen uns für die Geflüchteten, die nicht aus der Ukraine kommen, die | |
| auch eine Wohnung brauchen und sich auch um Integration bemühen, auch | |
| einsetzen und auch für sie Integration, Ausbildung und Arbeit fördern. | |
| 7 May 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Stefan Alberti | |
| Anna Klöpper | |
| Bert Schulz | |
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| Franziska Giffey | |
| Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
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| Franziska Giffey | |
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