# taz.de -- Landesparteitag in Berlin: Die SPD brüskiert ihre Führung | |
> Die Delegierten bestätigen Giffey und Saleh, aber keiner der beiden | |
> bekommt auch nur 60 Prozent. Dabei gab es keine Kontroversen auf dem | |
> Parteitag. | |
Bild: Bleibt Berlins Regierungs- und SPD-Landeschefin: Franziska Giffey | |
Berlin taz | In Berlins SPD haben inzwischen die Frauen das Wort, das | |
betont Franziska Giffey gerne auf [1][diesem Landesparteitag am Sonntag]. | |
Erstmals wird Berlin von einer Regierenden Bürgermeisterin geführt, drei | |
der fünf SPD-Mitglieder im Senat sind weiblich inklusive der | |
Innensenatorin. | |
Da passt ins Bild, dass – anders, als es die Tradition vielleicht gebieten | |
würde – Giffey [2][ihrem Co-Parteichef den politischen Heiratsantrag] macht | |
und nicht umgekehrt. „Wir haben uns gefunden“, sagt Giffey mit Blick auf | |
Raed Saleh und die Delegierten im Saal des Estrel-Hotels bei ihrer | |
Bewerbungsrede. Und fügt hinzu: „Die Zuversicht, mit der du das machst, die | |
finde ich großartig.“ Mehr Worte sind da fast überflüssig. | |
[3][Seit zwei Jahren] führen [4][Giffey] und Saleh, der auch | |
SPD-Fraktionschef im Abgeordnetenhaus ist, die Partei. An diesem Sonntag | |
stellen sie sich erstmals der Wiederwahl. Ihre Botschaft ist klar: | |
Geschlossenheit. Wenn alle – Partei, SPD-Fraktion, Senat, gere auch die | |
SPD-regierten Bezirke und natürlich die beiden Vorsitzenden – | |
zusammenarbeiten, dann sei die SPD stark. Ihr Beleg dafür: wie die beiden | |
die Partei aus dem Umfragetief geholt und im September 2021 erneut ins Rote | |
Rathaus geführt haben; und wie sie nun in der rot-grün-roten Koalition „SPD | |
aus einem Guss“ umsetzen würden, erklärt Giffey. | |
## Giffey holte 2020 noch fast 90 Prozent | |
Diese Botschaft reicht nicht aus für ein starkes Ergebnis. Ganz im | |
Gegenteil: Obwohl es keine Gegenkandidat*innen gibt, obwohl es bis zu | |
diesem Zeitpunkt keinerlei inhaltliche Auseinandersetzung gibt, stimmen | |
lediglich 58,9 Prozent der 268 Delegierten für Giffey. Saleh erreicht mit | |
57,4 Prozent ein ähnlich schlechtes Ergebnis. Beide hatten im Vorfeld mit | |
mehr Zustimmung gerechnet. 2020 hatte Giffey noch fast 90 Prozent geholt, | |
damals als Spitzenkandidatin. Immerhin gelang es den beiden | |
Parteichef*innen, den von ihnen ausgesuchten Kreis aus stellvertretenden | |
Parteivorsitzenden durch zu bekommen. | |
In ihren Reden bleiben Giffey und Saleh meist abstrakt, auch Attacken auf | |
politische Gegner*innen und Mitstreiter*innen in der Koalition | |
fehlen weitgehend. „Ich will keine weitere Gentrifizierungswelle, verdammt | |
noch mal“, sagt Saleh. „Wir wollen, dass die Menschen würdevoll leben | |
können mit dem Geld, das sie haben.“ Die SPD-Politik habe dazu beigetragen, | |
die Menschen zu entlasten, etwa durch gebührenfreie Bildung. | |
Erstaunlicherweise gehen weder Giffey noch Saleh näher auf [5][das | |
Wohnungsbündnis des Senats mit den großen Immobilienfirmen ein], das an | |
diesem Montag unterschrieben werden soll und ein Prestigeprojekt der | |
Regierenden Bürgermeisterin ist. Dafür kündigt Giffey an, die Vorherrschaft | |
der Grünen in den Innenstadtbezirken angreifen zu wollen. Mit welchen | |
Inhalten, sagt sie nicht – aber die Partei hat dafür eine Kommission | |
gegründet. | |
Ansonsten setzt Giffey auf die Strahlkraft der Stadt und Optimismus: „Wir | |
leben in der tollsten Stadt der Welt, es ist eine Ehre, dass wir als SPD | |
hier Politik machen können“, sagt sie. Und auch wenn Berlin vor einer | |
schwierigen Situation stehe mit der Klimakrise, steigenden Energiekosten, | |
der Integration von Geflüchten und vielleicht einem erneuten | |
Pandemiewinter, nütze es nichts, verzagt zu sein. „Wir sollten es schaffen, | |
miteinander zu lachen und mit Zuversicht auf das zu blicken, was wir | |
gemeinsam anpacken wollen.“ | |
An den Bund appelliert sie, die Länder beim Kampf gegen steigende Mieten zu | |
unterstützen, indem das von einem Gericht kassierte kommunale Vorkaufsrecht | |
wieder eingeführt wird. [6][Bundesbauministerin Klara Geywitz] als | |
Gastrednerin kann da freilich wenig Hoffnung machen. Einen möglichen | |
Mietendeckel erwähnt sie gar nicht erst; vielmehr sollten Gesetzeslücken | |
beim Mietrecht geschlossen werden, etwa wenn es um Ausnahmen für möblierte | |
Wohnungen geht. Und natürlich seien 400.000 neue Wohnungen pro Jahr | |
bundesweit weiter ihr Ziel – ob das erreichbar sei, darauf geht Geywitz | |
nicht ein. | |
Allerdings ist das unwahrscheinlich, nicht nur weil die Brandenburgerin | |
gegen Wirtschafts- und Finanzminister kämpfen muss, damit jene mit Blick | |
auf die Schuldenbremse die Neubauförderungen nicht zusammenstreichen; das | |
erwünschte Vorkaufsrecht kommt frühestens nach der Sommerpause ins | |
Kabinett, heißt es am Rande des Parteitags. Das trübt zugleich die | |
Aussichten für die Berliner Mietenpolitik. | |
Übrigens ist auch die Frauenquote der SPD gar nicht so berauschend – darauf | |
weist eine Rednerin nach dem Auftritt von Giffey und Saleh hin: Vier von | |
fünf SPD-Bezirksbürgermeister*innen sind Männer, auch die Quote bei den | |
Sozialdemokrat*innen in Bezirksparlamenten und dem Abgeordnetenhaus | |
sei noch längst nicht paritätisch. Immerhin nimmt der Parteitag Anträge an, | |
wonach künftig auch eine rein weibliche Doppelspitze möglich wäre. Bisher | |
musste immer ein Mann dabei sein. | |
19 Jun 2022 | |
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## AUTOREN | |
Bert Schulz | |
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