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# taz.de -- Wohnungsbündnis des Senats: Giffey baut auf Papier
> Einigung im Bündnis mit großen Wohnungsunternehmen: Mieter*innen
> erhalten Zugeständnisse, der Senat soll dafür Bauverfahren beschleunigen.
Bild: Auf dem Weg zum Handschlag mit der Immobilienwirtschaft
Berlin taz | Franziska Giffey wird es bei der für Montag vorgesehenen
Unterzeichnung als großen Erfolg verbuchen: Das von ihr maßgeblich
vorangetriebene [1][Bündnis für Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen] hat
sich am Mittwoch nach taz-Informationen auf ein ganzes Bündel an Maßnahmen
geeignet, um die Lage auf dem Wohnungsmarkt zu entspannen. Das Bündnis ist
eines der Prestigeprojekte der Regierenden Bürgermeisterin, die die
Wohnungsfrage zur Chefinnensache erklärt hatte. Sie sieht in dem Bündnis
auch einen Gegenentwurf zur von den Berliner*innen beschlossenen
Enteignung großer Wohnungsunternehmen.
Kooperation statt Konfrontation war stets Giffeys Mantra. Ob die Regelungen
dafür wirklich ausreichen, [2][bezweifeln] allerdings viele Expert*innen,
schließlich handelt es sich um freiwillige Zugeständnisse der großen
Immobilienfirmen. Und auch ob Berlin die im Gegenzug versprochenen
Zugeständnisse schnell umsetzen kann – etwa deutlich beschleunigte
Baugenehmigungen –, wird sich zeigen müssen.
Seit Januar hatte das Bündnis getagt, zuletzt am Mittwochmorgen. Neben
Vertreter*innen von Senat und Bezirken gehören ihm die Verbände der
Wohnungswirtschaft, große Wohnungsunternehmen wie Vonovia, sowie Verbände
wie der DGB, der Paritätische Wohlfahrtsverband und der Berliner
Mieterverein an. Eingebunden waren bei den Spitzengesprächen auch die
beiden Stellvertreter*innen von Giffey, Bettina Jarasch (Grüne) und
Klaus Lederer (Linke), nicht jedoch das Abgeordnetenhaus.
Weil es nicht um Gesetze geht, gelten die Regelungen auch nicht für alle
rund 1,9 Millionen Wohnungen, sondern für lediglich jene insgesamt 900.000
Wohnungen, die entweder im Eigentum des Landes – etwa 340.000 – oder der am
Bündnis beteiligten Wohnungsfirmen oder Genossenschaften sind.
## Versprechen der Unternehmen
Letztere verpflichten sich auf eine Reihe von Zugeständnissen. Künftig soll
die Hälfte im Rahmen der kooperativen Baulandentwicklung neu gebauten
Wohnungen an Menschen vergeben werden, die Anspruch auf einen
Wohnungsberechtigungsschein (WBS) 140 oder 180 haben. Erstere Gruppe mit
den geringsten Einkommen umfasst rund 30 Prozent der Berliner*innen, die
zweite etwa weitere 20 Prozent. Diese Menschen mit mittleren Einkommen
spielten in der Wohnungspolitik bisher nur eine geringe Rolle, was Giffey
nun ändern will. Die großen Wohnungsunternehmen mit mehr als 3.000
Wohnungen verpflichten sich, 30 Prozent der freiwerdenden Wohnungen an
Haushalte mit WBS-Anspruch zu vergeben. Auf Schufa-Auskünfte soll
„möglichst“ verzichtet werden.
Auch [3][Giffeys umstrittener Vorstoß], Erhöhungen der Nettokaltmieten –
Nebenkosten sind ausgenommen – zu verhindern, wenn damit die Miete mehr als
30 Prozent des Haushaltsnettoeinkommens ausmachen würde, findet sich in der
Einigung. Sie gilt aber lediglich bei Mieterhöhungen, also nicht bei
bereits überhöhten Bestandsmieten, und auch nur für Mieter*innen mit
WBS-Anspruch. Profitieren könnten davon etwa die Hälfte der Mieter:innen
von etwa 550.000 privaten Wohnungen, die das Bündnis vertritt: allerdings
nur wenn sie selbst nachweisen, dass ihr Einkommen durch eine Erhöhung
übermäßig belastet wird.
Bei den landeseigenen Wohnungen gilt bereits die Regel, dass die Miete
nicht mehr als 30 Prozent des Haushaltseinkommens betragen darf. Bisher
geht die Zahl der Anträge, sie zu senken, fast gegen null. Im Senat führt
man das auch auf mangelnde Information der Mieter*innen zurück und will
deswegen die teilweise Ausweitung auf die privaten Bestände mit einer
Aufklärungskampagne begleiten.
Das ursprüngliche Ziel, einen freiwilligen Mietendeckel für die Dauer der
Legislatur zu vereinbaren und Mieterhöhungen höchstens im Rahmen der
Inflation von 1 oder 2 Prozent zuzulassen, kommt nun in stark
abgeschwächter Form: Für WBS-Berechtigte sollen die Mieten bis Ende 2023
nur um 2 Prozent steigen. Zudem versprechen die am Bündnis beteiligten
Unternehmen, ab 2023 Mieten nur noch um maximal 11 Prozent innerhalb von
drei Jahren anzuheben. Die Senkung dieser Kappungsgrenze von derzeit 15 auf
11 Prozent ist auch ein Plan der Ampelkoalition auf Bundesebene.
## Berlins Geschenke
Berlin will im Gegenzug den Immobilienfirmen entgegenkommen, indem
Verwaltungsprozesse deutlich beschleunigt werden. So sollen
Bebauungsplanverfahren innerhalb von drei Jahren abgeschlossen werden,
bisher dauert es in der Regel mindestens doppelt so lange; die digitale
Bauakte und ein digitaler WBS kommen, und weitere Flächen für Neubau sollen
bereitgestellt werden. Für die Wohnungsbauförderung werde eine gemeinsame
Arbeitsgruppe mit der Wohnungswirtschaft aufgestellt, heißt es in dem
Papier.
Die Genossenschaften sollen vom Land Grundstücke in Erbpacht bekommen, um
bestenfalls 5.000 neue Wohnungen bis zum Ende der Legislatur 2026 zu
errichten; die Privaten sollen in dieser Zeit 60.000 Wohnungen errichten;
die landeseigenen 35.000. Damit will Rot-Grün-Rot sein Ziel von rund 20.000
neuen Wohnungen pro Jahr erreichen. Zumindest in diesem Jahr geht aber
selbst Bausenator Andreas Geisel (SPD) nicht davon aus, dass die Zielmarke
zu erreichen ist.
Und auch bei anderen Regelungen stellt sich die Frage von Anspruch und
Wirklichkeit. Im Detail strotzt die Vereinbarung von Ankündigungen und
politischen Initiativen, ohne klar zu machen, ob diese finanziell
untermauert sind oder ob dafür neue Stellen geschaffen werden.
Für Kritik dürfte sorgen, dass sich auch die Milieuschutzgebiete in der
Vereinbarung wiederfinden, das letzte scharfe gesetzliche Schwert, das dem
Land geblieben ist. Berlin könnte laut Papier hier „mögliche
Erleichterungen“ für „sozialverträgliche energetische Maßnahmen“ zulas…
auch soll eine Arbeitsgruppe Milieuschutz zusammen mit der privaten
Wohnungswirtschaft gebildet werden.
## Kaum Handlungsspielraum
Im Vorfeld der letzten Verhandlungsrunde hatten Vertreter*innen der
Koalition betont, dass angesichts der fehlenden gesetzlichen Möglichkeiten
der Handlungsspielraum der Regierung gering sei und deswegen jede noch so
kleine Möglichkeit genutzt werden müsse, den Berliner Wohnungsmarkt mit
seiner Leerstandsquote von lediglich 0,9 Prozent zu entspannen.
Reden sei besser als Nichtreden, hieß es selbst von den Linken, wo
allerdings ein guter Teil der Basis und die
[4][Wohnungsmarktexpert*innen der Fraktion der Vereinbarung kritisch
gegenüberstehen]. Die Linke konnte aber immerhin den Ausbau des Angebots
von Wohnungen für Wohnungslose und Geflüchtete durchsetzen. Und Bettina
Jarasch bilanzierte nach den Verhandlungen in einer Mail an die
Grünen-Fraktion: „Diese Vereinbarungen genügen bei Weitem nicht, um den
Wohnungsmarkt zu entspannen und dauerhaft für genug bezahlbaren Wohnraum zu
sorgen. Aber sie sind ein echter Schritt in die richtige Richtung.“
Auch Gabriele Schlimper vom Paritätischen Wohlfahrtsverband ist nicht
vollends zufrieden. „Aber die Ergebnisse sind zumindest unterhalb meiner
Schmerzgrenze“. Es sei durchaus etwas Besonderes gewesen, dass die
Wohlfahrtspflege mit am Tisch saß und Verbesserungen für Geringverdiener,
Wohnungslose und soziale Träger mitverhandeln konnte. „Natürlich sind das
nur Absichtserklärungen, aber viel besser als nichts“, so Schlimper.
Für nachhaltige Eingriffe in den Mietmarkt allerdings braucht es Regelungen
auf Bundesebene. So könnte die Ampelregierung den Ländern die Kompetenz
geben, eigene Mietendeckel zu beschließen und das Vorkaufsrecht der
Kommunen für Häuser wieder einsetzen. All das wären weitaus klarere und
wirksamere Mittel gegen Gentrifizierung als kleinteilige Vereinbarungen.
15 Jun 2022
## LINKS
[1] /Wohnungsbuendnis-fuer-Berlin/!5828798
[2] /Kritik-an-Giffeys-Wohnungsbuendnis/!5858079
[3] /Giffeys-30-Prozent-Idee/!5855151
[4] /Kritik-an-Giffeys-Wohnungsbuendnis/!5858079
## AUTOREN
Bert Schulz
Erik Peter
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