# taz.de -- Giffeys 30-Prozent-Idee: Nur eine Nebelkerze? | |
> Das Wohnungsbündnis könnte sich darauf einigen, dass Mieter maximal 30 | |
> Prozent ihres Einkommens für die Miete zahlen. Aber hilft das wirklich? | |
Bild: Schön wohnen kann man in Berlin – wäre nur die Miete nicht | |
Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) hat die Idee | |
formuliert, dass niemand mehr als 30 Prozent seines | |
Haushaltsnettoeinkommens für die Miete zahlen sollte. Dies „wäre fair und | |
eine nachvollziehbare Lösung für alle“. Wirklich? | |
Grundsätzlich ist es richtig und sozialpolitisch geboten, dass | |
Mieter:innen nicht den Großteil ihres Einkommens dafür aufwenden müssen, | |
wohnen zu dürfen. Dafür gilt die 30-Prozent-Faustregel schon lange; auch | |
Vermieter:innen schauen meist darauf, dass das Einkommen ihrer | |
potentiellen Neumieter:innen die geforderte Miete um das Zweifache | |
übersteigt. Wer einen höheren Anteil für die Miete zahlen muss, gilt als | |
finanziell überlastet, weil kaum Geld für den Rest des Lebens übrig bleibt. | |
Armut durch Miete – das ist für immer mehr Menschen ein Problem. In | |
deutschen Großstädten zahlt laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung | |
jeder zweite Haushalt mehr als 30 Prozent des Einkommens für die Miete, 12 | |
Prozent gar mehr als die Hälfte. Für einen Berliner Durchschnittsverdiener | |
mit 1.800 Euro netto liegt die Belastungsgrenze demnach bei 540 Euro; ein | |
Lehrer:innenpaar mit 5.600 Euro kann 1.680 Euro verkraften. | |
Woher kommt Giffeys Vorschlag eigentlich? | |
Diskutiert wird die 30-Prozent-Grenze im [1][Bündnis für Wohnungsneubau und | |
bezahlbare Mieten]. Das Gremium mit Vertreter:innen aus Politik, | |
Wohnungswirtschaft und Verbänden war vom rot-grün-roten Senat im Januar | |
eingesetzt worden, um die Wohnungskrise kooperativ zu bearbeiten – ganz | |
ohne Enteignung. Der Bündnisvertrag soll am 15. Juni unterzeichnet und am | |
20. Juni der Öffentlichkeit präsentiert werden. Der Vorschlag findet sich | |
im vorab bekannt gewordenen Abschlussdokument, das derzeit aber noch | |
politisch verhandelt wird. Demnach würden sich Vermieter:innen | |
verpflichten, „Erhöhungen, die zu Haushaltsbelastungen von mehr als 30 | |
Prozent des jährlichen Haushaltseinkommens führen, nicht durchzuführen“. | |
Weiterhin heißt es etwas nebulös: „Bei Überschreitung erfolgt die Absenkung | |
anteilig.“ Zur Ermittlung der 30-Prozent-Grenze sollen Wohngeld und | |
ähnliche Leistungen miteinbezogen werden. | |
Wie soll das denn konkret umgesetzt werden? | |
Alles beruht auf einer freiwilligen Selbstverpflichtung der im Bündnis | |
beteiligten Vermieter:innen. Ein Gesetz, also einen Rechtsanspruch für | |
Mieter:innen soll es nicht geben, dafür würde Berlin, ebenso wie beim | |
Mietendeckel, wohl auch die Kompetenz fehlen. Giffey spricht jedoch von | |
einem „geregelten Verfahren“, etwa einer „öffentlichen Mietpreisprüfste… | |
die die Höhe der Überschreitung feststellt und Mieterinnen und Mieter dabei | |
unterstützt, dagegen vorzugehen“. Unwahrscheinlich ist jedoch, dass es zu | |
einer automatischen Überprüfung aller Miet- und Einkommenshöhen kommt. | |
Stattdessen müssten Mieter:innen wohl selbst tätig werden. Fraglich ist | |
auch, für welchen Zeitraum sich die Vermieter:Innen überhaupt dem | |
30-Prozent-Ziel verpflichten würden. | |
Für wen würde eine Absenkung überhaupt in Frage kommen? | |
Die im Bündnis vertretenen Vermieter:innen halten etwa 1,1 der 1,6 | |
Millionen Berliner Mietwohnungen. Darunter sind aber auch alle kommunalen | |
Gesellschaften mit knapp 350.000 Wohnungen, bei denen es die | |
30-Prozent-Regelung, zumindest für WBS-Berechtigte, schon gibt. Blieben | |
etwa 750.000 Wohnungen, etwas weniger als die Hälfte des Gesamtbestandes, | |
bei denen die Belastungsgrenze neu zum Tragen kommen könnte. Ob viele | |
Mieter:innen selbst tätig werden würden, um ihre Miete abzusenken, muss | |
nach den Erfahrungen bei den kommunalen Gesellschaften bezweifelt werden. | |
2020 stellten bei ihnen nur 117 Mieter:innen einen Antrag auf | |
Mietabsenkung – ganze 0,3 Promille. | |
Ist die Idee also nur eine Nebelkerze, die kaum jemandem helfen wird? | |
Ursprünglich wollte der Senat mit der Wohnungswirtschaft über einen | |
freiwilligen Mietenstopp verhandeln. Zwei, drei Jahre, in denen die Mieten | |
nicht oder nur um ein Prozent angehoben werden. Zu diesem Zugeständnis sind | |
die privaten Vermieter:innen mit Verweis auf die Inflation aber nicht | |
bereit; der Weg ist laut Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) | |
„versperrt“. Dass stattdessen die 30-Prozent-Regel in der Diskussion ist, | |
bedeutet: Hierbei erwarten die Wohnungskonzerne deutlich weniger | |
finanzielle Einbußen – weil eben deutlich weniger Mieter:innen | |
finanzielle Zugeständnisse gemacht werden würden. Möglicherweise nur im | |
Promillebereich … | |
Welche Gefahren lauern bei dem Vorschlag? | |
Das größte Problem dürfte die Neuvermietung sein. Der Anreiz für | |
Vermieter:innen nur noch die allersolventesten Mieter:Innen zu | |
nehmen, deren 30-Prozent-Einkommensmarke möglichst hoch ist, steigt noch | |
einmal deutlich an. Von einer Benachteiligung einkommensarmer | |
Mieter:innen spricht die ehemalige Stadtentwicklungssenatorin Katrin | |
Lompscher (Linke). Giffey dagegen betont, die Belastungsgrenzen mit Quoten | |
für WBS zu kombinieren. Schwierig dürften sich aber auch viele Detailfragen | |
gestalten. Was etwa, wenn sich ein Mieter entscheidet, weniger zu arbeiten | |
oder plötzlich verdient? Oder umgekehrt: Droht die Gefahr von | |
Mietsteigerungen bis an die 30-Prozent-Grenze; zieht jede Gehaltserhöhung | |
also automatisch eine Mieterhöhung nach sich? | |
Am Ende gewinnt also die Wohnungswirtschaft? | |
Die politische Grundprämisse, Mieter:innen über freiwillige | |
Zugeständnisse der Konzerne zu helfen, geht nicht auf. Die Ergebnisse des | |
Wohnungsbündnisses werden weit hinter den Hoffnungen zurückbleiben, die vor | |
allem SPD und Grüne geschürt hatten. Die Grünen etwa wollten mit einem im | |
Wahlkampf präsentierten [2][Mietenschutzschirm] erreichen, dass | |
Vermieter:innen sich dazu verpflichten, die Mieten für fünf Jahre nicht | |
zu erhöhen, auf Umwandlungen in Eigentum zu verzichten und Neuvermietung | |
sozial auszurichten. Nichts davon kommt. | |
Was dann? | |
Berlins größter Vermieter Vonovia mit 160.000 Wohnungen in der Stadt, | |
[3][kündigte am Mittwoch an, wegen der Inflation die Mieten deutlich | |
anzuheben]. Die Rede war von vier Prozent. Die Aktionäre, denen im | |
vergangenen Jahr eine Rekorddividende von 1,3 Milliarden Euro ausgezahlt | |
wurde, werden sich über diesen Inflationsausgleich sicher freuen. | |
2 Jun 2022 | |
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## AUTOREN | |
Erik Peter | |
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