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# taz.de -- Wohnungsbündnis des Berliner Senats: Wenn's klappt, jubelt die FDP
> Berlins Regierende hat ihr Bündnis mit vielen Immobilienfirmen
> geschmiedet – ein Erfolg, der eine große Gefahr in sich trägt. Ein
> Wochenkommentar.
Bild: Steigende Mieten, das drängendste Problem nicht nur Berlins
Viel ist in Berlin diskutiert worden über den Sinn eines freiwilligen
Bündnisses mit der Immobilienwirtschaft, das einerseits die Mieten dämpfen
und andererseits den Wohnungsneubau vorantreiben soll. Ersteres [1][steht
im krassen Gegensatz zu den Interessen] der großen Immobilienfirmen, die
als Aktiengesellschaften den Nutzen ihrer Shareholder im Blick haben
(müssen). Letzteres ist zuletzt auch daran gescheitert, dass Berlin,
sprich: die überlastete Verwaltung, oft die größte Hürde war.
Doch nun steht es, das im rot-grün-roten Koalitionsvertrag vereinbarte
[2][„Bündnis für Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen“]: Am Freitag
vermeldete die Senatskanzlei, dass man für den kommenden Montag wie geplant
zur Unterzeichnung lade.
Im Vorfeld hatten selbst die der Vereinbarung weniger euphorisch
gegenüberstehenden Koalitionspartner Grüne und Linke kräftig dafür
geworben, dass die von Regierungschefin Franziska Giffey (SPD) maßgeblich
vorangetriebene Kooperation nicht komplett von den Medien verrissen wird.
Die Führungsetage der Berliner Linkspartei gab das Motto aus: „Reden ist
besser als Nicht-Reden“, das soll auch die harten Kritiker in den eigenen
Reihen zum Verstummen bringen.
Bettina Jarasch wiederum, Giffeys Stellvertreterin und grüne
Umweltsenatorin, schrieb an ihre Fraktion: „Diese Vereinbarungen genügen
bei Weitem nicht, um den Wohnungsmarkt zu entspannen und dauerhaft für
genug bezahlbaren Wohnraum zu sorgen. Aber sie sind ein echter Schritt in
die richtige Richtung.“
Tatsächlich gibt [3][es einige Punkte], die für die seit Jahren
geschröpften Berliner Mieter*innen Vorteile bringen. In einigen
Bereichen werden Mieterhöhungen dezent gedeckelt, ganz formal oder aber
indem eine Regel zur Anwendung kommen soll, die schon die landeseigenen
Wohnungsbaugesellschaften anwenden: Wenn eine Mieterhöhung dazu führt, dass
ein Haushalt mehr als 30 Prozent seines Einkommens für die Miete ausgibt,
[4][entfällt die Mieterhöhung]. Auch an die auf dem Wohnungsmarkt besonders
benachteiligten Gruppen von Geflüchteten und Wohnungslosen wurde gedacht.
## Ein Schritt nach vorn
Wichtig dabei ist: Oft nutzen diese Regelungen lediglich den
Besitzer*innen eines Wohnberechtigungsscheins (WBS) – und sowieso nur
all jenen, deren Vermieter*innen Teil des Bündnisses sind. Nach
aktuellem Stand betreffen die Regelungen knapp die Hälfte der 1,9 Millionen
Wohnungen in Berlin. Das ist durchaus ein Schritt nach vorn: Bisher galten
diese oder ähnliche Vorschriften meist nur für die 350.000 Wohnungen der
landeseigenen Wohnungsgesellschaften.
Wichtig ist auch: Dem Bündnis können weitere Partner*innen beitreten, es
könnten also künftig noch mehr Mieter*innen profitieren. Ganz wichtig
ist aber vor allem, dass überprüft wird, ob die Regelungen von den privaten
Vermieter*innen wirklich eingehalten werden. Stadtentwicklungssenator
Andreas Geisel (SPD) hat ein solches Controlling versprochen, zudem soll
sich das Bündnis weiterhin treffen.
Im Gegenzug für diese Zugeständnisse will Berlin der Immobilienwirtschaft
beim Neubau von Wohnungen entgegenkommen, etwa indem neue Flächen
bereitgestellt oder gleich an Genossenschaften vergeben werden, und indem
die Verwaltung schneller arbeiten soll. Ob das gelingt, ist ebenso offen
und sollte ebenso kontrolliert werden. Tatsächlich sind bei vielen
geplanten Regelungen die Details unklar, das wird Stoff für weitere Kritik
sein.
Andererseits hatte Rot-Grün-Rot kaum eine andere Wahl als einen solchen
Schritt in Richtung Privatwirtschaft. Schließlich sollen zum einen die
Privaten mehr als die Hälfte der für diese Legislatur versprochenen 100.000
Wohnungen errichten; zum anderen sind dem Land die Hände gebunden, weitere
gesetzliche Regelungen zu erlassen.
„Fürchterlich“ sei diese erzwungene Tatenlosigkeit auf dem für die Stadt
wohl wichtigsten Politikfeld: dem Kampf für eine bezahlbare Stadt, heißt es
denn auch bei der Linken. Denn weitere schnelle, wirksame Regelungen zu
verabschieden, liegt inzwischen komplett in der Hoheit des Bundes: Sei es
ein Mietendeckel, die Kappung der Mietsteigerungen oder das kommunale
Vorkaufsrecht.
## Volksentscheid? Das dauert!
Sich deswegen mit vollem Elan in die Umsetzung des erfolgreichen
Enteignen-Volksentscheids zu werfen, ist nicht falsch. Aber angesichts der
absehbaren juristischen Auseinandersetzung wird es noch Jahre dauern, bis
ein entsprechendes, vom Land verabschiedetes Gesetz wirklich gelten würde –
wenn überhaupt. Und ob der politische Wille, ein solches Gesetz zu
verabschieden, schon eine dämpfende Wirkung auf dem Mietenmarkt entwickelt
oder sogar das genaue Gegenteil bewirkt, ist pure Spekulation.
Rot-Grün-Rot verweist deswegen auch gerne auf den Bund – und dass dort mit
der FDP eine Partei mitregiere, der die Interessen der Mieter*innen
nicht nur in Berlin völlig egal sind und die weiterhin blind an den Markt
glaubt. Bei Berlins SPD und Grünen klingt dieser Verweis inzwischen etwas
verzweifelt. Schließlich regieren die Parteien in der Ampel mit, und man
hatte sich mehr erhofft.
Genau hier liegt aber auch eine versteckte Gefahr des Giffeyschen
Wohnungsbündnisses: Je mehr Vermieter*innen mitmachen, je besser es
funktioniert, je mehr Mieter*innen wirklich profitieren, desto mehr
stärkt es die Argumentation der Bundes-FDP, Eingriffe in den (Miet-)Markt
seien falsch und unnütz. Denn man könne ja offenbar entsprechende
Anpassungen schnell und direkt mit allen Betroffenen klären, dürfte es dann
heißen. Angesichts dessen weiß man nicht mehr, ob man sich einen Erfolg
dieser Kooperation wünschen soll.
Der politische Druck auf die Bundespolitik muss also stärker werden, nicht
nur von der Mietenbewegung, sondern auch von den Landesregierungen. Am
Sonntag tritt die bisher weitgehend tatenlose Bundesbauministerin Klara
Geywitz als Gastrednerin auf dem SPD-Landesparteitag auf. Eine gute
Gelegenheit gerade für die Sozialdemokraten, noch einmal zu zeigen, dass es
mehr braucht als Kuscheln mit der Immobilienlobby.
19 Jun 2022
## LINKS
[1] /Politisches-Versagen-und-Mietenwahnsinn/!5858861
[2] /Wohnungsbuendnis-des-Senats/!5858223
[3] /Wohnungsbuendnis-des-Senats/!5858223
[4] /Giffeys-30-Prozent-Idee/!5855151
## AUTOREN
Bert Schulz
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