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# taz.de -- Neue DGB-Vorsitzende Fahimi: Selbstbewusst an die Spitze
> Mit Yasmin Fahimi führt erstmals eine Frau den Deutschen
> Gewerkschaftsbund an. Sie gibt sich kämpferisch, steht aber vor keiner
> einfachen Aufgabe.
Bild: Die Neue an der Spitze: Yasmin Fahimi am Montag auf dem DGB-Bundeskongres…
Berlin taz | Olaf Scholz fand geradezu überschwängliche Worte. „Der DGB
wird erfolgreich sein mit dir als seiner Vorsitzenden“, beglückwünschte der
Bundeskanzler Yasmin Fahimi. Sie sei eine „Gewerkschafterin mit Herzblut“
und werde „das Jahrzehnt der Transformation tatkräftig mitgestalten“. Er
freue sich auf eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit, versicherte
Scholz am Montag auf dem [1][DGB-Bundeskongress in Berlin].
Kurz zuvor war Fahimi mit 93,2 Prozent der Delegiertenstimmen an die Spitze
des DGB gewählt worden. Mit der gebürtigen Hannoveranerin [2][übernimmt
erstmalig eine Frau] den höchsten Gewerkschaftsposten in Deutschland. Mit
„Selbstbewusstsein und Zuversicht“ gehe sie an ihre neue Aufgabe, sagte die
54-Jährige.
Leicht wird es nicht. Da ist zum einen die unsichere wirtschaftliche Lage
in Deutschland angesichts des Ukrainekriegs. Bei der hohen Inflationsrate
wird es den Gewerkschaften kaum gelingen, bei den anstehenden
Tarifverhandlungen Reallohnverluste zu verhindern. „Wer jetzt
Lohnzurückhaltung verlangt, der will in Wahrheit nichts anderes, als die
Krisenbewältigung allein auf dem Rücken der Beschäftigten abzuladen“, gab
sich Fahimi gleichwohl kämpferisch. „Und das werden wir nicht mitmachen.“
Doch reicht dazu die Kraft?
## Innergewerkschaftliche Herausforderungen
„In unserer Zeit fundamentaler Veränderungen ist gewerkschaftliche
Gestaltungskraft dringender notwendig denn je“, sagte Fahimi in ihrer
Grundsatzrede. Demgegenüber steht, dass der gewerkschaftliche
Organisierungsgrad kontinuierlich sinkt, von 11,8 Millionen Mitgliedern
1991 auf jetzt noch rund 5,7 Millionen – bei einer deutlich gestiegenen
Erwerbstätigenzahl. „Wir haben schon deutlich bessere Zeiten gesehen“,
konstatierte Fahimi.
Als „Schutzmacht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“ definierte sie die
Gewerkschaften. Doch die bröckelnden Mitgliedszahlen korrespondieren mit
schwindendem Einfluss in der Arbeitswelt. Zwar sind die Gewerkschaften in
einigen Branchen nach wie vor stark, so die IG Metall in der Autoindustrie
oder Verdi im öffentlichen Dienst. In etlichen Branchen sieht es indes mehr
als mau aus.
Das lässt sich an der geringen Anzahl der Betriebe ablesen, die sich
überhaupt noch in der Tarifbindung befinden. Nach den jüngsten Zahlen des
Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung sind heute 74 Prozent weder
an einen Flächen- noch einen Haustarifvertrag gebunden. Bundesweit arbeiten
gerade noch 51 Prozent der Beschäftigten auf einer tarifvertraglichen
Grundlage – in den ostdeutschen Ländern sind es sogar nur 43 Prozent. Vor
zwei Jahrzehnten verfügten noch fast 74 Prozent der Beschäftigten
bundesweit über einen Tarifvertrag. Diese „massive Tarifflucht“ müsse
unbedingt aufgehalten werden, forderte Fahimi.
Zum anderen gibt es auch innergewerkschaftliche Herausforderungen, die sie
bewältigen muss. Denn der DGB ist ein kompliziertes Gebilde, die
eigenständigen Wirkungsmöglichkeiten des Dachverbands sind beschränkt. Wer
einen Eindruck von den Kräfteverhältnissen gewinnen will, braucht sich nur
die Verteilung der Delegiertenmandate auf dem Kongress anschauen. Von den
400 Delegierten stellt die IG Metall 146 und Verdi 127, beide kommen somit
auf eine Zweidrittelmehrheit. Mit weitem Abstand folgt die IG BCE mit 42
Delegierten. Der verbleibende Rest verteilt sich auf die anderen fünf
Einzelgewerkschaften, also GEW, IG Bau, NGG, GdP und EVG.
## Wiedereinführung der Vermögenssteuer „überfällig“
Entscheidend wird sein, welchen Spielraum IG-Metall-Chef Jörg Hofmann und
Verdi-Chef Frank Werneke, beide mit großem Selbstbewusstsein ausgestattet,
der neuen DGB-Vorsitzenden lassen. Und wie es Fahimi trotz der
Vormachtstellung der beiden Großen schafft, die Interessen der kleineren
Mitgliedsgewerkschaften zu berücksichtigen. Denn im geschäftsführenden
Bundesvorstand sind die nicht repräsentiert, da ist das IG-BCE-Mitglied
eingerahmt vom IG-Metaller Stefan Körzell und den Verdi-Frauen Elke Hannack
und Anja Piel. Auch das gehört zum DGB: die parteipolitische Austarierung.
Wie Fahimi ist Körzell in der SPD, Hannack ist in der CDU und Piel bei den
Grünen.
Ob Fahimi erfolgreich sein kann, wird auch davon abhängen, wie gut ihr der
Rollenwechsel von der SPD-Bundestagsabgeordneten zu einer DGB-Chefin
gelingt, der Gewerkschafts- vor Partei- oder gar Regierungsinteressen gehen
müssen. Die Niederlegung ihres Parlamentsmandats ist ein Zeichen, dass sie
das Problem erkannt hat.
Auch mit ihrem Grundsatzreferat dokumentierte Fahimi, dass sie sich in
ihrer neuen Funktion nicht mehr der Ampelkoalitionsräson verpflichtet
fühlt. Mit deutlichen Worten sprach sie sich gegen die Schuldenbremse aus,
die nichts anderes sei „als eine ideologische Bremse gegen einen aktiven
Staat und eine sozial verantwortliche Gestaltung“. Die Wiedereinführung der
Vermögenssteuer bezeichnete sie als „überfällig“ und plädierte außerde…
eine zusätzliche Vermögensabgabe. Olaf Scholz sagte dazu lieber nichts.
9 May 2022
## LINKS
[1] /Auftakt-des-DGB-Bundeskongress/!5850891
[2] /Yasmin-Fahimi-soll-DGB-Chefin-werden/!5827573
## AUTOREN
Pascal Beucker
## TAGS
DGB
Yasmin Fahimi
Olaf Scholz
Gewerkschaft
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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Lohnerhöhung
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