| # taz.de -- Grüne Umweltsenatorin zum Entscheid: „Klimaschutz ist kein Selbs… | |
| > Viele Berliner*innen stimmten mit „Nein“, weil ihnen der | |
| > Veränderungsdruck Angst mache, sagt Bettina Jarasch. Sie müssten ernst | |
| > genommen werden. | |
| Bild: „Offensichtlich hat das Thema mobilisiert, aber eben auch polarisiert�… | |
| taz: Frau Jarasch, sind Sie überrascht vom [1][Ergebnis des | |
| Klima-Volksentscheids]? | |
| Bettina Jarasch: Ich hatte nicht mit so vielen Nein-Stimmen gerechnet. | |
| Offensichtlich hat das Thema Klimaschutz mobilisiert, aber eben auch | |
| polarisiert. | |
| Man könnte sagen: Für Sie als Klimasenatorin war das Ergebnis eine | |
| Bestätigung ihrer bisherigen Arbeit. Mehr Klimaschutz, als Sie geliefert | |
| haben, will fast die Hälfte der Berliner*innen gar nicht. | |
| (überlegt) So einfach will ich es mir nicht machen. Es gibt viele Menschen, | |
| die wissen, dass wir mehr tun müssen für den Klimaschutz, und das war die | |
| Mehrheit bei dem Entscheid. Und es gibt viele, die mit Nein gestimmt haben: | |
| Da müssen wir genauer hinschauen. | |
| Was könnten Ursachen für ein Nein gewesen sein? | |
| Sehr viele Gegner*innen [2][des Gesetzes] sind extra abstimmen gegangen. | |
| Zum Teil waren die schlicht nicht überzeugt, dass das Gesetz mit dem | |
| Zieljahr 2030 allein mehr Klimaschutz bringt. Zum Teil gibt es Ängste, die | |
| durch den steigenden Veränderungsdruck ausgelöst werden. Das Traurige ist | |
| allerdings, dass der Veränderungsdruck nicht hausgemacht ist – der kommt | |
| unausweichlich durch den Klimawandel. | |
| Das könnte zu einem unauflöslichen Widerspruch führen. | |
| Je dringlicher Veränderungen werden, weil wir die Auswirkungen des | |
| Klimawandels merken, desto mehr könnten die Ängste vor den Veränderungen | |
| steigen und Menschen sagen: „Wir haben noch ganz andere Probleme, hört uns | |
| auch!“ Das ist eine große Herausforderung für die Politik insgesamt, aber | |
| auch für uns Grüne. | |
| Noch im September 2021 hatte eine Mehrheit für ein ebenso radikales Ziel | |
| votiert: die [3][Enteignung von Wohnungen großer Unternehmen]. | |
| Ein Unterschied ist, dass es damals im Kern um eine soziale Frage ging: Wer | |
| kann hier noch wohnen? Die große Unterstützung hat mich daher nicht | |
| überrascht. Beim Klima ist es für viele leider noch nicht deutlich genug, | |
| dass auch dies eine soziale Frage ist: Wir müssen deutlich machen, dass es | |
| sich nur noch Reiche leisten können, hier gut zu leben, wenn der | |
| Klimawandel ungebremst so weitergeht. | |
| War das Ergebnis für die Grünen eine Niederlage? | |
| Nein, denn es gibt viel Unterstützung für mehr Klimaschutz: Das Ja-Lager | |
| hat mehr Stimmen bekommen als wir Grüne und sogar als die CDU [4][bei der | |
| Wahlwiederholun]g. Da gibt's also ganz viel Potenzial. Aber wir müssen | |
| dringend weg von der Polarisierung, die es inzwischen in Berlin bei fast | |
| jedem großen Thema gibt. Wir brauchen daher ein breites Bündnis, das sich | |
| auf ein positives Ziel konzentriert. | |
| Wie soll das aussehen? | |
| Es soll ein Zusammenschluss sein aus der Zivilgesellschaft mit Menschen, | |
| die ein gutes, gesundes Leben, für sich selbst und auch für ihre Kinder und | |
| Enkel wollen. Und mit der Wissenschaft, der Wirtschaft, den Gewerkschaften | |
| – auch mit Autofahrer*innen übrigens. | |
| CDU und SPD, die gerade Koalitionsverhandlungen führen, haben kurz vor dem | |
| Entscheid [5][ein Sondervermögen von bis zu 10 Milliarden Euro für den | |
| Klimaschutz] beschlossen, SPD-Chef Raed Saleh sagte der taz, man müsse sich | |
| am Klimaschutz messen lassen und klotzen. Sehen Sie beide Parteien als | |
| einen möglichen Teil dieses Bündnisses? | |
| Ich glaube nicht daran, dass dieses Sondervermögen allein bedeutet, dass | |
| CDU und SPD auch wirklich mehr Klimaschutz machen werden. Es ist unklar, | |
| wofür sie das Geld einsetzen werden. Es ist auch unklar, ob das | |
| zusätzliches Geld ist oder ob sie damit einfach alles finanzieren, was im | |
| Haushalt in Sachen Klimaschutz sowieso schon vorgesehen ist. Ich habe weder | |
| die SPD in der Vergangenheit als Treiberin beim Klimaschutz erlebt, noch | |
| die CDU. | |
| Nicht wenige werfen den Grünen vor, mit ihren Klimavorstößen zu dieser | |
| Polarisierung beigetragen zu haben. [6][Stichwort Verkehrspolitik.] | |
| Auch die Mobilitätswende polarisiert leider in Berlin. Aber es gibt | |
| übergreifende Ziele, auf die wir uns hoffentlich alle verständigen können. | |
| Da gehört Verkehrssicherheit dazu, dass also niemand mehr im Verkehr | |
| umkommen muss; da gehört bessere Luft dazu; da gehört auch mehr Klimaschutz | |
| dazu. Aber ich sehe, dass es unterschiedliche Bedürfnisse gibt, | |
| unterschiedliche Lebenssituationen, je nachdem, wo und wie man in Berlin | |
| wohnt. Wir müssen noch stärker zeigen, dass wir darauf Rücksicht nehmen und | |
| unsere Antworten stärker differenzieren. | |
| Was ist Ihre Bilanz des Entscheids? | |
| Ich hoffe, dass das Ergebnis für viele ein Stück weit ein heilsamer | |
| Schrecken war – nicht nur für die Klimabewegung, sondern für alle | |
| Berliner*innen. Es wurde sehr deutlich, dass Klimaschutz auch polarisiert | |
| und eben kein Selbstläufer ist. Nun geht es darum: Wie verbinden wir das | |
| mit der Erkenntnis, dass Klimaschutz die wichtigste Aufgabe dieser Zeit | |
| ist? | |
| Glauben sie, der Entscheid wäre anders ausgegangen, wenn er [7][parallel | |
| mit der Wahl im Februar] abgestimmt worden wäre? | |
| Alle Erfahrungen zeigen, dass die Wahlbeteiligung deutlich höher gewesen | |
| wäre. Die Polarisierung hätte es aber auch am 12. Februar geben. Umgekehrt | |
| fühlt sich das jetzige Ergebnis an wie eine Fortsetzung der Stimmung im | |
| Wahlkampf. Die Unzufriedenheit mit der Politik wirkt fort, und auch in der | |
| Mitte der Gesellschaft ist Klimaschutz lange kein Selbstläufer mehr. | |
| 27 Mar 2023 | |
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