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# taz.de -- Neubauer über Klima-Volksentscheid: „Wir kämpfen weiter bergauf…
> Aktivistin Luisa Neubauer kritisiert, dass der Volksentscheid von der
> Berlin-Wahl getrennt wurde. Trotz verfehltem Quorum sei die Mehrheit ein
> Erfolg.
Bild: Luisa Neubauer auf der Wahlparty vom Volksentscheid, der am Quorum gesche…
taz: Frau Neubauer, wir erwischen Sie noch auf der Wahlparty, [1][wo die
Stimmung etwas ernüchtert] ist. Wenn der Klima-Volksentscheid geklappt
hätte, wäre das einer der größten Erfolge der Klimabewegung geworden. Ist
es nun ein riesiger Misserfolg?
Luisa Neubauer: Es heißt ja nicht umsonst Klimakampf. Wir sind es gewohnt,
bergauf zu kämpfen. Die Kunst besteht nicht bloß darin, einen Sieg nach dem
anderen zu organisieren, sondern die Widerstandsfähigkeit an so einem Tag
zu erhalten und sich darauf zu besinnen, was wir hier geschafft haben. Und
wenn ich mir hier Wahlabend hier so angucke, wird weiter bergauf gekämpft.
Sie sagten vor dem Entscheid, vom Volksentscheid könnte ein
klimapolitisches Signal um die Welt gehen. Welches Signal sendet Berlin
jetzt in die Welt?
Es gibt eine heterogene Mehrheit unter den Wählerinnen und Wählern in
Berlin, die radikalen, schnellen und gerechten Klimaschutz in dieser Stadt
möchte. Wir scheitern heute ja nicht an den Mehrheiten, sondern am Quorum
und dieses Signal bleibt.
Inwiefern hat es eine Rolle gespielt, dass der Volksentscheid nicht mit
[2][der Berlin-Wahl] zusammen gelegt wurde?
Demokratie sollte es den Menschen so leicht wie möglich machen, ihr Kreuz
zu setzen. Die Berliner Politik hat entschieden, es den Menschen schwerer
zu machen, weil sie den Termin nicht mit der Berlin-Wahl zusammengelegt
hat. Es ist für niemanden überraschend, dass es extrem hart war, Stimmen zu
mobilisieren. Zuerst war ja sogar ein Wahltag in den Osterferien im
Gespräch. Man hat es dann gütigerweise noch auf den Termin mit der
Zeitumstellung gelegt – also einen Tag mit einer Stunde weniger als sonst.
Das Vorgehen des Senats ist natürlich hochproblematisch.
Von Beginn an galt das Quorum als die höchste Hürde. Aber dennoch sind es
am Ende auch deutlich mehr „Nein“-Stimmen als erwartet. Ist die Mehrheit
mit 50,9 Prozent nicht auch überraschend knapp?
Wir wurden lauter und lauter. Und auf einmal fingen fossile
Beharrungskräfte an gegenzusteuern und haben auch mobilisiert. Und es wirkt
natürlich, wenn man den Menschen erzählt: Klimaschutz in Berlin bedeutet,
man nimmt den Menschen das Auto weg.
Wen meinen Sie konkret mit fossilen Beharrungskräften?
Wenn man einmal durch die Medien springt in den letzten acht, neun Tagen,
wird es deutlicher: CDU und FDP in Berlin, aber auch große Teile der SPD.
Dazu kommen polarisierende Stimmen in den Medien – und Teile der Industrie.
Da wurde in den letzten Tagen fast panisch noch einmal alles an fossilem
Populismus aufgefahren. Es war sehr bezeichnend, dass zuletzt Stimmen laut
wurden, die die Finanzierung vom Klima-Volksentscheid kritisiert haben.
Obwohl man weiß, diesen Volksentscheid gibt es nur, weil man ihn händisch
per Unterschrift ermöglicht hat. Man kann sich keine Stimmen kaufen. Es
sind interessanterweise die gleichen Dynamiken, wie sie vor 20, 30 Jahren
gegen Forschung zur Klimakrise bemüht wurden – damals hieß es, die
Klimaforschung sei aus den USA finanziert und deswegen nicht rechtens.
Eine Gegenkampagne gab es im öffentlichen Raum hingegen nicht. Stattdessen
eine große und sichtbare Kampagne für den Volksentscheid. Gab es in den
letzten Monaten zu viele Diskussionen über [3][Protestformen und
Auto-Blockaden] und zu wenig inhaltlich zielgerichtete [4][Aktionsformen
wie Lützerath]?
Wir haben vor einer Viertelstunde das Ergebnis erfahren. Wir werden uns das
natürlich alles angucken. Aber jetzt im ersten Moment ist wichtig: Niemand
von uns ist für einen persönlichen Posten angetreten oder einen
Machtvorteil. Den Menschen hier geht es um das große Ganze. Auch die
Menschen, die heute für „Nein“ gestimmt haben, sind auf diesen Planeten und
unsere Lebensgrundlagen angewiesen. Niemand, der in den letzten Wochen und
Tagen gegen diese Wahl mobilisiert hat, kann sich eine akzeptable
Außentemperatur kaufen – wie Eckart von Hirschhausen es so gut formuliert.
Aber natürlich macht es viele Menschen hier sehr nachdenklich, dass bei
Klimafragen noch so viel zu tun ist, um Menschen mit eigentlich sehr
banalen Erkenntnissen zu erreichen.
Eigentlich hat vieles dafür den Volksentscheid gesprochen: Der
[5][IPCC-Bericht in der Woche davor], zahlreiche Wissenschaftler*innen
trommelten dafür, ebenso [6][Künstler*innen] …
Das hat uns große Schritte nach vorne gebracht. Aber immer offensichtlich
wird diese Tage auch: Wir verhandeln in der Klimakrise schon lange keine
Fakten mehr, sondern Gefühle, Macht und Zugehörigkeiten. Es ist sehr
schwer, da durchzukommen. Wir haben deutlich gesehen, wie populistisch und
mit welchen Überschriften gegen die Kampagne gearbeitet wurde: Die
Kostenfrage wurde komplett einseitig problematisiert, ohne anzuerkennen,
wie teuer die Klimakrise erst werden wird. Ich selbst musste in einem
Interview dem Moderator erklären, dass Klimaschutz eben nicht bedeutet,
dass wir den Menschen die Autos wegnehmen.
Sie hatten gesagt, es ginge beim Volksentscheid auch um die Ehre der
Klimabewegung. Die ist aber nun nicht verloren, oder?
Wir haben eine unglaubliche und unwahrscheinliche Mehrheit in dieser sehr
komplizierten Stadt für radikalen Klimaschutz gewinnen und begeistern
können. Dahinter stecken viele Menschen, die unfassbar viel gearbeitet
haben. Das Zeichen, die Aufmerksamkeit und die Energie sind da. Die Sorge
der Menschen bleibt groß, wie wir noch rechtzeitig gegen die Klimakrise
ankommen. Es tut natürlich weh, am Quorum auf den letzten Metern zu
scheitern. Aber dass wir überhaupt so weit gekommen sind, wurde vorab
weiträumig für unmöglich erklärt. Das haben wir aber trotzdem von
Menschenhand umgesetzt. Wenn wir das geschafft haben, können wir auch noch
mehr machen: Wir sehen, dass überall in diesem Land und darüber hinaus sich
Menschen von uns inspirieren lassen und sich fragen, ob sie selbst auch
Volksentscheide fürs Klima starten können. Der Einsatz gegen diese Krise
verlangt von den Menschen, sich einzusetzen und ins Risiko zu gehen, ohne
zu wissen, ob es am Ende reichen wird. Eben das unterscheidet uns von den
Opportunisten und passiven Nörglern.
Werden Sie trotzdem ein wenig feiern, auch wenn der Sekt bitter schmeckt?
Ich habe mein Tannenzäpfle bereit. Und wenn es Menschen gibt, die eine
solche Situation bewältigen können, dann die Menschen in der Klimabewegung.
Es ist sehr steiniger Weg, der bergauf führt. Aber egal ob Sekt, Bier oder
Apfelschorle, ist es auch unser Anspruch, immer die bessere Party zu sein
als die der fossilen Zyniker. Und wenn ich mich mir hier so umgucke, werden
wir dem auch heute ganz sicher gerecht.
27 Mar 2023
## LINKS
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## AUTOREN
Gareth Joswig
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