# taz.de -- Kritik am Bundeshaushalt: Die Rotstift-Koalition | |
> Die Bundesregierung will sparen, der Haushalt schrumpft. Welche Projekte | |
> gefährdet sind und was Gerhard Schröder damit zu tun hat. | |
Bild: Für das kommende Jahr wurden Gelder in vielen Ressorts gestrichen | |
FDP-Finanzminister Christian Lindner glaubt an genau zwei Ideen. Erstens: | |
Die Steuern dürfen keinesfalls erhöht werden. Zweitens: Der Bundeshaushalt | |
muss ausgeglichen sein. Das Ergebnis belastet die Armen und | |
Mittelschichten, und zugleich werden diverse Halbwahrheiten aufgetischt. | |
Um mit dem Bundeshaushalt anzufangen: Er ist nicht ausgeglichen. Die | |
offizielle Neuverschuldung soll zwar nur 16,6 Milliarden Euro betragen, | |
sodass die berühmt-berüchtigte „Schuldenbremse“ formal eingehalten ist. | |
Aber daneben gibt es noch einen riesigen Schattenhaushalt, der sich „Klima- | |
und Transformationsfonds“ nennt – wo die Schulden weiter steigen werden. | |
Dieser Fonds soll eine Reihe wichtiger Projekte finanzieren: Die Bahn soll | |
15 Milliarden Euro erhalten, um ihre maroden Strecken zu sanieren. 10 | |
Milliarden gehen an den Elektronikkonzern Intel, damit in Magdeburg eine | |
neue Chipfabrik entsteht. Wärmepumpen werden umfangreich gefördert, und ein | |
deutschlandweites Wasserstoffnetz muss auch noch gestemmt werden. In den | |
Klima- und Transformationsfonds fließen zwar die CO2-Abgaben. Aber sie | |
werden nicht reichen, neue Schulden nötig sein. Es ist also eine | |
Mogelpackung, von einem „ausgeglichenen Haushalt“ zu sprechen. | |
„Ausgeglichen“ ist nur der offizielle Etat, aber dieser Sparkurs belastet | |
vor allem die Armen und Mittelschichten. So sollen die staatlichen | |
Zuschüsse bei den Sozialversicherungen gekürzt oder eingefroren werden. Für | |
die Pflege gibt es künftig 1 Milliarde Euro weniger, und auch die | |
Rentenkassen erhalten kaum zusätzliches Geld – trotz der Inflation. Bei den | |
Krankenkassen bleibt der Zuschuss gleich, obwohl im Gesundheitswesen 2024 | |
mindestens 7 Milliarden Euro fehlen. Die Prognose ist klar: Die | |
Sozialbeiträge werden steigen. | |
Sozialbeiträge belasten vor allem die Normalverdiener, denn die | |
Wohlhabenden werden geschont – durch die Beitragsbemessungsgrenze. Wer mehr | |
als 4.987,50 Euro im Monat verdient, muss vom zusätzlichen Einkommen nichts | |
mehr in die Kranken- oder Pflegekasse abführen. | |
## Mehr Schulden? Nicht so einfach | |
Ein weiterer Einschnitt ist, dass die Bafög-Mittel gesenkt werden – um | |
satte 400 Millionen pro Jahr. Das wird die Lebenschancen vieler | |
Arbeiterkinder beeinträchtigen, die kein Bafög beantragen und nicht mehr | |
studieren können. Doch diese ungerechte Kürzung hat fast niemanden | |
aufgeregt. Stattdessen konzentrierte sich die mediale Empörung auf den | |
Vorschlag von Familienministerin Lisa Paus (Grüne), das Elterngeld bei | |
Paaren zu streichen, die mehr als 150.000 Euro im Jahr an zu versteuerndem | |
Einkommen verbuchen. 60.000 Familien würden die Förderung verlieren – von | |
etwa 1,9 Millionen Elterngeldbeziehern. | |
Es ist schräg, die Bafög-Kürzungen zu ignorieren, aber leidenschaftlich | |
über das Wohl einer gutsituierten Minderheit zu debattieren. Zudem blieb | |
Paus nichts anderes übrig: Sie soll 500 Millionen in ihrem Etat einsparen. | |
Was zur prinzipiellen Frage führt, ob der Staat mehr Schulden hätte machen | |
sollen, statt zu kürzen. Leider ist es nicht so einfach. Deutschland tritt | |
in eine neue Phase ein: Es herrscht ein extremer Mangel an Arbeitskräften, | |
weil die Babyboomer in Rente gehen und kaum Jugendliche nachwachsen. Die | |
Wirtschaftsweise Monika Schnitzer hat kürzlich vorgerechnet, dass | |
Deutschland pro Jahr 1,5 Millionen Zuwanderer benötigen würde, um diese | |
Lücken zu füllen. | |
Ein derartiger Zustrom ist vorerst nicht realistisch. Was für den | |
Bundeshaushalt heißt: Wenn der Staat Schulden macht, entsteht mehr | |
Nachfrage, die aber nicht bedient werden kann, weil Arbeitskräfte fehlen. | |
Also steigen die Preise – und damit die Inflation. | |
## Wie wär's denn mit höheren Steuern? | |
Richtig wäre ein anderer Weg, um die nötigen Staatsausgaben zu finanzieren: | |
Die Steuern müssten steigen – und zwar vor allem für die Wohlhabenden, die | |
bisher enorm begünstigt werden. Zum Beispiel ließe sich das | |
Dienstwagenprivileg abschaffen. Eine andere Möglichkeit wäre, auch | |
Wohlhabenden „nur“ das Kindergeld zu zahlen. Bisher profitieren sie von | |
einem Steuerfreibetrag, der deutlich höher ausfällt. Auch ist es | |
verfassungswidrig, dass Firmenerben keinen einzigen Cent an Erbschaftsteuer | |
zahlen, selbst wenn sie Milliardenwerte übernehmen. | |
Leider ist es in Deutschland nicht einfach, Steuern zu erhöhen. Fast immer | |
muss der Bundesrat zustimmen, und dort hat die Union eine Vetomacht. | |
Lindner ist nicht der Einzige, der die Reichen schonen will. | |
Oder andersherum: SPD und Grüne werden von einem alten Fehler eingeholt – | |
ihren gigantischen Steuersenkungen unter Kanzler Schröder. Bis heute kosten | |
diese Steuergeschenke für die Wohlhabenden etwa 60 Milliarden Euro im Jahr. | |
Geld, das man jetzt gut gebrauchen könnte. Ulrike Herrmann | |
## Bildung: Weniger Bafög, weniger Startchancen | |
Der Haushalt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) | |
schrumpft von 22,5 auf rund 20,3 Milliarden Euro. Ressortleiterin Bettina | |
Stark-Watzinger (FDP) muss damit mit 5,4 Prozent weniger auskommen als in | |
diesem Jahr. Ein guter Teil der Einsparungen (700 Millionen Euro) hat | |
allerdings mit der 200-Euro-Einmalzahlung für Studierende und | |
Fachschüler:innen zu tun, die die Ampel für dieses Jahr aufgesetzt hat. | |
Die weiteren Kürzungen für 2024 betreffen vor allem das Bafög. | |
Für Studierende sind dabei knapp 1,4 Milliarden Euro (2023: 1,8 Milliarden) | |
eingeplant. Beim so genannten Schüler-Bafög sind es 551 Millionen Euro | |
(2023: 763 Millionen). Laut Finanzminister Lindner soll es aber zu keinen | |
Leistungskürzungen kommen. Die Zahlen basierten auf einer Prognose für den | |
künftigen Bedarf. Die Bildungsgewerkschaft GEW kritisiert, dass die | |
Ampelkoalition das Bafög systematisch aushungere. Die Bedarfssätze müssten | |
an die „galoppierende Inflation und die Preisexplosion auf dem | |
Wohnungsmarkt“ angepasst werden. | |
Auch bei ihrem Prestigeprojekt gegen Chancenungleichheit muss | |
Stark-Watzinger mit weniger Geld auskommen. Für das „Startchancenprogramm“ | |
sind in dem Haushalt nur mehr 500 Millionen Euro vorgesehen – bislang war | |
von einer „Bildungsmilliarde“ die Rede. Begründet wird die Halbierung | |
damit, dass das Programm erst zum Schuljahr 2024/25 startet, also in der | |
zweiten Jahreshälfte. | |
Mit dem Startchancenprogramm wollen Bund und Länder über den Zeitraum von | |
zehn Jahren bundesweit 4.000 Brennpunktschulen speziell fördern – unter | |
anderem mit zusätzlichen Sozialarbeiter:innen. Unklar ist allerdings, in | |
welcher Höhe sich die Länder finanziell beteiligen. | |
Bildungsforscher:innen empfehlen, das Programm mit mindestens 2 | |
Milliarden pro Jahr auszustatten, um die Chancenungleichheit wirksam zu | |
bekämpfen. Ralf Pauli | |
## Verkehr: Mehr Schienen, weniger Radwege | |
Auch wenn der Haushalt für Verkehr und Digitales insgesamt steigt, sind | |
drastische Kürzungen bei den Mitteln für den Ausbau der Radinfrastruktur | |
vorgesehen. Das Budget für diesen Bereich liegt bei 440 Millionen Euro und | |
damit 30 Prozent unter dem Ansatz des diesjähigen Etats. Im Vergleich zum | |
Jahr 2022 werden die Ausgaben für die Radinfrastruktur sogar fast halbiert. | |
Die geplanten Streichungen betreffen vor allem die Finanzhilfen für den | |
Radverkehr in Ländern und Kommunen. Sie sollen auf 260 Millionen Euro | |
gesenkt werden, nachdem 2023 dafür 413 Millionen Euro zur Verfügung | |
standen, 2022 waren es noch 640 Millionen Euro. „Von einer Ausbauoffensive | |
für den Radverkehr, wie sie die Ampelkoalition im März mit ihrem | |
Modernisierungspaket beschlossen hat, kann keine Rede sein“, sagt die | |
ADFC-Vorsitzende Rebecca Peters. „Die Ampelkoalition ist bei der | |
Finanzierung des Radverkehrs schlechter als die Große Koalition.“ | |
Nach Auffassung des ökologischen Verkehrsclubs Deutschland (VCD) | |
dokumentiert der Haushaltsentwurf, dass die „Koalition Abschied vom | |
Fortschritt in der Verkehrspolitik nimmt“. Die Bundesregierung habe ihre | |
eigene Radverkehrsstrategie de facto aufgekündigt, sagt Anika Meenken, | |
VCD-Sprecherin für Radverkehr. | |
Für Empörung beim VCD und anderen sorgen auch die eingestellten Mittel für | |
den Schienenausbau. Zwar ist hier ein Plus von 3 Milliarden Euro vorgesehen | |
– aber diese Summe bleibt weit hinter den Ankündigungen der Bundesregierung | |
zurück. Im März hatten SPD, Grüne und FDP im Koalitionsausschuss | |
beschlossen, dass der Deutschen Bahn bis 2027 zusätzlich 45 Milliarden Euro | |
zur Verfügung stehen sollen. Verteilt auf vier Jahre wären das zusätzliche | |
11,25 Milliarden Euro jährlich, rechnet der Verband Deutscher | |
Verkehrsunternehmen (VDV) vor. | |
VDV-Chef Ingo Wortmann kritisiert, dass davon nur ein kleiner Teil in den | |
Haushalt eingestellt werden soll. „Damit verschiebt man die | |
Finanzierungsnotwendigkeiten des Eisenbahnsystems in Deutschland weiter in | |
die Zukunft, und die Planungen der Unternehmen bleiben kurzfristig und | |
risikobehaftet“, sagt er. Die Aussicht, dass die Bahn Geld aus dem Klima- | |
und Transformationsfonds bekommen soll, ist ihm zu vage. | |
Schließlich sollen mit den Mitteln des Fonds, in den unter anderem | |
Einnahmen aus dem CO2-Preis fließen, alle möglichen anderen Projekte | |
finanziert werden, etwa die Förderung des Heizungstauschs. „Da braucht es | |
jetzt ein klares Bekenntnis des Bundesfinanz- und des | |
Bundesverkehrsministers, dass die fehlenden Mittel für die Schiene | |
definitiv aus diesem Fonds bereitgestellt werden“, fordert Wortmann. Anja | |
Krüger | |
## Pflege und Rente: Generationenvertrag mal anders | |
2024 wird der Steuerzuschuss des Bundes für die Pflege um eine Milliarde | |
Euro gekürzt. In der Folge werde das Bundesgesundheitsministerium 2024 eine | |
Milliarde Euro weniger in den Pflegevorsorgefonds einzahlen, so ein | |
Ministeriumssprecher zur taz. | |
Dies bedeutet zwar keine unmittelbaren Leistungskürzungen, aber 1 Milliarde | |
Euro weniger für einen Kapitalfonds, der als Vorsorge gedacht war für | |
künftige Zeiten, wenn immer mehr Babyboomer:innen zu Pflegefällen | |
werden. „Es ist verantwortungslos, das einzige Instrument für | |
Generationengerechtigkeit, das wir in der gesetzlichen Pflegeversicherung | |
haben, zu beschneiden, ohne eine Alternative anzubieten“, sagt Luise | |
Roither, Sprecherin für Pflege und Gesundheit bei der Stiftung für die | |
Rechte zukünftiger Generationen, der taz. | |
Der Haushaltsentwurf signalisiert: Es gibt nicht mehr Steuergelder für die | |
Pflege. Ohne diese Mittel aber müssen alle Kostensteigerungen in der Pflege | |
künftig durch die Beiträge zur Pflegeversicherung, durch die Eigenanteile | |
der Pflegebedürftigen und gegebenenfalls durch die Sozialämter finanziert | |
werden. Damit steigt der ohnehin schon große Rationalisierungsdruck in der | |
Branche. | |
Die Leistungen an die Rentenversicherung stellen „den größten | |
Ausgabenbereich“ im Bundeshaushalt dar, so der Entwurf. Im Jahre 2024 zahlt | |
der Bund 117,2 Milliarden Euro aus Steuermitteln an die Rentenversicherung. | |
„Im Hinblick auf die derzeit gute Finanzlage der gesetzlichen | |
Rentenversicherung“ soll der Bundeszuschuss an die Rentenkasse im Zeitraum | |
von 2024 bis 2027 jährlich um 600 Millionen Euro abgesenkt werden, heißt es | |
im Entwurf. Die Beiträge können dank der guten Wirtschaftslage stabil | |
bleiben. | |
Niemand weiß, wie lange die gute Konjunktur anhält. Die Zahl der | |
Rentner:innen wird indes steigen. Die frühere SPD-Sozialministerin | |
Andrea Nahles hatte mal einen steuerlichen „Demografiezuschuss“ für die | |
Rentenkasse gefordert, für einen „neuen Generationenvertrag“. Davon redet | |
keiner mehr. Barbara Dribbusch | |
## Entwicklungspolitik: Weniger Geld für Krisen | |
Kriege, Umweltkatastrophen und eine anhaltende Hungerkrise – angesichts des | |
Klimawandels ist abzusehen, dass die Welt im Krisenmodus bleibt. Gerade | |
hier will die Bundesregierung nun sparen. 2024 wird das Auswärtige Amt (AA) | |
rund 1,3 Milliarden und das Bundesministerium für Entwicklung und | |
Zusammenarbeit (BMZ) etwa eine halbe Milliarde Euro weniger zur Verfügung | |
haben. | |
Das Geld soll vor allem aus frei verfügbaren Mitteln gestrichen werden – | |
das sind Gelder für Krisen und humanitäre Hilfe. Statt 1,24 Milliarden Euro | |
hat das BMZ nächstes Jahr nur noch 960 Millionen Euro im sogenannten | |
Krisentitel. Zum einen gibt es nicht viele Kürzungsmöglichkeiten, das | |
meiste Geld des BMZ ist über bilaterale Verträge und Zusagen an | |
internationale Organisationen weitestgehend festgezurrt. | |
Zum anderen erhoffen sich die Ministerien wohl weitere Krisenmittel im | |
Laufe der Legislaturperiode. 2023 wurden etwa 1 Milliarde Euro zusätzlich | |
bereitgestellt, um auf die globalen Folgen des russischen Angriffskriegs | |
auf die Ukraine zu reagieren. Aus dem Auswärtigen Amt heißt es, man sei | |
weiterhin in der Lage, auf Krisen im Bereich der humanitären Hilfe und auf | |
Bedarfe bei der Unterstützung der Ukraine zu reagieren. | |
In der Zivilgesellschaft sind die Bedenken groß. Viele verweisen auf die | |
dramatische globale Lage. „Die Planung der Bundesregierung geht an der | |
Realität vorbei und konterkariert den Ansatz, auf vorausschauende | |
humanitäre Hilfe zu setzen“, sagt Mathias Mogge, Generalsekretär der | |
Welthungerhilfe. Er kritisiert, dass kurzfristig bereitgestellte | |
Sondermittel gerade zivilgesellschaftliche Akteure in Krisensituationen | |
vor Herausforderungen stellen. „Die Bundesregierung sollte für mehr und | |
verlässliche Finanzierung sorgen, statt Mittel zu kürzen“, sagt Mogge. | |
Leila van Rinsum | |
## Wirtschaft und Klimaschutz: Viel Fossiles | |
Wegen der Auswirkungen des Ukrainekriegs gibt der Wirtschafts- und | |
Klimaminister im kommenden Jahr weiter viel Geld für fossile Energien aus. | |
Um die Energieversorgung zu sichern, will Robert Habeck allein für neue | |
Flüssiggas-Terminals 900 Millionen Euro mehr ausgeben als gedacht. Um große | |
Teile Ostdeutschlands mit Benzin zu versorgen, gehen außerdem 140 Millionen | |
Euro an die Raffinerie in Schwedt, die bis zum vergangenen Jahr noch mit | |
russischem Öl versorgt wurde. | |
Für Deutschlands Beitrag zum internationalen Klimaschutz will Habeck 685 | |
Millionen Euro ausgeben – etwa so viel wie im Jahr zuvor. Entlastet wird | |
sein Etat dadurch, dass die Ansiedlung neuer Chipfabriken wie die von Intel | |
bei Magdeburg künftig aus dem dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) | |
bezahlt werden soll. Der KTF finanziert sich aus Erlösen aus dem | |
Europäischen Emissionshandel und durch die CO2-Bepreisung von Sprit oder | |
Heizöl. Derzeit soll der CO2-Preis von momentan 30 Euro pro Tonne im Jahr | |
2024 auf 35 Euro klettern. Viel zu wenig, sagen KlimaexpertInnen. Ob er | |
noch mehr zulegt, ist in der Ampel offenbar noch nicht abschließend | |
geklärt. Kai Schöneberg | |
## Familie: Streit über Kindergrundsicherung bleibt | |
Familienministerin Lisa Paus (Grüne) muss in ihrem Etat eine halbe Million | |
Euro einsparen, für das Jahr 2024 sind im Haushaltsentwurf noch 13,35 | |
Milliarden Euro vorgesehen. Weil das allermeiste Geld fest gebunden ist und | |
sie bei anderen flexiblen Posten wie der Demokratieförderung nicht | |
streichen will, hat sich Paus für eine Kürzung beim Elterngeld entschieden | |
– allerdings nicht ganz so, wie sich Finanzminister Christian Lindner (FDP) | |
das wohl vorgestellt hat. | |
Statt die Leistungen allgemein zu verringern, will Paus die | |
Einkommensgrenze senken, bis zu der Eltern das Geld erhalten. Paare, die | |
gemeinsam ein zu versteuerndes Einkommen von mehr als 150.000 Euro haben, | |
also etwa 180.000 Euro brutto verdienen, sollen nicht mehr | |
anspruchsberechtigt sein. | |
Besonders umstritten ist in der Ampel die Ausgestaltung der | |
Kindergrundsicherung, mit der die Koalition Kinder aus der Armut holen | |
will. 100 Millionen Euro sind im Haushalt 2024 zur Vorbereitung vorgesehen. | |
Die Grundsicherung soll 2025 starten, sie soll verschiedene Leistungen | |
zusammenführen und digitalisieren, damit sie unkomplizierter beantragt | |
werden können. | |
Auch soll künftig die zuständige Behörde die Familien, die einen Anspruch | |
auf den einkommensabhängigen Kinderzuschlag haben, darauf aufmerksam | |
machen. Derzeit wird dieser von sehr vielen Familien, die ihn bekommen | |
würden, nicht beantragt. | |
Ob darüber hinaus auch Leistungen erhöht werden, etwa durch Neuberechnung | |
des „soziokulturellen Existenzminimums“, also den Teil des Bürgergelds, der | |
Kindern und Jugendlichen zusteht, ist in der Koalition umstritten. Über die | |
finanzielle Ausgestaltung ab 2025 wird noch gerungen – es geht um eine | |
Summe zwischen 2 und 7 Milliarden Euro. Paus hatte ursprünglich 12 | |
Milliarden gefordert. Ende August will sich das Kabinett auf einen | |
Gesetzentwurf einigen, dann muss auch die Finanzierung geklärt werden. | |
Sabine am Orde | |
## Kanzleramt: Größer als das Weiße Haus | |
Auch das Kanzleramt muss sparen, 186 Millionen Euro, vor allem bei der | |
Verwaltung. Ein großer Kostenpunkt dagegen bleibt: Ein sechsgeschossiges | |
Hufeisen auf 60.000 Quadratmetern samt Kanzlerwohnung und | |
Hubschrauberlandeplatz – das Kanzleramt am Spreebogen soll erweitert | |
werden. Die Kosten für den Bau wurden im vergangenen Jahr noch auf 637 | |
Millionen Euro veranschlagt, inzwischen geht das Bundespresseamt von 777 | |
Millionen Euro aus. | |
Der Haushaltsausschuss des Bundestags hat Ende September grünes Licht | |
gegeben. Viele fragen sich jedoch, ob so ein Gigabau wirklich sein muss. | |
Das Bundeskanzleramt führt Sicherheitsgründe und die Platznot im Kanzleramt | |
an, die dazu führe, dass derzeit zusätzliche Räume angemietet werden | |
müssten, um 270 Mitarbeiter:innen einen Arbeitsplatz zu stellen. | |
Verständlich, aber gibt’s da nicht günstigere Alternativen? Bürocontainer | |
oder Ähnliches? Aus dem Kanzleramt heißt es, die Planungen, die übrigens | |
aus Zeiten Angela Merkels stammen, seien schon zu weit vorangeschritten, | |
sie zu stoppen sei teurer, als das Projekt jetzt durchzuziehen. Doch | |
eigentlich sollte schon zu Jahresbeginn mit dem Bau begonnen werden, bis | |
2028 will man fertig sein. Aber wir sind ja in Berlin, da gilt | |
grundsätzlich: Alles wird teurer und dauert außerdem viel länger. Und wer | |
weiß, wer 2025 im Kanzleramt sitzt. Anna Lehmann | |
## Verteidigung: Was kann man hier sparen? | |
Alle müssen sparen? Nein, ein Minister darf klotzen statt kleckern: Der | |
Verteidigungsetat von Boris Pistorius steigt, und zwar von 50,1 auf 51,8 | |
Milliarden Euro. Wobei es irreführend wäre, nur diese Erhöhung von rund 1,7 | |
Milliarden Euro im Blick zu haben. Die dient vor allem zur Finanzierung der | |
Gehaltserhöhungen bei der Bundeswehr aufgrund des Tarifabschlusses im | |
öffentlichen Dienst. Aber da gibt es ja noch das schuldenfinanzierte | |
Sondervermögen der Bundeswehr, aus dem zusätzlich etwa 19 Milliarden | |
zugeschossen werden, um das Zweiprozentziel der Nato zu erfüllen. Macht | |
insgesamt 71 Milliarden Euro. | |
Mit dem Geld ließe sich viel Sinnvolles anfangen und gesellschaftlich | |
Nützliches finanzieren. Stattdessen ermöglicht es dem | |
Verteidigungsministerium neben der Anschaffung teuren neuen Kriegsgeräts | |
auch, die Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit von 3,8 auf 6 Millionen zu | |
erhöhen. Aber es wird auch gespart bei der Truppe: Der Etatposten | |
„Beschaffung und Haltung von Tieren“ sinkt von 1,56 auf 1,53 Millionen | |
Euro. Pascal Beucker | |
8 Jul 2023 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Herrmann | |
Ralf Pauli | |
Anja Krüger | |
Anna Lehmann | |
Kai Schöneberg | |
Sabine am Orde | |
Pascal Beucker | |
Leila van Rinsum | |
Barbara Dribbusch | |
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