# taz.de -- Daniel Cohn-Bendit über Terror in Paris: „Wir müssen die Angst … | |
> Der Politiker spricht über die „Generation Bataclan“ und die richtige | |
> Strategie im Kampf gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“. | |
Bild: Ein selbst gebastelter Altar für die Opfer des Anschlags in Paris | |
taz: Herr Cohn-Bendit, wie geht es Ihnen? | |
Daniel Cohn-Bendit: Na ja, wir sind hier in Paris, in der „Hauptstadt des | |
Krieges“. Im Stadtteil Saint-Denis ist die Schießerei unter der Woche | |
weitergegangen, da kann noch einiges auf uns zukommen. | |
Nach dem Attentat auf Charlie Hebdo im Januar sagten Sie uns: Wir müssen | |
jetzt rationalisieren, nicht emotionalisieren. Bevor wir das hier tun, die | |
Frage: Wie erleben Sie derzeit die Stimmung in Paris, wenige Tage nach der | |
Anschlagsserie? | |
Gemischt. Die Leute, die ich treffe oder auf der Straße spreche, sagen | |
einerseits: Wir lassen uns unsere Art, zu leben, nicht wegnehmen. Wenn wir | |
jetzt klein beigeben, uns verkriechen, dann haben die Terroristen gewonnen. | |
Andererseits gibt es eine große Angst. Ich habe gerade mit dem früheren | |
französischen Fußballnationalspieler Vikash Dhorasoo gesprochen. 42 Jahre | |
alt, ein Linker. Er betreibt über den Fußball viele Initiativen für | |
Jugendliche in den Stadtteilen. Und Vikash Dhorasoo sagt: Ich gehe derzeit | |
nicht aus dem Haus; und ich werde am Wochenende mit meiner Frau und meinen | |
Kindern ganz sicher nirgendwo auf der Terrasse eines Cafés sitzen. Letzten | |
Mittwoch waren die Kinos leer. In einer Nachmittagsvorstellung der „Neuen | |
Abenteuer Aladins“, zu der normalerweise Hunderte Eltern mit ihren Kindern | |
kämen, saßen ganze sieben Zuschauer. | |
Nachvollziehbar. | |
Klar. Also es gibt beides: die positive Trotzreaktion und eine große | |
Furcht. Wenn man auch bedenkt, wie lange das Feuergefecht unter der Woche | |
in Saint-Denis mit der IS-Zelle gedauert hat, dann sind die Leute natürlich | |
zusätzlich schockiert. Dazu die Länderspielabsage in Deutschland, auch wenn | |
wir über die tatsächliche Gefährdung dieses Fußballspiels wenig wissen. In | |
der Realität ist es aber eine weitere Terrormeldung. Und dann wissen die | |
Menschen in Paris auch: In zwei Wochen wollen wir 90 Staatschefs hier zum | |
Klimagipfel empfangen. | |
Schwierig. | |
Ja, die Diskussion ist schon im Gange. Wahrscheinlich wird es keine | |
Demonstrationen und öffentlichen Kundgebungen geben. Der Klimagipfel und | |
die Proteste dagegen werden in klar definierten Räumen stattfinden. Darüber | |
kann man streiten, soll man diskutieren. Das Beispiel des Anschlags auf die | |
Friedensdemo in Ankara, bei dem es 109 Tote gab, ist jedoch in aller | |
Köpfen. Tatsache ist, dass nicht nur die Behörden, sondern die Franzosen | |
vor einem riesigen Dilemma stehen: Weiterleben, weitermachen und in Kauf | |
nehmen, dass erneut etwas Schreckliches passieren kann – oder nachgeben, um | |
sich in Sicherheit zu bringen? | |
Haben Sie oder Freunde von Ihnen persönlich Opfer unter den vielen Toten | |
und Verletzten zu beklagen? | |
Zwei Tage nach der Attentatsserie war ich bei sehr guten Bekannten beim | |
Essen. Ihr Sohn war in einem der Restaurants, wo es allein 19 Tote gab, in | |
der Rue Charonne. Sie feierten dort am 13. November einen Geburtstag. Sie | |
tranken, und dann haben einige seiner Freunde gesagt, wir gehen jetzt eine | |
rauchen. Er, auch Raucher, ist nicht rausgegangen. Dann kam der Angriff. | |
Zwei der Freunde von ihm starben. Eine Freundin hat ein Bein verloren, | |
erlitt einen Bauchschuss. Er hat sie rausgezogen unter all den Leichen. Das | |
ist schrecklich, traumatisierend. Seit den Ereignissen vom Freitag leben | |
die Überlebenden dieser Gruppe wie ein kleiner Stamm zusammen. Sie ziehen | |
von Wohnung zu Wohnung, diese zehn oder zwölf Menschen. Sie trösten sich, | |
versuchen über die Ereignisse zu sprechen. Es traf in Paris überwiegend die | |
Generation zwischen 20 und 40 Jahren. Weltoffene Menschen. Das 11. | |
Arrondissement, wo die Massaker stattfanden, die Konzerthalle Bataclan, das | |
ist die kosmopolitische, offene Stadt. | |
Die Zeitung Libération spricht von der „Generation Bataclan“. | |
Ja, es ist die urbane französische Gesellschaft, die kosmopolitische, die | |
gemischte, die unmittelbar ins Herz getroffen wurde. Der Angriff galt den | |
Franzosen und diesem Lebensstil. | |
Ist es ein elitärer Lebensstil, der da angegriffen wurde? | |
Unsinn. Es ist ein Lebensstil unterschiedlicher Schichten, der da | |
angegriffen wurde. Also, man muss jetzt mal aufpassen, was man so sagt. Wir | |
wissen vieles noch nicht, aber die Islamisten behaupten doch ganz offen, | |
dass sie in Paris die Dekadenz der hedonistischen Gesellschaft attackiert | |
haben. Bei dem Angriff auf das Bataclan können zudem antisemitische Motive | |
eine Rolle gespielt haben. Der vorige jüdische Besitzer wurde bedroht. Die | |
Ermittler schließen dies als zusätzliches Motiv nicht aus. Alljährlich fand | |
im Bataclan eine Benefizveranstaltung für Israel statt, organisiert von | |
einer jüdischen Initiative. | |
Neben den Hedonisten im 11. Arrondissement wurde auch das Stade de France | |
und das Länderspiel Frankreich – Deutschland attackiert. Wie würden Sie die | |
neue Qualität der Anschlagsserie vom 13. November charakterisieren? | |
Die Anschläge im Januar auf Charlie Hebdo und den koscheren Supermarkt | |
waren noch relativ zielgerichtet. Auf Intellektuelle, Zeichner, die den | |
Propheten beleidigt haben sollen. Gegen Polizisten, die sie schützen, oder | |
Putzfrauen, die für sie arbeiten. Und gegen Juden, die für sie Feinde sind. | |
Die Attentate vom Freitag, den 13. November beinhalten nun eine weitere | |
Dimension des Schreckens. Jede und jeder, der in Frankreich lebt, sich mit | |
dem hiesigen Lebensstil identifiziert, ins Fußballstadion geht, in eine | |
Kneipe, ins Konzert, ist Teil eines höllischen Lasters und ein Feind, den | |
man ermorden darf. | |
Wie kann man diesen Terror in Worte fassen? Ein neuer faschistischer | |
Volkskrieg? | |
Es ist ein islamischer Faschismus. Es ist nicht der Islam, der faschistisch | |
ist, aber es gibt den Islamofaschismus. Sie berufen sich auf einen Islam | |
und handeln wie Faschisten. Da muss man nicht drum herumreden: Wir haben es | |
mit einer aktiven terroristischen und faschistischen Mörderbande zu tun, | |
einem Mörder"staat“ in Anführungsstrichen, dem „Islamischen Staat“. | |
Präsident Hollande sagt, Frankreich befinde sich im Krieg. Hat er damit | |
recht? | |
Nein. Krieg gibt es in Syrien. Wenn ich mit jungen Menschen spreche, die | |
den Freitag überlebt haben, beschreiben sie den Angriff als kriegerischen | |
Moment. Die Kugeln, die auf sie abgefeuert wurden, kamen aus Kalaschnikows. | |
Die Wucht, das Schreckliche, es war ein kriegerischer Moment. Das Massaker | |
in der Konzerthalle Bataclan, wo sie töteten und töteten, auf eine Menge | |
von Menschen in einem geschlossen Raum immer wieder schießen. Die | |
Konzertbesucher liegen auf dem Boden, schreien: Nein, nein! Und wieder und | |
wieder schießen die Attentäter da hinein. Das sind Momente von Krieg und | |
Vernichtung. | |
Also nennen wir es doch Krieg? | |
Nein. Denn was bringt uns das? Wenn wir jetzt sagen, es ist Krieg, dann | |
gehen unsere Kinder nicht mehr raus. Nicht mehr in die Schule. Sie bleiben | |
zu Hause und verstecken sich unterm Bett. Wir müssen unsere Angst | |
überwinden. Und das kann man nicht, wenn man von Krieg redet. Das ist das | |
Erste. Und das Zweite: Der Islamofaschismus hat natürlich ein politisches | |
Ziel. Sie wollen die muslimischen und nichtmuslimischen Menschen in Europa | |
gegeneinander aufhetzen. Triumphiert als Reaktion darauf jetzt die | |
Islamophobie, hätten sie gewonnen. Dann müssten sich die Muslime gegen den | |
Rest der Gesellschaft verteidigen. Wir wollen aber weder Rassismus noch | |
Bürgerkrieg. | |
Und dennoch: Der IS führt Krieg im Nahen Osten, und er rekrutiert Leute in | |
Europa. Die Attentate sind zwischen Frankreich und Syrien verlinkt. | |
Richtig. Der IS führt Krieg in Syrien und Irak. Und sagt, Frankreich, ist | |
Teil dieses Krieges. Und deswegen ist Frankreich im Moment die | |
Hauptzielscheibe in Europa. Er hat aber auch andere im Visier. In | |
Frankreich ereigneten sich grauenhafte Anschläge, aber das ist noch kein | |
Krieg. | |
Der IS zielt auf Frankreich auch wegen seiner vielen Einwanderer aus | |
Nordafrika. Er hofft, in den muslimischen Migrationsmilieus Unterstützung | |
zu finden. Nicht ganz unberechtigt, oder? | |
Moment, Moment. 30 Prozent der jungen Franzosen, die nach Syrien in den | |
heiligen Krieg ziehen, sind laut offiziellen Erkenntnissen Konvertiten. | |
Das weiß man sicher? | |
Ja. Die Sicherheitskreise reden darüber nicht gern öffentlich. Sie wollen | |
nicht zusätzlich Angst machen. Zuständig für das Waffenarsenal des IS im | |
Ausland, des „Islamischen Staat“ in Rakka, ist zum Beispiel ein | |
konvertierter Bretone. Die Audiobotschaft des IS zu den Anschlägen vom | |
Freitag sprach ein konvertierter Franzose. Neben diesen Konvertiten kommt | |
aber ein weiteres gefährliches Moment beim IS hinzu. Hinter dem IS stehen | |
auch Strategen aus Saddams Husseins altem irakischem Machtapparat – | |
früherer Geheimdienst, Militär plus Baath-Partei. | |
Wir müssen also stärker über Politik und die wirkliche Struktur des IS | |
sprechen, die Religion dient nur als Maske? | |
Im IS kommen verschiedene Negativkräfte zusammen. Im Irak hat man über die | |
Intervention gegen Diktator Saddam Hussein ein Machtgefüge gesprengt und | |
eine Gesellschaft in ihre Einzelteile zerlegt. Mit all den nun absolut | |
auftretenden Widersprüchen. | |
Das hilft uns jetzt aber auch nicht weiter. Wie al-Qaida vorher in | |
Afghanistan nutzt der IS nun Syrien und Irak als Symbol und | |
Aufmarschgebiet, um weltweit Anschläge zu verüben. | |
Deswegen sage ich ja auch nicht, dass die Intervention gegen den IS in | |
Syrien falsch ist. Aber man muss sich auch politische Fragen stellen, wie | |
ein neues stabiles Machtgefüge dort aussehen könnte. Ohne einen Teil des | |
alten zu übernehmen, wird es kaum eine Lösung geben. Ein offen | |
ausgetragener Kampf zwischen Schiiten und Sunniten hat Auswirkungen bis | |
nach Europa, kann in Ländern wie Frankreich zur Radikalisierung unter | |
einem Teil der Jugendlichen führen und zu Attentaten wie dem am 13. 11. | |
Gut, man muss die Lage in Syrien politisch und militärisch stabilisieren. | |
Aber das kann dauern. Unabhängig davon: Was kann, was muss man in | |
Frankreich nun tun? | |
Eine verschärfte Sicherheitspolitik allein wird kaum erfolgreich sein. | |
Natürlich ist die Situation gefährlich, und die Polizei muss diese | |
faschistischen, mörderischen Angriffe abwehren. Man muss über einzelne | |
Bestimmungen des Ausnahmezustands diskutieren. Aber man hüte sich davor, | |
mit dem Gestus der Besserwisserei, wie es die taz auch manchmal tut, | |
daherzukommen. Die französische Gesellschaft ist derzeit sehr labil. Sie | |
erwartet zu Recht, dass Staat, Polizei und Geheimdienste sie schützen. | |
Versagt in ihren Augen die Regierung Hollande, weil sie zu weich ist, steht | |
Marine Le Pen schon in den Startlöchern. Gleichzeitig stellt sich die | |
Frage: Warum ziehen Konvertiten in den Krieg und warum gibt es Menschen, | |
oft junge aus der Banlieue, die der Propaganda des IS folgen? | |
Und, warum? | |
Es gibt viele Gründe der Desorientierung wie die hohe | |
Jugendarbeitslosenquote, 25 Prozent in Frankreich, in Belgien kaum weniger. | |
Ganze Gruppen junger Menschen fühlen sich als Muslime abgelehnt. Manche | |
wachsen in mehreren Generationen der Arbeitslosigkeit in weitgehend | |
abgehängten Stadtvierteln heran. Die begreifen das als eine Art von | |
sozialer Stadtviertel-Apartheid. Denen müssen wir bessere Perspektiven | |
geben. Früher orientierte man sich als Klasse eher nach links (Kommunismus) | |
oder rechts (Faschismus). Heute wird die bestimmende Ideologie dort über | |
die Religion, den Islamismus formuliert. Das ist nicht der Islam, ich weiß | |
auch gar nicht, was der Islam ist. Aber die Interpretation des Islam hat | |
eine sonderbar faszinierende Wirkung auf viele Menschen. | |
Können Sie das konkretisieren? | |
Ich habe im Radiosender Europe 1, für den ich ja auch arbeite, eine | |
Aufnahme gehört. Eine Predigt in einer Moschee für Kinder in Frankreich, | |
die in den Islam eingeführt werden. Da sagt der Prediger in Französisch: | |
„Wenn du eine Geige, eine Trompete, eine Elektrogitarre hörst, was ist | |
das?“ Darauf antworten die Kinder im Chor und auf Arabisch: „Das ist des | |
Teufels.“ Die Rekrutierung findet auch andere Wege als über solche | |
Moscheen. Aber das ist trotzdem unfassbar und gruselig. Es muss auch einen | |
Kampf der Muslime um einen aufgeklärten Islam geben. | |
Warum wird ein solcher Schuppen nicht sofort dichtgemacht? | |
Gute Frage. Nach den Anschlägen wurde er es jetzt gerade. Die französische | |
Justizministerin gab bekannt, dass sie zuletzt 30 extremistisch orientierte | |
Moscheen geschlossen haben. Das ist oft kompliziert, wir leben in einem | |
Rechtsstaat. 20 bis 30 Prozent der Moscheen in Frankreich sollen unter | |
Einfluss der Salafisten stehen. Für die Behörden ist es vielleicht sogar | |
besser, sie nicht zu schließen. So können sie die Szene leichter | |
beobachten. | |
Sind diese Prediger Franzosen, oder werden sie aus dem Ausland geschickt? | |
Teils, teils. Problematisch ist, dass viel aus dem Ausland finanziert wird. | |
Saudi-Arabien, Katar. Aber um das deutlich zu sagen: Zum Glück wollen die | |
meisten Jugendlichen muslimischer Herkunft, auch wenn sie arbeitslos sind, | |
nicht in den Dschihad ziehen. Die Biografien derjenigen, die als | |
Konvertiten oder geborene Muslime den Schritt zum Islamofaschismus gehen, | |
die müssen wir genau anschauen. Auch die Faszination, die der IS auf manch | |
junge Frau ausübt. Bei dem Feuergefecht im Pariser Stadtteil Saint-Denis | |
hat sich jetzt erstmals in Frankreich eine junge Frau selbst in die Luft | |
gesprengt. Sie galt lange als Partyqueen und hat sehr gerne Wodka | |
getrunken. | |
Das offizielle Frankreich scheint hilf- und sprachlos. | |
Präsident Hollande hat in einer Rede jetzt gesagt, der Sicherheitspakt | |
schlägt den Stabilitätspakt. Also, Frankreich muss jetzt in Sicherheit | |
investieren, in Polizei und Nachrichtendienst. Egal ob es damit die | |
Kriterien des europäischen Stabilitätspakts erfüllen kann oder nicht. Aber | |
er hätte sagen müssen: Der Sicherheitspakt und der Solidarpakt schlagen | |
zusammen die Argumente für den Stabilitätspakt. Sicherheit schafft man doch | |
nicht allein mit Gewehren. Hollandes Regierung müsste fünf oder zehn | |
Milliarden Euro in die Hand nehmen, um zusammen mit den Arbeitgebern sofort | |
die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Wir müssen die jungen Menschen, die sich | |
ausgestoßen fühlen, wieder in den sozialen und ökonomischen Prozess | |
integrieren. Man muss die soziale Apartheid, die ungleichen Chancen, die du | |
hast, je nachdem aus welchem Viertel du stammst, in Frankreich überwinden. | |
Ist der Begriff der Apartheid für die soziale Beschreibung in Westeuropa | |
nicht viel zu stark? | |
Wir sollten mal zusammen durch Molenbeek bei Brüssel spazieren gehen. | |
Machen wir, wir sind dabei. | |
Dann würdet ihr sehen, dass es Stadtviertel gibt, die von Verwaltung und | |
Polizei teilweise aufgegeben wurden. Und in diesen Stadtvierteln wird nicht | |
nur mit Drogen gedealt. Soziale Apartheid nenne ich es, wenn der Staat über | |
mehrere Generationen hinweg Familien in ganzen Quartieren vernachlässigt | |
und trotz Sozialhilfe, die gibt es natürlich, keinerlei Weg aus der | |
Dauerarbeitslosigkeit aufzeigt. | |
Das ist immer noch von der Beschreibung rassistischer Ordnungen wie im | |
früheren Südafrika entfernt. | |
Nennt es, wie ihr wollt. Den Apartheidsbegriff hat der französische | |
Premierminister nach den Charlie-Hebdo-Anschlägen in die Diskussion | |
geworfen. Er meinte, wir müssten Situation und Chancen für Menschen aus | |
abgehängten Vierteln verbessern. Der allergrößte Teil der Menschen, die | |
dort leben, will nicht in den Dschjihad. Die spielen auch lieber Fußball | |
und hören Musik. Doch wir müssen die fünf Prozent im Auge haben, die wegen | |
ihrer Perspektivlosigkeit anfällig sind, sie in die Gesellschaft | |
integrieren, um den Extremisten das Wasser abzugraben. | |
Und was bedeutet das jetzt für die Diskussion mit den Flüchtlingen in | |
Europa? | |
Sicherheitspolitisch sehe ich da überhaupt keinen relevanten Zusammenhang. | |
Selbst wenn einer der Attentäter, als Flüchtling getarnt, nach Frankreich | |
gekommen wäre. Ein Sicherheitsbeamter hat mit Recht gesagt, der Islamische | |
Staat muss nicht als Flüchtling getarnt reisen, um hier rein- und | |
rauszukommen. Der Hauptdrahtzieher soll permanent zwischen Rakka, Europa, | |
Griechenland, Brüssel und Paris hin und her gereist sein. Nicht als | |
Flüchtling getarnt. Also, da sollte man nun wirklich nichts | |
durcheinanderbringen. Die vielen Bürgerkriegsflüchtlinge kommen doch auch | |
hierher, weil Deutschland und andere Länder nicht genug Geld an das UNHCR | |
für die Flüchtlingscamps in Libanon, Jordanien und der Türkei überweisen. | |
Die Regierung Merkel hat 2013 und 2014 genauso wie die Hollandes die | |
Zuweisungen gekürzt. | |
Das hat jetzt aber auch nichts mit den Anschlägen zu tun. | |
Aber mit der Frage, wie wir solidarisch sein können und dem IS ein anderes | |
Weltbild entgegensetzen. Schaut doch: Auch dem einzigen Staat, in dem der | |
Arabische Frühling einigermaßen erfolgreich ist, Tunesien, hilft man nicht, | |
damit er sich stabilisieren kann. Haben Herr Schäuble und die Europäische | |
Union den Tunesiern ihre fünf Milliarden Euro Schulden erlassen? Nein. Das | |
haben wir immer noch nicht geschafft. Das wäre ein klares Zeichen der | |
Unterstützung, damit nicht die gesamte Region in die Hände der Islamisten | |
fällt. Der IS rüstet sich doch längst für die Entscheidungsschlacht um | |
Algerien. Daher hat er auch eine gewisse Anziehungskraft für die frühere | |
maghrebinische Migration in Frankreich und Belgien, versucht dort unbedingt | |
Fuß zu fassen. Das ist die geopolitische Situation, von Rakka bis Algier, | |
von Tunis bis Paris. | |
Und was folgt für die internationale Politik daraus? | |
Nach den Anschlägen von Paris sagt die französische Politik, Hauptfeind in | |
Syrien ist der IS, auch wenn Diktator Assad große Schuld auf sich geladen | |
hat. Und Präsident Hollande sucht wie Obama eine Einigung mit Putin. | |
Realpolitik kann teuflisch unmoralisch sein. Aber will man im Kampf gegen | |
den IS vorankommen, muss man die Russen einbeziehen. Die Verhandlungen in | |
Wien haben eine politische Lösung in Aussicht gestellt. Es gibt keinen | |
Masterplan. Man muss hoffen, dass eine Feuerpause zwischen den gemäßigten | |
Rebellen und Assad zustande kommt und eingehalten wird. Nur so kann der IS | |
zerschlagen werden, um dann später in Wahlen über die Zukunft Syriens zu | |
entscheiden. Dazu brauchen wir eine UN-Resolution, die sowohl den Ansatz | |
der Friedensgespräche in Wien sichert als auch den Einsatz von Waffengewalt | |
gegen den IS völkerrechtlich legitimiert. Und jetzt bleibt mir nur noch zu | |
sagen: Inschallah, möge alles besser werden. | |
20 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
Andreas Fanizadeh | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Antisemitismus | |
Islamismus | |
Paris | |
„Islamischer Staat“ (IS) | |
Muslime | |
Schwerpunkt Islamistischer Terror | |
Israel | |
Schwerpunkt 9/11 | |
Graphic Novel | |
Fußball | |
Anschläge | |
Banlieue | |
Schwerpunkt Islamistischer Terror | |
Tunesien | |
Tunesien | |
Tunesien | |
Brüssel | |
Uno | |
Flüchtlinge | |
Schwerpunkt Islamistischer Terror | |
Schwerpunkt Flucht | |
Schwerpunkt Islamistischer Terror | |
Brüssel | |
Schwerpunkt Islamistischer Terror | |
Schwerpunkt Islamistischer Terror | |
Schwerpunkt Islamistischer Terror | |
Frankreich | |
„Islamischer Staat“ (IS) | |
Frankreich | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Cohn-Bendit-Film über Jüdischsein: Reise nach Israel | |
Die ARD zeigt die Doku „Wir sind alle deutsche Juden“. Der Laizist Daniel | |
Cohn-Bendit berichtet darin über den jüdischen Anteil seiner Biografie. | |
Afghanistan und Terror nach 9/11: Nacht über Kabul | |
Trotz Nato-Rückzug: Der islamistische Netzwerk-Terrorismus muss weiterhin | |
international militärisch bekämpft werden – auch in Afghanistan. | |
Graphic Novel „Der Araber von morgen“: Multikultur für Anfänger | |
Riad Sattouf erzählt eine Kindheit zwischen Europa und dem Nahen Osten – | |
mit subversivem Witz gegen Antisemitismus und das Patriarchat | |
Klassenkampf auf dem Fußballplatz: Daheim in der Fremde | |
Der Arbeiterklub Red Star Paris will dem Kommerzverein Paris St.-Germain | |
irgendwann die Stirn bieten. Derzeit geht es aber um den Verbleib in der 2. | |
Liga. | |
Fußball-Länderspiele und der Terror: Die Angst und der Anpfiff | |
Für die Fußball-EM in Frankreich gilt nicht erst seit Brüssel die höchste | |
Alarmstufe. Bei der DFB-Elf würde man dennoch gern nur über Fußball | |
sprechen. | |
Schul-Workshops in der Pariser Banlieue: Unsere Lehrer sind Vampire | |
Ein Gymnasium in der Banlieue Bagnolet bietet integrative Workshops an. | |
Diese stehen jedoch im Schatten der jüngsten Anschläge. | |
Motive der Pariser Attentäter: Was machte sie zu Massenmördern? | |
Die meisten Täter der Pariser Anschläge sind identifiziert, ihre | |
Beweggründe werden klarer. Geeint hat sie die Geltungssucht ihres | |
Anführers. | |
Tunesien nach dem Attentat: „Wir werden die Terroristen besiegen“ | |
Nach dem Sprengstoffanschlag in Tunis spricht der Präsident vom „Krieg | |
gegen den Terrorismus“. Der IS bekennt sich zu dem Anschlag. | |
Nach dem Anschlag in Tunis: Ausnahmezustand in Tunesien | |
Ein Bombenanschlag auf den Bus der Präsidentengarde hat zwölf Menschen | |
getötet. Präsident Beji Caid Essebsi verhängt für 30 Tage den | |
Ausnahmezustand. | |
Anschlag auf Präsidentengarde: 14 Tote in Tunesien | |
Im Zentrum von Tunis gab es offenbar einen Anschlag auf einen Bus der | |
Präsidentengarde. Bei einer Explosion sollen 14 Menschen getötet worden | |
sein. | |
Angst vor Anschlägen in Belgien: Razzien und Terroralarm in Brüssel | |
Die Gefahr ist nicht gebannt: Bei Polizeieinsätzen in Belgien gab es über | |
20 Festnahmen. Aus Sorge vor Anschlägen bleibt Brüssel im Ausnahmezustand. | |
Militärische Allianz gegen Terrormilizen: Bündnis gegen den IS formiert sich | |
Frankreich, USA, Russland und Großbritannien verbünden sich militärisch | |
gegen den „Islamischen Staat“. Allen voran: François Hollande. | |
Syrische Flüchtlinge vor dem Lageso: Zweifel am militärischen Vorgehen | |
Geflüchtete Syrer in Berlin zeigen sich solidarisch mit den Opfern der | |
Anschläge in Paris. Doch die Terrormiliz IS lässt sich nicht von außen | |
besiegen. | |
Kommentar Bedrohung durch den Terror: Die Normalität verteidigen | |
Terroristen wollen einen Gegensatz zwischen dem Westen und dem Islam | |
herstellen. Aber generelle Furcht vor Muslimen wäre fatal. | |
Geflüchtete Kinder in der Türkei: Im Visier der Radikalen | |
Hunderttausende syrische Kinder in der Türkei gehen nicht zur Schule. Viele | |
hoffen auf die Rückkehr, andere werden von den Schulen abgewiesen. | |
Ausnahmezustand in Brüssel: Polizei sucht zwei Terroristen | |
In Brüssel herrscht weiter Angst: Ein Stadtteil-Bürgermeister warnt, zwei | |
sehr gefährliche Terroristen seien in der Region. | |
Brüssel im Ausnahmezustand: Terrorwarnung auch am Sonntag | |
Keine U-Bahn, kein Shopping: Auch am Sonntag gilt in der belgischen | |
Hauptstadt die höchste Terrorwarnstufe. Die EinwohnerInnen sollen zu Hause | |
bleiben. | |
Maßnahme der belgischen Regierung: Höchste Terrorwarnstufe in Brüssel | |
Belgien reagiert auf eine Anschlagsdrohung: Die U-Bahnen fahren nicht, | |
mehrere Fußballspiele wurden abgesagt. In der Türkei wurden drei | |
Terrorverdächtige festgenommen. | |
Ermittlungen nach dem Terror: Möglicher Paris-Mitwisser | |
Er brüstete sich vor den Anschlägen, etwas werde „passieren“ – jetzt | |
ermittelt die Bundesanwaltschaft gegen einen Algerier aus Arnsberg. | |
IS und Islam: Sollten Muslime sich distanzieren? | |
Nach dem Terror von Paris haben Muslime das Gefühl, sich erklären zu | |
müssen. Der Vorwurf: Islam und IS gehören zusammen. | |
Debatte Bedrohung und Terror: Krieg der Angstmacher | |
Nicht Orte der Macht fielen dem Terror in Paris zum Opfer, sondern Orte des | |
Spiels. Die Attacken bedrohen die Vielfalt der Lebensformen. | |
Terrorismus in Frankreich: Attentäter nach Anschlägen gefilmt | |
In St. Denis wurde eine weitere Leiche gefunden. Die Selbstmordattentäterin | |
Hasna Boulahcen wurde erst vor wenigen Monaten radikalisert. | |
Kommentar Hollandes Sicherheitsgesetze: Marine Le Pen freut sich | |
Die Machtfülle des französischen Präsidenten wächst weiter. Er kann künftig | |
die Demokratie außer Kraft setzen. Das könnte böse Folgen haben. |