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# taz.de -- Asylpolitik im Koalitionsvertrag: Der nächste Streit um die Asylpo…
> Wenige Stunden nach Präsentation des Koalitionsvertrags diskutierten
> Migrations-Expert*innen in Berlin. Was bedeutet ein Kanzler Merz für
> Geflüchtete?
Bild: „Wie kann die SPD das schlucken?“ Lars Klingbeil bei der Vorstellung …
Berlin taz | Man hätte gern gewusst, was Hans-Eckart Sommer über den
[1][Koalitionsvertrag] von Union und SPD denkt. Immerhin ist der Präsident
des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) nicht nur für die
Umsetzung der Asylpolitik zuständig, sondern hat kürzlich auch [2][die
Abschaffung des Asylrechts gefordert]. Am Mittwochabend steckt er aber mit
der Bahn fest, irgendwo hinter Bamberg, wie es heißt. Sein Platz bei der
Podiumsdiskussion des MIDEM-Migrations-Instituts der Technischen Uni
Dresden und der Merkator Stiftung bleibt leer.
So ist es den anderen Diskussionsteilnehmer*innen überlassen, die
Frage zu beantworten, die MIDEM-Chef Hans Vorländer aufwirft: „Neue
Bundesregierung, neue Migrationspolitik?“ Konkret diskutiert wird vor allem
die Asylpolitik, um Fachkräftemigration geht es kaum. Ohne Sommer fällt
Ulrich Weinbrenner die Rolle zu, den Staatsapparat an diesem Abend zu
vertreten. Und was der Leiter der Abteilung Migration im
Bundesinnenministerium (BMI) zu sagen hat, ist für einen Spitzenbeamten
auffallend deutlich.
Etwa: „Das, was im Koalitionsvertrag steht, ist nur eine Seitwärtsbewegung
zu dem, was wir jetzt machen.“ Soll heißen: nur eine graduelle Veränderung
zu der Flüchtlingspolitik, die ohnehin schon läuft. Er habe mit konkreten
Schritten in Richtung von Drittstaatverfahren gerechnet, bei denen
Geflüchtete in andere Staaten gebracht werden, dort ihre Asylverfahren
durchlaufen und auch bei positivem Entscheid dort bleiben. Im
Koalitionsvertrag stehen dazu nur zaghafte Sätze.
Genauso verwundert zeigt sich Weinbrenner darüber, dass nur ein Teil der
Dublin-Abschiebungen beim Bund zusammengezogen werden sollen. Bisher sind
die Länder zuständig. „Keine groß disruptive Veranstaltung“ sei der
Koalitionsvertrag insgesamt, findet Weinbrenner. Überraschend freimütig
benennt er auch, was der Preis sein dürfte, wenn Union und SPD wie
angekündigt wieder direkt nach Afghanistan abschieben wollen:
„Konsularische Vertretung ist das, was die Afghanen fordern“. Zwar keine
offizielle Botschaft also, aber eben doch sehr viel Anerkennung für das
brutale Regime der Taliban.
## „Wie kann die SPD das schlucken?“
Viele andere Gesprächsteilnehmer*innen sehen in dem Koalitionsvertrag
dagegen durchaus eine ganz neue Qualität. Victoria Rietig, Leiterin des
Migrationsprogramms bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik
DGAP, spricht von „einigen Klöppern“ im Vertrag. Zwar habe die SPD „ihre
Karten gut gespielt“ und etwa die Staatsbürgerschaftsreform von 2023
weitgehend verteidigt. Viele der Pläne in der Asylpolitik seien aber
europarechtswidrig, die angekündigten Zurückweisungen an den deutschen
Grenzen außerdem de facto das Ende des Schengen-Raums. Auch die Möglichkeit
unbegrenzten Ausreisegewahrsams – „dauerhafte Haft“ – für ausländische
Straftäter und Gefährder sei ein drastischer Schritt.
Migrationsrechts-Professorin Pauline Endres de Oliveira von der
Humboldt-Uni Berlin (HU) sieht die Bundesregierung im „Gleichklang“ mit der
restriktiven Politik von EU-Komission und vielen anderen EU-Staaten. „Aber
das bedeutet nicht, dass sich die Bundesregierung auf
Kooperationsbereitschaft verlassen kann“. Im Zweifel verteidige jeder die
nationalen Interessen, insbesondere die Zurückweisungen dürfte das
schwierig machen.
Bei diesen beharrt Endres de Oliveira ohnehin darauf, dass sie rechtwidrig
sein dürften. „Schon Klagen gegen die Grenzkontrollen, die es bereits gibt,
sind immer wieder erfolgreich.“ Und die sind schließlich die Grundbedingung
für Zurückweisungen, die dann juristisch selbst noch weitaus heikler seien.
Endres de Oliveira beklagt außerdem, dass der Plan, Ukrainer*innen nur
noch Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu zahlen, deren
Kinder von angemessener medizinischer Versorgung ausschließe.
Ehrlich erschüttert zeigt sich Christian Joppke, Soziologie-Professor an
der Uni Bern. Seit einigen Jahren sei er nicht mehr in Deutschland gewesen,
zuletzt, als noch Begriffe wie „Willkommenskultur“ in der Luft lagen.
„Schockartig“ habe sich das gesellschaftliche Klima geändert, der
Koalitionsvertrag atme den Geist der 90er Jahre. „Wie kann die SPD das
schlucken?“
Raphael Bossong von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) deutet die
Abschnitte zur Flüchtlingspolitik im Koalitionsvertrag als „Versuch der
Befriedung“ des stark emotional aufgeladenen Themas in der Gesellschaft.
Das sei vorerst „vielleicht gelungen“. Er sieht aber auch neue Kontroversen
heraufziehen, wenn es um die konkrete Umsetzung gehe.
## „Der letzte Versuch“?
Offen sei auch, wem die Bundesregierung sich in Europa anschließe: Wie
bisher denen, die für eine halbwegs liberale Flüchtlingspolitik eintreten,
oder doch der restriktiv-autoritären Allianz um die osteuropäischen
Staaten. Auch die vage Ankündigung, die Reform des Gemeinsamen Europäischen
Asylsystems (GEAS) nicht nur umzusetzen, sondern weiterzuentwickeln, könne
ein Einfallstor für drastische Verschärfungen sein, warnt Bossong: „Diese
Schlacht wird zu schlagen sein.“
Hier steigt dann auch wieder Weinbrenner vom BMI ein und klingt plötzlich
gar nicht mehr so entspannt: „GEAS ist der letzte Versuch, das individuelle
Grundrecht auf Asyl zu erhalten.“ Scheitere die Umsetzung der letzten
Reform, dürften immer mehr europäische Regierungen auf ganz andere Methoden
setzen. Dann könnte der Schutz für Geflüchtete schnell wieder zu einem
Privileg werden, das Staaten nach Gutdünken vergeben – oder vorenthalten.
Es ist die Welt, die der abwesende BAMF-Chef Sommer sich wohl wünscht.
Noch einen Hinweis gibt Weinbrenner am Mittwochabend, der für viele wie
eine Warnung klingen dürfte: „Ich weiß nicht, wie die Politik auf den
nächsten Gewaltfall reagieren wird“. Einen wie den in Aschaffenburg im
Januar etwa, nach dem Friedrich Merz plötzlich bereit war, mit der AfD
zusammenzuarbeiten, um Zurückweisungen an der Grenze zu fordern. Sicher sei
nur, so Weinbrenner: „Es wird einen nächsten Fall geben.“
10 Apr 2025
## LINKS
[1] /Koalitionsvertrag-von-Union-und-SPD/!6081312
[2] /Fluechtlingsanwaeltin-ueber-Bamf-Chef/!6080261
## AUTOREN
Frederik Eikmanns
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