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# taz.de -- Umweltsenatorin über Klimaschutz: „Maßnahmen müssen umsetzbar …
> Berlins Senatorin Regine Günther (Grüne) über ihre Rolle bei den
> Klimaprotesten, Schnellladesäulen für Elektroautos – und die Frage der
> Radikalität.
Bild: Wollen immer mehr, als die Politik vorlegt: Klima-AktivistInnen
taz: Frau Günther, am Freitag vor der Wahl ist wieder Klimastreik. Machen
Sie mit?
Regine Günther: Nein. Ich kämpfe seit mehr als 20 Jahren für ambitionierten
Klimaschutz. Am Freitag vor der Wahl bin ich aber nicht auf der Straße.
Warum nicht?
Der Protest richtet sich an politisch Verantwortliche wie mich als Berliner
Klimaschutzsenatorin, aber auch etwa an Svenja Schulze und Peter Altmaier
im Bundeskabinett – also an jene, die auch für die Umsetzung von
Klimapolitik verantwortlich sind. Ich habe mich früher viele Jahre als
Klimaaktivistin an solchen Protesten beteiligt. Ich sympathisiere mit dem
Klimastreik und sehe auch die Notwendigkeit dafür, aber meine Rolle ist
momentan eine andere.
Wer hat den Klimaschutz in den letzten fünf Jahren mehr vorangebracht:
Fridays for Future oder die Politik?
Die Politik hat von Fridays for Future Druck bekommen, aber auch Rückenwind
für mehr Klimaschutz. Forderungen sind der Startpunkt. Sie müssen dann aber
auch operationalisiert werden.
Operationalisiert – was bedeutet das genau?
Die Forderungen müssen über konkrete Maßnahmen in Emissionsminderungen
umgesetzt werden. Und zwar vor allem in den drei großen Bereichen Energie,
Gebäude und Mobilität. Mit präzisen Instrumenten, sonst nützen die besten
Forderungen nichts. Es braucht beide, Politik und Protestierer, um den
Klimaschutz voranzubringen.
Geht Ihnen die zunehmende Radikalität vieler Klimaaktivisten nicht langsam
auf die Nerven? Jede Maßnahme, die die Politik aufgreift, und jedes neue
Reduktionsziel wird ja gleich wieder als zu schwach und zu langsam
kritisiert.
In Sachen Klimaschutz wurde 30 Jahre lang versäumt, jene Maßnahmen zu
ergreifen, die wirklich notwendig sind. Und die politisch Verantwortlichen
wussten das. Vielleicht nicht in der heutigen Detailschärfe, aber insgesamt
genug. Jetzt sind wir in dem Dilemma, die erforderlichen Maßnahmen in ein
immer kürzeres Zeitkorsett pressen zu müssen. Das kommt an seine Grenzen,
wenn wir über Infrastruktur sprechen: Schienenausbau, Anlagenbau, Dämmung
von Millionen Gebäuden – das alles braucht seine Zeit. Radikale Ziele sind
eben noch keine Umsetzung. Dass nur derjenige der radikalste Klimaschützer
ist, der die radikalsten Forderungen stellt, ist ein Missverständnis.
Erfolgreicher Klimaschutz spiegelt sich vor allem auf der Maßnahmenebene.
Konnten Sie denn radikale Maßnahmen umsetzen?
Wir haben in Berlin in den vergangenen fünf Jahren im Klimaschutz sehr viel
auf den Weg gebracht. Etliches davon ist in Deutschland einmalig. Wir haben
mit dem Berliner Energiewendegesetz nicht nur das anspruchsvolle Ziel
aufgestellt, bis spätestens 2045 klimaneutral zu sein. In Berlin wird nun
jedes Gesetzesvorhaben auf seine Klimarelevanz geprüft. Wir werden bis 2030
aus der Kohlenutzung aussteigen, wir werden als erstes Bundesland die
Fernwärme ökologisch regulieren. Parallel dazu haben wir initiiert, dass
sehr schnell Solaranlagen auf die Dächer öffentlicher Gebäude kommen. Wir
haben mit dem Mobilitätsgesetz, das bundesweit ohne Beispiel ist, die
Verkehrswende mit dem Vorrang von ÖPNV, Rad- und Fußverkehr eingeleitet –
also den Abschied von der autogerechten Stadt. Bei der energetischen
Sanierung der Gebäude muss in der nächsten Legislatur allerdings
entscheidend mehr passieren. Das hängt zu großen Teilen am Bund, weil es
sehr viel um Förderung geht.
Bis 2045 als Stadt klimaneutral zu sein, ist aber wirklich nicht radikal,
oder?
Wir haben vor wenigen Tagen eine Studie veröffentlicht, die in unserem
Auftrag untersucht hat, ob und wie es mit der Umsetzung in Berlin schneller
gehen könnte. Aber eben nicht auf der Grundlage von Wunschdenken, sondern
von maximal ambitionierten, noch möglichen Maßnahmen. Wir sind dabei nicht
von einer gegriffenen Sanierungsrate für die energetische Verbesserung der
Gebäude von 4 Prozent pro Jahr ausgegangen, wie es eine andere prominente
Studie getan hat. Denn jeder weiß, dass wir das nicht hinbekommen werden –
allein mit Blick auf die Kapazitäten des Handwerks. Unsere Studie hat
ergeben: Vor den 2040er Jahren ist Klimaneutralität in Berlin nicht zu
erreichen. Selbst bei einer riesigen Kraftanstrengung.
Das klingt hart.
Selbst die 70 Prozent weniger CO2-Emissionen bis 2030, die wir uns
vorgenommen haben, sind noch nicht in trockenen Tüchern. Wir haben noch
sehr viel zu tun, und deswegen müssen unsere Ziele und Maßnahmen hoch
ambitioniert, aber eben auch plausibel und nachvollziehbar sein.
Radikal ist also gar nicht so gut? Das Volksbegehren Klimaneutral Berlin
[1][fordert ein klimaneutrales Berlin bis 2030].
Je früher Klimaneutralität erreicht wird, umso besser. Ich habe aber
bislang kein einziges belastbares Szenario gesehen, wie das bis 2030 gehen
soll – also mit welchen wirklich umsetzbaren Maßnahmen. Natürlich müssen
unsere Ziele ambitioniert sein, aber innerhalb der Planungshorizonte auch
machbar. Wir können und müssen Verfahren beschleunigen, aber auch das hat
Grenzen, gerade in einer demokratischen Gesellschaft mit viel Beteiligung.
Sonst könnten wir genausogut sagen: Klimaneutralität bis 2030 ist nicht
schnell genug – warum nicht gleich bis 2024? Es gibt einfach objektive
Restriktionen, denen wir uns stellen müssen. Und 2030 kommt bereits in 8
Jahren.
Umgekehrt gefragt: Wenn selbst der Umbau einer Straße wie [2][Unter den
Linden voraussichtlich 12 Jahre] braucht, wie wir gerade erst erfahren
haben, wie will man dann bis 2040 die Wärmedämmung aller Gebäude in der
Stadt erneuern?
Indem man heute damit anfängt, entsprechende Förderungen anbietet und den
Infrastrukturumbau schnellstmöglich vorantreibt. Es gibt präzise Planungen,
was wir für den Fernwärme- und den Gebäudesektor in den nächsten zwei
Dekaden brauchen, und auch bei der Mobilität habe ich klare Vorstellungen,
wie wir hier schon bis 2035 zur Klimaneutralität kommen.
Können Sie das noch einmal skizzieren?
Entscheidend ist die Elektrifizierung der Kraftfahrzeuge. Um unsere Städte
lebenswert zu halten, brauchen wir weniger Autos – und die müssen
batterieelektrisch fahren. Als Land Berlin haben wir hier einiges auf den
Weg gebracht: Bis 2030 fahren sämtliche BVG-Busse elektrisch, auch für alle
anderen Landesflotten – ob Polizei, Feuerwehr, Grünflächenämter – gilt d…
Ziel einer Dekarbonisierung bis 2030. Im privaten Bereich steigen die
Zulassungszahlen für Elektroautos inzwischen exponentiell. Darauf müssen
wir uns vorbereiten, auch wenn Berlin derzeit gut aufgestellt ist bei den
Ladesäulen.
Mal konkret: Wie viele haben wir jetzt?
Aktuell haben wir rund 1.800 Ladepunkte – das ist im Bundesvergleich sehr
gut, reicht aber nicht für die kommenden Jahre. Wir müssen die
Ladeinfrastruktur in Berlin schnell ausbauen. Es geht dabei weniger um die
Anzahl der Säulen, sondern darum, welche Leistung sie haben. Ich bin für
einen ausreichenden Ausbau der Schnellladestationen, an denen ein E-Auto
innerhalb einer halben Stunde vollgeladen ist. Die brauchen wir an
Tankstellen, aber auch in Parkhäusern oder vor Supermärkten. Dazu eine
öffentliche Fläche pro Bezirk mit zum Beispiel jeweils 20 Säulen. In diese
Richtung müssen wir in den nächsten fünf Jahren gehen, um eine
Grundausstattung zu gewährleisten – damit keiner mehr Angst hat, sich ein
Elektroauto zu kaufen und es dann nicht laden zu können. Die Vorstellung,
dass wir die Stadt, den öffentlichen Raum, mit 50.000 leistungsschwachen
Ladesäulen zubauen, halte ich dagegen für abenteuerlich. Wir wollen ohnehin
nicht den Kfz-Bestand 1:1 austauschen – vom Verbrenner zum Elektroantrieb
–, schon aus Gründen der Verkehrssicherheit und der Flächengerechtigkeit.
Städte brauchen weniger Autos, wenn sie ihre Lebensqualität erhalten und
steigern wollen.
Derzeit besitzt grob jeder dritte Berliner ein Auto. Um wie viel sollte
dieser Anteil sinken?
Da lässt sich seriös keine genaue Zielzahl nennen, aber der Plan ist, dass
das ÖPNV-Angebot und die Radinfrastruktur bis spätestens 2030 so gut
werden, dass die Leute freiwillig umsteigen. Weil die Busse und Bahnen
komfortabel sind und rechtzeitig und häufiger kommen als heute. Und weil
die Radinfrastruktur für alle diejenigen attraktiv wird, die sich jetzt
noch nicht trauen.
Das heißt, Sie wollen Anreize für den Umstieg auf Elektroautos und
gleichzeitig, dass weniger Leute überhaupt Auto fahren. Das ist doch ein
Widerspruch.
Nein. Wenn jemand ein Auto braucht und möchte, dann sollte es ein
Elektroauto sein. Grundsätzlich wird es aber weniger Platz für Autos in der
Stadt geben.
Was heißt das konkret?
Städtische Flächen sind sehr wertvoll. Nur Parkplätze einzurichten, auf
denen Autos 23 von 24 Stunden am Tag herumstehen, ist keine
stadtverträgliche Nutzung. Wir werden die vorhandenen Flächen daher
umverteilen – vom Autoverkehr auf den Umweltverbund aus Fuß- und Radverkehr
sowie ÖPNV. Aber eben auch zugunsten anderer Nutzungen, Grünflächen,
Gebäude und vieles andere mehr. Und wir brauchen eine Zero-Emission-Zone in
Berlin, erst im S-Bahn-Ring, dann stadtweit. Das Ziel habe ich nicht
aufgegeben.
Sie hatten auch den Plan, die Parkgebühren deutlich zu erhöhen. Damit sind
Sie nicht wirklich vorangekommen.
Also an mir lag es nicht. Wir hatten im Senat auf meine Initiative hin
bereits 2019 im Luftreinhalteplan beschlossen, dass das Parken in den
unterschiedlichen Zonen nicht mehr 1, 2 und 3 Euro kosten soll, sondern 2,
3 und 4 Euro. Die entsprechende Verordnung wurde aber vom Innensenator
nicht mitgezeichnet, weil er Ausnahmen für einzelne Berufsgruppen
durchsetzen wollte. Ich kann aber nicht sagen: Alle müssen Parkgebühren
zahlen, nur eine bestimmte Berufsgruppe nicht. Schon aus rein rechtlichen
Gründen.
Und die Anwohnervignette, die immer noch noch fast lächerlich billig ist?
Da gibt es erst seit einem Jahr deutlich mehr Spielraum durch eine neue
bundesgesetzliche Regelung. Darüber wird in den kommenden
Koalitionsverhandlungen zu sprechen sein.
Wir hatten ja über Zeithorizonte gesprochen. Mit dem versprochenen Ausbau
des Tramnetzes sollten Sie in dieser Legislaturperiode eigentlich deutlich
weiter gekommen sein.
Wir sind hier deutlich weitergekommen, aber es geht um Infrastruktur und
damit um sehr lange Vorlaufzeiten. Ich habe nie mehr versprochen, als
gehalten werden kann. Planungsrecht zu schaffen dauert. Ich habe von Anfang
an gesagt: Der Ausbau der Tram braucht pro Linie durchschnittlich acht
Jahre. Und selbst das nur für den Fall, dass niemand den Klageweg
beschreitet. Wenn Sie dann in der Schublade keine Projekte vorfinden, bei
denen schon fünf Jahre abgearbeitet sind, werden Sie nicht vier Linien
fertigstellen und fünf Linien anfangen können – auch wenn es so im
Koalitionsvertrag steht.
Die [3][Ausbauziele der Tram], die im Koalitionsvertrag stehen, waren nicht
machbar?
Neun neue Projekte in fünf Jahren waren nicht machbar. In den 30 Jahren
seit dem Mauerfall sind überhaupt nur 12 Neubaustrecken eröffnet worden.
Wir planen jetzt 16 neue Strecken in 15 Jahren – das ist bereits mehr als
doppelt so viel –, und wir eröffnen die ersten. Im Übrigen haben wir von
Anfang an das Verkehrssystem in seiner ganzen Breite, also auch jenseits
von Radinfrastruktur und Tram, in den Blick genommen. Nur so kann die
Verkehrswende gelingen. Auch die Pendlerinnen und Pendler aus und nach
Brandenburg, zum Beispiel, brauchen zusätzliche Angebote. Deshalb haben wir
auf meine Initiative gemeinsam mit Brandenburg das 8-Milliarden-Projekt
i2030 zum Ausbau der S- und Regionalbahnverbindungen zwischen beiden
Ländern aufgesetzt. Und wir haben begonnen, neue U-Bahn-Strecken zu
untersuchen, erstmals seit Jahrzehnten. Wir haben in dieser Legislatur das
Fundament für eine andere Mobilität gelegt.
Wenn man MobilitätsaktivistInnen hört, klingt das anders.
Ja: Den einen geht es niemals schnell genug, den anderen passt die ganze
Verkehrswende nicht. Aber bleiben wir bei den Fakten: Was sieht man denn
seit Beginn dieser Legislatur in der Stadt? 30.000 neue
Fahrradabstellplätze, 130 Kilometer neue oder sanierte Radwege, 30
Kilometer Grünmarkierungen, Deutschlands erste Protected Bikelanes. Viele
Radstrecken davon in einer Breite und Qualität, die in Deutschland
ihresgleichen suchen. Eine Tramlinie, die jetzt in den Betrieb geht, und
eine, die im Bau ist. Ein Zehntel der BVG-Busflotte fährt inzwischen
elektrisch. Wir sehen Schülerinnen und Schüler, die für ihre ÖPNV-Tickets
nichts zahlen müssen, wir sehen 60 umgebaute Kreuzungen, die jetzt sicherer
sind als zuvor. Von 25 Kilometern neu angeordneten Busspuren haben die
Bezirke immerhin 10 umgesetzt. Man kann immer sagen: Alle 25 wären besser
gewesen. Aber insgesamt gab es in Berlin seit den 90er-Jahren nur 100
Kilometer Busspuren, im Vergleich dazu haben wir einen erheblichen Zuwachs
erreicht. Ich habe jetzt den Radverkehrsplan vorgelegt, da geht es um 3.000
Kilometer Wege – und ja, deren Bau müssen wir unbedingt beschleunigen. Auch
dafür haben wir die Verwaltung ertüchtigt, restrukturiert und für die neuen
Aufgaben viel neues Personal eingestellt.
Was war denn so kompliziert an diesem Radverkehrsplan?
Es waren insgesamt 3.000 Kilometer festzulegen – das ist ein komplett neu
entwickeltes Planwerk, dessen Umsetzung Berlin als Fahrradstadt auf ein nie
gekanntes Qualitätsniveau heben wird. Nur mit einem integrierten Netz
entsteht eine wirklich neue Qualität. Bisher existiert so etwas nirgendwo
anders in Deutschland, auch nicht als Plan. Wir haben uns schon bei der
Entwicklung eng abgestimmt mit Zivilgesellschaft und Bezirken. Leider ging
ein wichtiger Dienstleister insolvent, auch das hat Zeit gekostet. Zusammen
mit neuen Regelwerken für Fahrradstraßen, Protected Bikelanes,
Radschnellverbindungen ist das aber ein riesiges Programm. Der
Radverkehrsplan war das letzte Stück, das wir noch nicht erledigt hatten.
Und auch das ist jetzt geschafft.
Sie würden nicht sagen: Ich hätte eigentlich lieber etwas mehr auf die
Straße gebracht?
Doch, mehr ist immer besser. Aber „hätte“ ist keine politische Kategorie.
Ich sehe nicht, dass viel mehr zu schaffen war.
In der Koalitionsvereinbarung war von U-Bahn-Erweiterungen gar keine Rede.
Das haben Sie geändert.
Wie gesagt, ich hätte es von Anfang an richtiger gefunden, die ganze
Palette der Verkehrsoptionen aufzumachen. Das haben wir während der
Legislaturperiode glattgezogen.
Was ist denn der Zeithorizont für die Erweiterungen, die Sie jetzt prüfen
lassen?
Bei der U3 zum Mexikoplatz sprechen wir von 2028–2030, bei den anderen eher
von 2032–2035.
Setzen Sie da wirklich aufs richtige Pferd? Der Bau von U-Bahn-Strecken ist
sehr teuer und dauert sehr lange. Sie wollen doch eigentlich schnell etwas
verändern in Bezug auf Mobilität und Klimaschutz.
Ich rate hier zu einer Diskussion ohne Schaum vor dem Mund. Wir müssen
schauen, wie viele Menschen welche Strecke fahren werden, dann gibt es gute
Bewertungskriterien und Modelle, wann der Bus oder die Tram das
Verkehrsmittel der Wahl sind – oder eben die U-Bahn. In Spandau wissen wir,
dass sehr viele Menschen die Verlängerung der U7 nutzen würden. Da wüsste
ich nicht, warum ich sagen soll: Ich baue keine U-Bahn, ich lasse weiter
Busse fahren.
Weil es teuer ist und lange dauert.
Ob solche Strecken volkswirtschaftlich sinnvoll sind, auch noch in 15
Jahren, ist doch Teil der Untersuchungen. Es geht um Infrastruktur mit
langer Planungszeit, aber mit noch viel längerer Nutzungsdauer. Richtig,
der U-Bahn-Bau dauert länger als eine Straßenbahn, aber sie transportiert
dann auch weitaus mehr Menschen. Und wenn die Nutzen-Kosten-Analyse ergibt,
dass sich der Bau rechnet, werden wir einen großen Teil aus Bundesmitteln
finanzieren können.
[4][Der Volksentscheid Berlin autofrei] ist eine Initiative, deren
Vorstellungen von der Verkehrswende viel weiter gehen als Ihre. Könnte es
sein, dass diese Initiative die Politik am Ende so vor sich hertreibt wie
einst der Volksentscheid Fahrrad?
Ich glaube, unsere Schnittmenge lautet: weniger motorisierter
Individualverkehr in Berlin. Der Weg dahin, den ich mit meiner Politik
einschlage, ist aber ein anderer. Dabei setze ich sehr stark auf drei
Elemente: auf Umverteilung des Straßenlandes, auf Kostenwahrheit für den
stehenden und fließenden Autoverkehr und auf den Aufbau von Alternativen.
Wir haben die S-Bahn-Ausschreibung mit 1.300 neuen Wagen, wir kaufen 1.500
neue U-Bahnen und neue Trams, wir bauen die Netze aus und wir werden die
unterschiedlichen Mobilitätsformen besser integrieren. Wir setzen aber
nicht auf den Aufbau von Bürokratie, wie der Volksentscheid es vorsieht.
Aus meiner Sicht sollte nicht eine Behörde auf Antrag entscheiden, wer wann
Auto fährt. Sondern jeder entscheidet das selbst, auf der Basis neuer
Rahmenbedingungen und Angebote und nach einer Umverteilung wertvoller
Flächen zugunsten des Fuß-, Rad- und öffentlichen Nahverkehrs.
Ihr Problem ist weniger, dass der Vorschlag von „Berlin autofrei“ die
Bürokratie aufblasen würde, sondern dass Sie finden, man sollte die
Menschen nicht bevormunden?
Das Ziel „weniger Autos“ will ich nicht über mehr Bürokratie erreichen.
Kritik an Ihnen kommt nicht nur von denen, die meinen, dass Sie viel zu
langsam und unentschlossen agieren: Für die anderen sind Sie die
Autohasserin. Wie leben Sie mit solchen Rückmeldungen?
Ich habe mir von Anfang an keine Illusionen gemacht. Mobilitätspolitik ist
immer ein kontroverses Feld, weil Mobilität Menschen nicht nur physisch,
sondern auch emotional stark bewegt. Es geht um die Veränderung elementarer
Lebensgewohnheiten. Die Reaktionen sind dann in die eine oder andere
Richtung entsprechend heftig. Generell wünschte ich mir einen Diskurs mit
weniger persönlichen Angriffen und Diffamierungen.
Die Legislaturperiode geht jetzt zu Ende. Wie viel von Ihrer Arbeit ist
eigentlich irreversibel?
Wir haben die Verkehrswende eingeleitet und sind ein gutes Stück
vorangekommen. Aber irreversibel ist natürlich gar nichts. Wenn jemand das
will und die Mehrheit dafür hat, lässt sich auch das Mobilitätsgesetz
wieder außer Kraft setzen. Oder auf der Karl-Marx-Allee das Straßengrün
abräumen, um wieder Parkplätze anzulegen. Auch das ist die Wahl, vor der
die Berlinerinnen und Berliner am 26. September stehen.
Zum Abschluss Ihre Prognose: Wird die A100 jemals über die Spree jemals
nach Friedrichshain weitergebaut?
Aus meiner Sicht: nein. Es ist einfach zu antiquiert und passt nicht in das
21. Jahrhundert, eine Autobahn durch ein Wohngebiet zu betonieren.
21 Sep 2021
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Bert Schulz
Claudius Prößer
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