# taz.de -- Rot-rot-grüne Verkehrspolitik in Berlin: Es rollt allen viel zu la… | |
> Selbst der Verkehrssenatorin Günther geht die Mobilitätswende zu langsam. | |
> Kritik kommt aus Opposition, Mobilitätsverbänden – und den eigenen | |
> Reihen. | |
Bild: Zwischen verbaut und Bullerbü: Der Bergmannkiez ist ein Testareal für V… | |
BERLIN taz | Wenn man solche Gegner hat, braucht man kaum noch Verbündete: | |
Bei einer Bilanz der [1][rot-rot-grünen] Verkehrspolitik im Rahmen einer | |
Aktuellen Stunde am vergangenen Donnerstag hatte Oliver Friederici | |
([2][CDU]) regelrecht Schaum vor dem Mund. Die grüne Senatsverwaltung habe | |
die Stadt „blindwütig und ohne Sachverstand zugepollert und zumarkiert“, | |
„Ampelschaltungen bewusst auf Rot gestellt“, Gelder „nicht ausgegeben, | |
damit sich der Verkehr verlangsamt“, „sinnlose Tempo-30-Zonen“ eingericht… | |
und – so der Höhepunkt seiner Tirade – „die Tram als verkehrspolitisches | |
Kampfinstrument“ gefördert. | |
In dieses Narrativ vom „Autohasserwahn“ (Friederici) stimmt alles ein, was | |
rechts von der SPD im Parlament sitzt. Aber auch in deren Reihen sind am | |
Ende der Legislatur viele mit Senatorin Regine Günther (Grüne) unzufrieden | |
– weil sie sich lange kategorisch gegen den Bau neuer U-Bahn-Strecken | |
gesperrt hat oder weil sie nicht will, dass die Stadtautobahn A 100 bis | |
Prenzlauer Berg weitergebaut wird. Der verkehrspolitische Sprecher der | |
Sozialdemokraten, Tino Schopf, feuerte dann am Donnerstag auch noch eine | |
Salve in Richtung Senatsbank ab: Es sei „ärgerlich, wenn Gelder nicht | |
abfließen“ oder als Förderung vom Bund gar nicht erst beantragt würden, | |
weil etwa der Tram-Ausbau nicht vorankomme. | |
Die Senatsverwaltung, so Schopf, stehe mit der Umsetzung des 2018 | |
verabschiedeten Mobilitätsgesetzes „vor einer großen Herausforderung“, was | |
bekanntermaßen für „ist überfordert“ steht. Trotz des starken Aufbaus des | |
planerischen Personals sei der Ausbau der Radweginfrastruktur nicht | |
wirklich beschleunigt worden, „auch wegen langer Planungsphasen und | |
Planungen, die immer wieder aufs Neue verworfen werden“. | |
Die Tram ist eine weit offene Flanke der Senatsverwaltung nach diesen fünf | |
Jahren: Vier neue Streckenabschnitte waren im Koalitionsvertrag | |
versprochen, kein einziger ist da. In Adlershof rollen die Straßenbahnen | |
immerhin wohl ab Oktober, bei der M 10 vom Hauptbahnhof zum U-Bahnhof | |
Turmstraße gab es den ersten Spatenstich. Der sollte bis 2021 auf mehreren | |
anderen Abschnitten gefeiert werden, die aber immer noch tief im | |
Planungsverfahren stecken. | |
## Günther steht auf CO2-Desaster U-Bahn | |
Gar nicht witzig finden es darum gerade KritikerInnen innerhalb der eigenen | |
Reihen, dass Günther sich dazu verleiten ließ, Machbarkeitsstudien für | |
U-Bahn-Verlängerungen in Auftrag zu geben, die viel Geld kosteten und | |
personelle Kapazitäten benötigten. Dass nun für drei Abschnitte | |
Kosten-Nutzen-Rechungen durchgeführt werden, finden sie absurd – unter | |
Verweis darauf, dass eine U-Bahn zu bauen nicht nur viel teurer ist und | |
viel länger dauert als eine Tram, sondern dass dieser Bau auch ein | |
CO2-Desaster ist. Eine Studie, die das belegen soll, hat Günther, immerhin | |
auch Klimaschutzsenatorin, eher oberflächlich prüfen lassen – eine | |
alternative Berechnung legte sie nicht vor. | |
Dass die Verkehrsverwaltung andererseits enorme Summen lockergemacht hat, | |
um in den kommenden anderthalb Jahrzehnten den ÖPNV zu modernisieren – | |
1.300 neue S-Bahn-Wagen (die erstmals dem Land gehören werden), 1.500 | |
U-Bahn-Wagen, 1.600 E-Busse –, geht in den Debatten immer ein bisschen | |
unter. Es ist allerdings auch nur zum Teil ein echtes Plus, um etwa | |
dichtere Taktungen zu erreichen oder eben die Busflotte klimaneutral zu | |
machen: Der Fuhrpark war nach Jahrzehnten des Sparens so verschlissen, dass | |
gar kein Weg an den Neuinvestitionen vorbeiführte. | |
Und nun zu Regine Günthers größtem Problem: Bei den – potenziellen – | |
Verbündeten, die sie hat, braucht sie keine – nominellen – Gegner mehr. Die | |
äußerst aktive und agile Rad-Szene der Stadt, verkörpert vor allem durch | |
den Verein Changing Cities und den ADFC, will sich nicht damit | |
zufriedengeben, dass auf Basis des Mobilitätsgesetzes endlich | |
„strukturelle Kapazitäten aufgebaut“, die „Handlungsfähigkeit wieder auf | |
ein planungsfähiges Niveau gebracht“ und „völlig neue Standards etabliert… | |
wurden (Günther). Sie schauen sich auf den Straßen um und fragen, wo die | |
versprochenen Tausende Kilometer Radnetz sind, die geschützten Spuren, die | |
Fahrradstraßen, die Schnellverbindungen, für die mit der infraVelo sogar | |
ein eigenes Unternehmen geschaffen wurde. | |
Richtig ist: Das Roll-out der neuen Radinfrastruktur kommt immer noch sehr, | |
sehr langsam voran. Günther selbst sagt: „Wir sind bei Kilometer 10 des | |
Marathons.“ Wie viel sichtbaren Fortschritt es wohl am Ende der | |
Legislaturperiode gäbe, wäre es nicht zum Zusammenspiel einer Pandemie und | |
zweier experimentierfreudiger Verwaltungsmenschen auf Senats- und | |
Bezirksebene gekommen? So ist es mit den berühmten „Pop-up-Radspuren“ | |
ausgerechnet ein (zu verstetigendes) Provisorium, das im Gedächtnis bleiben | |
wird. | |
R2Gut? Kurz vor der Wahl stellt sich die Frage: War Rot-Rot-Grün eine | |
erfolgreiche Koalition? Die taz Berlin hat sich [3][in einem Schwerpunkt] | |
angeschaut, was Rot-Rot-Grün erreicht hat – und was verbockt. | |
28 Aug 2021 | |
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## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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