| # taz.de -- Auf Radtour mit Monika Herrmann: Viel getan, noch viel mehr zu tun | |
| > Was hat Friedrichshain-Kreuzberg schon geschafft in Sachen Verkehrswende? | |
| > Unterwegs im Bezirk mit der scheidenden Bezirksbürgermeisterin. | |
| Bild: Nicht von allen geliebt: Poller auf der Samariterstraße in Friedrichshain | |
| Im Weidenweg, gleich hinterm Bersarinplatz, will ein weißer BMW an der | |
| kleinen Gruppe von RadfahrerInnen vorbei. Die sind recht langsam unterwegs | |
| und auch noch in zwei Reihen nebeneinander, das missfällt dem Autofahrer. | |
| Durchs Fenster motzt er eine der Frauen in gelber Warnweste an. Dass er es | |
| mit der Bezirksbürgermeisterin zu tun hat und die nicht auf den Mund | |
| gefallen ist, ahnt er nicht. „Fahr-rad-stra-ße! Fahr-rad-stra-ße!“, brül… | |
| Monika Herrmann dem Drängler hinterher. | |
| Die Grünen-Politikerin, die in Friedrichshain-Kreuzberg auch für den | |
| Straßenverkehr zuständig ist, radelt am Mittwoch mit der Presse durch den | |
| Ost-West-Bezirk, begleitet von ihrem Mitarbeiter Felix Weisbrich. Der | |
| Leiter des Straßen- und Grünflächenamts (SGA) ist kein Unbekannter mehr, | |
| seit er 2020 zusammen mit der Abteilung Verkehrsmanagement in der grünen | |
| Senatsverwaltung die „Pop-up-Radspuren“ erfunden hat. | |
| Herrmann zieht es nun ins Abgeordnetenhaus, ein paar Mal führt der Weg | |
| vorbei an einem der blassgrünen Plakate, das sie als Direktkandidatin für | |
| den Wahlkreis 4 in Friedrichshain zeigt. Die Bürgermeisterin hat nach | |
| eigenem Bekunden [1][„die Mobilitätswende zur Chefinnensache erklärt“] und | |
| will sie als Abgeordnete „berlinweit voranbringen“. Manche raunen sogar, | |
| sie habe das Zeug zur Senatorin. Bei der Tour am Mittwoch wollen Weisbrich | |
| und sie zeigen, was der Bezirk schon geleistet hat – und was noch fehlt. | |
| Letzteres ist natürlich, nüchtern betrachtet, fast alles: Auf die Frage, | |
| wie viel Prozent der Infrastruktur schon gemäß Mobilitätsgesetz umgebaut | |
| wurden, wollen die beiden lieber keine Zahl nennen. „Ich sage mal: Es ist | |
| eine sehr große Aufgabe“, formuliert Weisbrich, „und es ist wichtig, damit | |
| anzufangen.“ Im berlinweiten Vergleich muss sich Friedrichshain-Kreuzberg | |
| dabei überhaupt nicht verstecken, im Gegenteil: Der Bezirk ist klar die | |
| Vorhut bei der Verkehrswende. | |
| ## Minipoller und Einbahnstraßen | |
| Die Tour führt über die Frankfurter Allee, wo eine Pop-up-Spur mit | |
| Minipollern, sogenannten Leit-Boys, verstetigt wurde, hoch zu dem | |
| verkehrsberuhigten Stadtplatz, der durch die Teilsperrung der | |
| Waldeyerstraße entstanden ist, hinüber zur Pollerreihe, die die | |
| Samariterstraße auf Höhe der Bänschstraße unterbricht, und hinunter zum | |
| Weidenweg, wo die Fahrradstraße durch eine Einbahnstraßenregelung nun | |
| endlich mehr Gewicht erhalten soll. | |
| Vieles setzen Herrmann und Weisbreich mit einer „Reallabor“-Taktik um: | |
| Elemente vorläufig anordnen, beobachten, ob sie angenommen werden, | |
| nachjustieren, ausweiten, verstetigen. Zu kämpfen haben sie dabei nicht nur | |
| mit der Kluft zwischen dem Anspruch des Mobilitätsgesetzes und den | |
| begrenzten Mitteln zu seiner Umsetzung, sondern auch mit AnwohnerInnen, die | |
| im konkreten Fall auf die Barrikaden gehen. Dabei konnten sich [2][bei | |
| einer repräsentativen Befragung im Bezirk] kürzlich mehr als 50 Prozent | |
| vorstellen, private Autos ganz aus den Kiezen zu verbannen. | |
| Auf der anderen Seite stehen die RadaktivistInnen, denen es nie schnell | |
| genug geht und die man mit ein paar läppischen Leit-Boys nicht überzeugen | |
| kann. „Ich teile die Ungeduld und verstehe die Radikalität“, sagt Herrmann | |
| dazu, gibt aber zu bedenken: „Es geht nicht nur um uns im gemeinsamen | |
| Straßenraum.“ Noch sei das Auto eine Realität. Umgekehrt warnt sie davor, | |
| dass das Erreichte auch wieder zurückgedreht werden könnte: „Bei der | |
| Kandidatin von der SPD müssen wir uns da ernsthaft Sorgen machen.“ | |
| Weiter geht es nach Kreuzberg: zur neuen Fußgängerzone auf dem Lausitzer | |
| Platz, [3][auf der „Protected Bikelane“ den Kottbusser Damm entlang], durch | |
| die Körtestraße mit ihrem ferngesteuerten Edel-Poller und zur | |
| Bergmannstraße, wo Radfahrende jetzt streckenweise Tempo 10 einhalten | |
| müssen. | |
| ## Abrasierte Protektoren | |
| Auch hier offenbaren sich manche Tücken: Beispielsweise wurden etliche der | |
| schwarzen Hartgummiprotektoren auf dem Kottbusser Damm von rücksichtslosen | |
| Autofahrenden abrasiert, die Verankerung ist nicht stabil genug. Weisbrich | |
| erklärt in seiner trocken-norddeutschen Art, dass eben nachgebessert werden | |
| müsse: „Wir sind noch nicht feddich.“ | |
| Und noch so ein Problem: Der Streifen links neben der Radspur ist jetzt als | |
| Lieferzone ausgewiesen, aber alle parken einfach dort und keiner | |
| kontrolliert. Kein Wunder, dass viele Gewerbetreibende jetzt protestieren: | |
| Früher hatten sie in zweiter Reihe anliefern lassen, was auch schon illegal | |
| war – aber da standen dem Kfz-Verkehr noch zwei Spuren zur Verfügung. | |
| Für das Ordnungsamt sei sie leider nicht zuständig, räumt Monika Herrmann | |
| ein, das untersteht einem Sozialdemokraten. Sie würde ohnehin gerne das SGA | |
| zur Kontrolle einsetzen: „Diejenigen, die die Straßen umbauen, haben auch | |
| das größte Interesse daran, die Regeln durchzusetzen.“ Am besten werde das | |
| künftig gleich berlinweit so geregelt, erklärt sie und drückt ihre | |
| Pausenzigarette in einem kleinen Aschenbecher am Fahrradrahmen aus. An | |
| Projekten für die kommenden Jahre mangelt es ihr nicht. | |
| 2 Sep 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://gruene-xhain.de/wahlen-2021/kandidatinnen/monika-herrmann/ | |
| [2] https://www.berlin.de/ba-friedrichshain-kreuzberg/aktuelles/pressemitteilun… | |
| [3] /Protected-Bike-Lanes/!5777401 | |
| ## AUTOREN | |
| Claudius Prößer | |
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