| # taz.de -- Bildungspolitik unter Rot-Rot-Grün: Die sture Pragmatikerin | |
| > Im Bildungsressort sind kaum Lorbeeren zu gewinnen. Das ist nicht immer | |
| > die Schuld von Senatorin Sandra Scheeres (SPD), wird ihr aber angelastet. | |
| Bild: Nicht nur ein Berliner Problem: der Mangel an Lehrkräften | |
| Berlin taz | Zwei Themen hingen Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) wie | |
| Klötze an den Beinen: der [1][Fachkräftemangel] und die [2][maroden | |
| Schulbauten]. Beides sind Großbaustellen, die sich kaum innerhalb einer | |
| Legislatur abräumen lassen – und für die Scheeres nicht allein | |
| verantwortlich war, aber sehr häufig allein in der Kritik stand. | |
| Auch deshalb, weil ihre Lösungen meist nicht als solche wahrgenommen wurden | |
| – sondern, im Gegenteil, als Potenzierung des Problems. [3][Die | |
| Quereinsteigenden] etwa, das zentrale Instrument, mit dem Berlin dem | |
| bundesweiten Lehrermangel begegnet: Es stimmt, dass man ein aus der Not | |
| geborenes Instrument schwerlich als Erfolgsstory verkaufen kann. | |
| Zumal die EinsteigerInnen sich oft ausgerechnet an den Schulen sammeln, die | |
| – verdient oder unverdient – einen schlechten Ruf haben. Aber mehr als 10 | |
| Prozent Lehrkräfte, die selbst noch lernen müssen, sagen SchulleiterInnen, | |
| könnten Kollegien kaum verkraften – weil auch die Quereinsteigenden nur so | |
| gut sein können, wie ihre Betreuung ist. | |
| Scheeres, so viel ist klar, hat viel zu zögerlich auf den Lehrermangel | |
| reagiert: Erst seit 2019 greifen die Hochschulverträge, mit denen Berlins | |
| Unis verpflichtet werden, die Kapazitäten in den Lehramtsstudiengängen | |
| deutlich hochzufahren. Aber ihr Notfallmanagement hat funktioniert – bei | |
| aller Detailkritik, die man etwa an der Ausbildung der QuereinsteigerInnen | |
| üben mag. | |
| Bei der Schulbauoffensive, dem anderen Megathema in Scheeres’ Ressort, ist | |
| es ähnlich. Das größte Investitionsprojekt der scheidenden Koalition kam | |
| schon 2017 um Jahre zu spät. Zumal die Umsetzung sich bei den meisten | |
| Projekten in den Zuständigkeiten von Bezirken, zwei Senatsverwaltungen und | |
| der landeseigenen Howoge verheddern. | |
| Dass Scheeres aber, wie der als BER-Retter gefeierte Engelbert | |
| Lütke-Daldrup, trotz der gewissen Aussichtslosigkeit einer Zuspätkommenden | |
| mit einem beinahe stoischen Pragmatismus an die Sache heranging, ging | |
| unter. | |
| Doch auch das hört man immer wieder, wenn man mit Menschen spricht, die | |
| ihre Arbeit lange begleitet haben: Scheeres könne zuhören, frage nach, | |
| nehme Pragmatiker mit ins Boot, sei sich für Beratung nicht zu schade. Dies | |
| zeige sich etwa an der [4][Expertenkommission], die sie zur Verbesserung | |
| der Unterrichtsqualität eingesetzt hat, obwohl ihr klar gewesen sein müsse, | |
| dass diese ein relativ vernichtendes Urteil zum Zustand der Berliner | |
| Schulen fällen würde. | |
| Von anderen, insbesondere aus den Reihen der Gewerkschaft GEW, aber auch | |
| von ParlamentarierInnen hört man: Mit Experten habe sie sich zwar gerne | |
| umgeben, aber eine wirklich demokratische Beteiligungskultur habe es unter | |
| ihr nicht gegeben. | |
| Das Problem, wie eine langjährige Abgeordnete der Koalition sagt: Die | |
| Ergebnisse sind am Ende ihrer Amtszeit nicht da. Es gibt immer noch zu | |
| viele Kinder und Jugendliche, die unterdurchschnittlich gut lesen und | |
| rechnen können. Es gibt immer noch zu viele, bei denen es nicht gelingt, | |
| soziale Herkunft und Bildungschancen zu entkoppeln. Was die messbaren, die | |
| sichtbaren Ergebnisse angeht, hat Scheeres nicht geliefert: nicht beim | |
| Schulbau, nicht bei der Beseitigung des Fachkräftemangels und der | |
| Verbesserung der Schulqualität. | |
| Ein Problem hatte Scheeres in ihrer zweiten Amtszeit nicht: Geld. Das war | |
| genügend da im Haushalt. Und weil man sich mit Geld nicht alles kaufen | |
| kann, etwa fertig ausgebildete Lehrkräfte, oder zumindest nicht alles | |
| sofort, zum Beispiel schöne neue Schulen mit Internet drin, machte Scheeres | |
| woanders Geschenke. Die kostenfreie Kita etwa: Schrittweise wurde die | |
| Beitragsfreiheit eingeführt. Genauso das [5][kostenlose Schulessen], | |
| kostenlose Schulbücher an den Grundschulen, der gebührenfreie Hort in den | |
| ersten beiden Schuljahren. | |
| Das kann man nun wahlweise unter sozialer Gerechtigkeit verbuchen oder | |
| schlicht populistisch finden, weil: Warum sollen die, die es können, nicht | |
| zahlen? Baustellen, in die statt der Gebührenfreiheit investiert werden | |
| könnte, hätte diese Senatorin ja zur Genüge gehabt: Schulsozialarbeiter | |
| oder -psychologen, alles Mangelware. An den Gymnasien hat die Ausstattung | |
| mit Schulpsychologen überhaupt erst begonnen. Auch hier: Warum so spät? | |
| Was funktioniert hat, ist Scheeres’ pragmatisches Krisenmanagement: Die | |
| Anbindung der Schulen ans Breitband dauert noch 10 Jahre? Dann eben | |
| [6][LTE-Router] in die Steckdosen gestöpselt. Scheeres zeichne eine | |
| Dickfelligkeit aus, sagt jemand, der sie lange begleitet hat, und meint das | |
| nicht negativ. Auch in der Coronakrise kam sie damit durch: Die Warn-Ampel, | |
| mit der jede Schule wöchentlich auf einer Skala von Grün bis Rot eingestuft | |
| wurde, hat im vergangenen Herbst gut funktioniert. | |
| Was bleibt: die großen Baustellen, für die nun auch noch weniger Geld da | |
| sein wird. Auch für Scheeres’ Nachfolger*in wird es nicht viel zu | |
| gewinnen geben. Was könnte sie ihrer*m Nachfolger*in raten? Stur | |
| bleiben, vielleicht. | |
| 28 Aug 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Anna Klöpper | |
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