| # taz.de -- Fünf Jahre R2G Berlin: Nur Nähe nützt nichts | |
| > Der rot-rot-grüne Senat blieb in zentralen Feldern weit hinter den | |
| > Erwartungen zurück. Inhaltliche Konflikte konnten nicht pragmatisch | |
| > gelöst werden. | |
| Bild: Der rot-rot-grüne Senat bei seiner Ernennung im Dezember 2016 – siehe … | |
| Man kann in diesen Wochen vor dem Wahlkampfendspurt aufschlussreiche | |
| Momente erleben. Wenn man etwa SPD-Politiker darauf hinweist, dass die | |
| Sozialdemokraten bei dem so zentralen Themen Verkehr ziemlich nah bei der | |
| CDU liegen – beide wollen den U-Bahn-Ausbau, beide haben ein Herz für | |
| Autofahrer, beide sind gegen Zwangsabgaben – dann heißt es oft: Ja, mag | |
| sein, aber kulturell gehe das ja gar nicht, da sei man viel näher an den | |
| Grünen und der Linkspartei, man solle bloß mal auf das Thema Integration | |
| schauen. | |
| Rückblickend auf inzwischen fast vierdreiviertel Jahre Rot-Rot-Grün drängt | |
| sich aber die Frage auf: Ist kulturelle Nähe wirklich der entscheidende | |
| Maßstab für gutes und erfolgreiches Regieren? | |
| Koalitionspartner können, sie müssen aber per Tätigkeitsbeschreibung nicht | |
| zwangsläufig auch miteinander in die Oper gehen. Gefragt sind stattdessen | |
| Pragmatismus, die Fähigkeit, auch mal zurückzustehen und unterm Strich eine | |
| funktionierende Stadt sicherzustellen. Man müsse auch, wie es auf Kölsch | |
| gesagt wird, „jönne könne“, heißt es immer wieder, also der anderen Part… | |
| oder sogar, wie aktuell, zweien, einen Erfolg zubilligen. | |
| Das gilt umso mehr in einem Bündnis, das [1][in seinem Koalitionsvertrag] | |
| ein ganzes Kapitel mit „Gutes Regieren“ überschrieben hat. | |
| Nähe, gerade emotionale, ist da eher hinderlich. Wer 2016 mit einem | |
| Jetzt-kommt-zusammen-was-zusammen-gehört in die Koalition startete, der war | |
| nach den ersten Sachkonflikten weit enttäuschter als es Partner in einer | |
| bloßen Zweckgemeinschaft gewesen wären. Daraus resultierte gelegentlich bis | |
| zur Blockade führende Verbitterung. | |
| So sehr nun SPD, Grüne und Linkspartei betonen, dass sie kurz vor der | |
| Sommerpause im Parlament eine [2][Novelle des Partizipationsgesetzes] | |
| beschlossen haben: In anderen großen Themen ist die Koalition weit hinter | |
| Erwartungen zurückgeblieben. Das gilt vor allem für den Radverkehr. Auch | |
| hier mag sich die Koalition für das 2018 beschlossene Mobilitätsgesetz | |
| loben – die Initiative Changing Cities, die mit ihrem Volksbegehren erst | |
| den nötigen Druck dafür aufbaute, zeigt sich zutiefst enttäuscht von den | |
| rot-rot-grünen Jahren | |
| „Eine verheerende Bilanz“ sieht der Verein bei dem Thema: Im bisherigen | |
| Tempo würde der Berliner Senat bis zu 200 Jahre benötigen, um die Ziele des | |
| Gesetzes umzusetzen. „Abgesehen von einigen Fortschritten mit | |
| Pop-up-Radwegen in Friedrichshain-Kreuzberg missachtet der Senat den | |
| Auftrag des Gesetzgebers, das Berliner Radverkehrsnetz bis 2030 | |
| auszubauen“, resümierte Changing Cities im Juni. | |
| Die große Frage nach vierdreiviertel Jahren ist: Wie kann so etwas | |
| passieren, wenn a) die Grünen das Verkehrsressort leiten, b) die Hälfte | |
| aller zuständigen Stadträte Grünen sind, c) zumindest offiziell alle drei | |
| Koalitionspartner Radwege toll und wichtig finden und sich d) kulturell so | |
| unheimlich nah sind? Ein Antwortversuch: Weil kulturelle Nähe eben nicht | |
| heißt, dass man sich immer einig ist. | |
| Dass die Koalition beim Thema Wohnungsbau hinter den eigenen, im | |
| Koalitionsvertrag festgeschriebenen Ansprüchen zurückbleibt, ist ja | |
| immerhin noch erklärbar: SPD und Linkspartei hatten und haben einfach zu | |
| gegensätzliche Ansätze, mit den Grünen dazwischen und diese tendenziell | |
| näher bei der Linkspartei. | |
| Dem „Bauen, bauen, bauen“-Mantra der SPD, aus dem zwischenzeitlich „Bauen, | |
| kaufen, deckeln“ wurde, hielt der wohnungspolitische Sprecher der | |
| Linksfraktion doch tatsächlich mal im Parlament entgegen, jeder Neubau | |
| treibe die Mietpreise nach oben. Was Regierungschef Michael Müller, damals | |
| auch noch SPD-Landesvorsitzender, auch später noch den Kopf schütteln ließ. | |
| „Sehr, sehr gute Jahre“ seien das mit Rot-Rot-Grün gewesen, hat nun | |
| SPD-Fraktions- und Parteichef [3][Raed Saleh jüngst im taz-Interview] | |
| gesagt. Um gleich darauf offenzulassen, ob die SPD wegen dieser so guten | |
| Jahre mit denselben Partnern weitermachen wird – oder nicht vielleicht doch | |
| mit lieber CDU und FDP. | |
| Kulturelle Nähe als Conditio sine qua non? So wenig die SPD von 2011 bis | |
| 2016 mit der CDU in Gänze anfangen konnte, so gut harmonierten damals | |
| SPD-Fraktionschef Raed Saleh und sein CDU-Gegenstück Florian Graf. Sie | |
| verabredeten vieles, wozu sich die SPD heute noch beglückwünscht: | |
| Dazugehört die mit dem Segen der Christdemokraten komplett beitragsfrei – | |
| immer gern mit kostenfrei verwechselt – gemachte Kita. In die Zeit des | |
| rot-schwarzen Senats fiel auch die Gründung des landeseigenen Stadtwerks – | |
| auch wenn die Grünen darin nur ein „Bonsai-Stadtwerk“ erkennen mochten, das | |
| erst mit ihrer eigenen Regierungsbeteiligung entfesselt werden konnte. | |
| Letztlich gilt: Es müssen nicht Parteien, sondern konkrete Personen | |
| miteinander können. Wer das nach dem Wahl vom 26. September ist, ist offen | |
| – aber es sollte nicht davon abhängen, ob jemand in „La Traviata“ geht o… | |
| Heavy Metal hört. | |
| 28 Aug 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.berlin.de/rbmskzl/regierender-buergermeister/senat/koalitionsve… | |
| [2] /Mehr-Teilhabe-mit-Migrationshintergrund/!5752614 | |
| [3] /SPD-Fraktionschef-im-Interview/!5789119 | |
| ## AUTOREN | |
| Stefan Alberti | |
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