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# taz.de -- Bilanz der Berliner Radnetze: Tröpfelnde Infrastruktur
> Der Verein Changing Cities kritisiert das lahme Tempo beim Ausrollen der
> neuen Radverkehrsanlagen. In der Mobilitätsverwaltung zählt man etwas
> anders.
Bild: So schnell geht's normalerweise nicht: Sprayaktion auf der Charlottenburg…
Berlin taz | Der Aufbau einer sicheren und komfortablen stadtweiten
Fahrradinfrastruktur gehört zu den großen Themen der grünen
Verkehrspolitik, mit denen auch Senatorin Bettina Jarasch aktuell ihren
Wahlkampf bestreitet. Von den AktivistInnen des Vereins Changing Cities –
die diesen Umbau vor Jahren mit dem „Volksentscheid Fahrrad“ angestoßen
hatten –, kommt nun ein gehöriger Dämpfer: Am Dienstag stellten sie ihren
[1][Monitoringbericht zum Berliner Radverkehrsnetz] vor – und die
Ergebnisse sind mau.
„Die Richtung stimmt“, so Changing-Cities-Aktivist Jens Steckel, „aber die
Quantität reicht hinten und vorne nicht.“ Begutachte man die bisher
angelegten Radwege, -spuren und -straßen nach allen baulichen und sonstigen
Standards, die sich der Senat mit dem 2021 beschlossenen Radverkehrsplan
selbst gegeben hat, sei noch nicht einmal 1 Prozent des Radverkehrsnetzes
auf die Straße gebracht. Der Grund: Es gebe in den Verwaltungen zwar
mittlerweile rund 80 PlanerInnen-Stellen, angesichts der Dimension der
Aufgaben sei das aber noch viel zu wenig.
Die Rechnung, die der Verein aufmacht, geht so: [2][Laut dem 2018 in Kraft
getretenen Mobilitätsgesetz] muss das Land nicht nur ein „Vorrangnetz“ und
ein „Ergänzungsnetz“ sowie mindestens 100 Kilometer Radschnellverbindungen
schaffen – auch jede darin nicht enthaltene Hauptstraße ist mit breiten,
sicheren und gut befahrbaren Radverkehrsanlagen auszustatten. In der Summe
ergeben sich 2.698 Netz-Kilometer. Umgesetzt hätten Senat und Bezirke bis
zum 31. Dezember 2022 aber nur 113 Kilometer, sprich: 4,3 Prozent.
Die Mobilitäts-AktivistInnen haben aber auch Breiten von Wegen und Abstände
zu Kfz-Spuren nachgemessen oder die Qualität von Oberflächen bewertet. Hier
gelten für alle Teilnetze klare Standards, im Vorrangnetz sind sie
besonders hoch: Hier muss etwa ein Radfahrstreifen, der nur in eine
Richtung führt, mindestens 2,5 Meter breit sein, bei einem Streifen im
„Zweirichtungsverkehr“ sind es 4 Meter.
## „Das ist doch kein Radnetz“
Werden nur die baulichen Standards in Betracht gezogen, ist laut Changing
Cities lediglich 1 Prozent des Gesamtnetzes fertig, zieht man weitergehende
Standards wie Vorrangschaltungen von Ampeln für Radfahrende hinzu, kommt
man gerade einmal auf 0,6 Prozent. „Das ist doch kein Radnetz“, heißt es
dann auch auf der aktuellen Plakatkampagne des Vereins. Gezeigt werden da
die Umrisse Berlins, in denen sich ein paar kümmerliche Wegestummel
verlieren, von denen sich kaum welche überschneiden.
In diesem Tempo werde das Land das gesamte Netz niemals bis 2030
fertigstellen können, sagte Changing-Cities-Sprecherin Ragnhild Sørensen.
Ihr ist es ernst: „Wir haben nicht so viele Jahre für diese Sache gekämpft,
um das jetzt links liegen zu lassen.“ Es sei nun wichtig, dass „die
Kilometer auf die Straße kommen“, der Fokus müsse lauten: „Bauen, Bauen,
Bauen“. Im Gegensatz zu CDU und FDP, die schon jetzt dem noch kaum
eingeschränkten Raum für Autos nachtrauerten, aber auch zu Teilen der SPD
stehe die grüne Senatorin wenigstens grundsätzlich voll hinter den
geltenden Zielen.
Jan Thomsen, Sprecher der Senatsverwaltung für Mobilität, will das nicht
alles so stehen lassen: Zum einen stimme die Zahl von 113 Kilometern nicht
ganz, tatsächlich seien von 2017 bis Ende 2022 „rund 130 Kilometer Strecken
Radverkehrsanlagen neu gebaut oder verbessert“ worden. Die Differenz sei
offenbar Projekten geschuldet, die erst noch in die Datenbank eingepflegt
würden: Dabei handele es sich um eigenfinanzierte Maßnahmen der Bezirke
sowie solche, die in der Senatsverwaltung unter der Regie der für
Bundesstraßen und Brücken zuständigen Abteilung Tiefbau oder der
„Projekteinheit Radwege“ liefen.
## Nicht bei Null angefangen
Zudem, so Thomsen, setzten diese Maßnahmen nicht auf Null auf. Es habe
schon vorher rund 50 Kilometer Radfahrstreifen und rund 120 Kilometer
baulich getrennte Radwege gegeben, auch wenn diese größtenteils nicht den
deutlich höheren Standards des Radverkehrsplans genügten. Jetzt gehe es
darum, die Qualität dieser Anlagen auf diese Standards anzuheben.
Nicht mitgehen will Jaraschs Sprecher vor allem bei der Frage nach den
Standards der neu angelegten Infrastruktur: „Die genannten Zahlen können
wir aktuell nicht bestätigen.“ Die Einhaltung der Kriterien werde derzeit
durch die Senatsverwaltung zusammen mit der landeseigenen infraVelo GmbH
überprüft – mit einem Monitoring-System, an dessen Entwicklung Changing
Cities und der ADFC beteiligt gewesen seien.
In jedem Fall sieht auch der Radverkehrsplan eine Art exponentielles
Wachstum der Infrastruktur vor: [3][So sollen in diesem Jahr 60 Kilometer
Anlagen fertig werden], von 2026 bis 2030 sollen es dann jährlich 350 oder
sogar 450 Kilometer sein.
31 Jan 2023
## LINKS
[1] https://changing-cities.org/wp-content/uploads/2023/01/20230131-Pressekonfe…
[2] /3-Jahre-Mobilitaetsgesetz/!5779047
[3] https://www.berlin.de/sen/uvk/_assets/verkehr/verkehrsplanung/radverkehr/ra…
## AUTOREN
Claudius Prößer
## TAGS
Changing Cities
Radverkehr
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Mobilität
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