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# taz.de -- Forscher über Klimaneutralität 2030: „Die Zeit haben wir nicht …
> Wie soll die Hauptstadt in acht Jahren fossilfrei werden? Volker
> Quaschning, der das Volksbegehren „Berlin 2030 Klimaneutral“ unterstützt,
> erklärt es.
Bild: Über den Wolken ist nicht mehr allzu viel Platz für Berlins Kohlendioxid
taz: Herr Quaschning, die Weltgemeinschaft, die gerade wieder bei der COP26
in Glasgow tagt, hat sich 2015 in Paris mit Ach und Krach auf eine
Begrenzung des mittleren globalen Temperaturanstiegs um 2 Grad verständigt
…
Volker Quaschning: Da muss ich gleich widersprechen: „Deutlich unter 2
Grad“ lautet die Vereinbarung. Zwei Grad wären schon ein deutliches
Verfehlen des Pariser Abkommens.
Sie haben Recht. Hinzu kommt die Aussage, man wolle sich anstrengen, eine
Begrenzung auf 1,5 Grad zu erreichen. Nun sagt die Klimaschutz-Bewegung:
Diese 1,5 Grad sind nur drin, wenn wir in Deutschland Klimaneutralität
deutlich vor 2045 erreichen – also der Zielmarke, die heute auf Bundes- und
Landesebene gilt. In Berlin läuft deshalb ein Volksbegehren, das
stattdessen das Jahr 2030 in Energiewendegesetz heben will. Bevor wir
darüber sprechen, noch mal ganz allgemein gefragt: Muss man nicht
ehrlicherweise sagen, dass es global nichts mehr wird mit den 1,5 Grad?
Würde ich so nicht sagen. Der Weltklimarat gibt die Menge an CO2 vor, die
wir weltweit noch ausstoßen dürfen, um 1,5 oder 1,7 Grad mittleren
Temperaturanstiegs zu erreichen. Das ist wissenschaftlich geklärt. Die
Frage ist: Wie verteilen wir dieses Restbudget?
Und?
Der Ansatz des Sachverständigenrats für Umweltfragen, der ein Gutachten
dazu erstellt hat, lautet, dass wir dieses Budget pro Kopf auf der Welt
verteilen. Dann kommt man sehr schnell zu dem Schluss, dass das deutsche
Budget für 1,5 Grad, selbst wenn wir uns anstrengen, wahrscheinlich um 2030
erschöpft ist. Wenn wir 1,7 Grad erreichen wollten, was immer noch deutlich
unter 2 Grad liegt, also gerade noch ein Einhalten des Pariser Abkommens
wäre, kommen wir auf 2035. Tatsächlich benennen alle relevanten Parteien in
Deutschland den 1,5-Grad-Pfad als Ziel. Was das Jahr 2045 in diesem
Zusammenhang bedeutet, weiß ich nicht. Das ist nicht wissenschaftlich
begründet, sondern relativ willkürlich gewählt.
Trotzdem: Global deutet wenig auf ein Einhalten des 1,5-Ziels hin.
Schauen wir doch mal. Bei der COP-Konferenz gab es jetzt zum Beispiel die
Zusage Indiens, bis 2070 klimaneutral zu werden. Da sagt man aus deutscher
Sicht schnell: Wir sind ja viel besser als Indien, und so wird das nie was.
Das halte ich für eine sehr schale Ausrede. Unsere Rechnung ist eine
andere: Der indische Pro-Kopf-Ausstoß beträgt weniger als ein Viertel des
deutschen. Auf dieser Basis hat Indien im Grunde vier mal so viel Zeit,
Klimaneutralität zu erreichen, weil sie von einem viel niedrigeren Level
starten – theoretisch sogar bis 2090 oder 2100. Mit seiner jüngsten
Ankündigung würde Indien das Pariser Abkommen einhalten, Deutschland nicht.
Natürlich gibt es andere Länder mit einem hohen Pro-Kopf-Ausstoß, wie
Russland oder Saudi-Arabien, die werden 2060 komplett außerhalb der Spur
liegen. Aber wenn Länder wie Indien ihren Beitrag leisten, wären wir gut
beraten, dasselbe zu tun. Erst dann dürfen wir über die anderen urteilen.
Kommen wir zu Berlin, das die AktivistInnen des [1][Volksbegehrens bis 2030
klimaneutral] machen wollen – Sie gehören zu den offiziellen
Vertrauenspersonen. Regine Günther, die amtierende grüne
Klimaschutzsenatorin, hat zuletzt betont, dass sie es auch gut fände, wenn
es schneller ginge. Nur habe ihr noch niemand stichhaltig erläutern können,
mit welchen Maßnahmen man Klimaneutralität vor den 2040ern erreichen kann.
Die Frage ist einfach, welche Maßnahmen man für realistisch erachtet. Wenn
eine Regierung nur ein paar Radwege auf die Straße pinselt und das für
Klimaschutzpolitik hält, werden wir es auch bis in die 2040er Jahre nicht
schaffen. Ja, wir brauchen sehr ambitionierte und radikale Maßnahmen, das
muss man ganz klar sagen. Wir müssen weg vom Verbrennungsmotor, weg von der
Öl- oder Gasheizung, wir müssen schauen, dass wir die erneuerbaren Energien
mit einem viel höheren Tempo ausbauen. Und in den letzten Jahren haben wir
keine Maßnahmen der Berliner Politik gesehen, die nur ansatzweise
ausgereicht hätten, um in diese Richtung zu kommen. Gerade für eine
rot-rot-grüne Regierung ist das ein Armutszeugnis. Ob man es am Ende
schafft, ist eine andere Frage. Aber ich kann hier keinen schlüssigen
Versuch erkennen, überhaupt das Pariser Klimaschutzabkommen einzuhalten.
Frau Günther fragte ironisch: „[2][Warum nicht gleich 2024?] Das wäre doch
noch besser.“ Das frage ich Sie jetzt.
Naja, das ist reine Polemik, und es regt mich jetzt wirklich ein bisschen
auf. 2030 ist wissenschaftlich begründet, weil wir dieses Jahr für das
1,5-Grad-Ziel brauchen. Die Grünen haben in ihr Wahlprogramm für den
Bundestag geschrieben, dass sie zu diesem Ziel stehen. Das heißt im
Umkehrschluss aber auch, dass etwas dafür getan werden muss! Wenn Grüne in
diesem Zusammenhang von den 2040er Jahren reden, ist das Unsinn, Fake News.
Da müssen sie dann so ehrlich sein und sagen: Okay, Deutschland hat den
1,5-Grad-Pfad eh schon verbaselt, und wir werden mit unserer Politik auch
die 1,7 Grad nicht erreichen. Wir fokussieren uns darauf, auf einen Pfad
für etwa 2 Grad zu kommen, auch wenn wir damit das Pariser
Klimaschutzabkommen nicht mehr einhalten. Wenn wir so eine ehrliche Aussage
von den Grünen kriegen, können wir uns auf dieser Basis auch wieder
unterhalten. Sonst sehe ich da eher Falschaussagen und leere
Versprechungen.
Das Volksbegehren fordert die Verschärfung des Berliner
Energiewendegesetzes. Dabei geht es im Kern um das Vorziehen der
allgemeinen Jahreszahlen. Wäre es nicht notwendig, analog zum
Klimaschutzgesetz des Bundes sogenannte jahresscharfe Sektorziele zu
definieren – also für Energiewirtschaft, Gebäude, Verkehr oder Industrie?
Ja, das ist sinnvoll, weil es Druck erzeugt. Im Bund werden aber die Ziele
auch nicht erreicht, abgesehen vom Jahr 2020, Corona sei Dank. Und wir
können uns ja nicht auf Pandemien verlassen, um unsere Klimaziele zu
schaffen. Aus den Koalitionsverhandlungen sickert nun durch, dass man diese
eigentlich schon viel zu schwachen Sektorziele noch verwässern möchte –
schon weil man bereits jetzt weiß, dass man sie 2021 und 2022 nicht
einhalten wird. Schauen Sie sich mal das Zwischenziel im Bund von 2030 für
den Verkehrsbereich an: Da heißt es, dass wir die Emissionen bis dahin
halbieren müssen. In Berlin schafft man es noch nicht mal, bis 2030 ein
Zufahrtverbot für Autos mit Verbrennungsmotor durchzusetzen, stattdessen
bauen wir eine Autobahn fertig. Wir als angebliche Vorreiter in der
Klimapolitik müssen da nach Kopenhagen oder Paris schielen, wo sich richtig
was tut.
Die Tücken bei der Umsetzung des 2030-Ziels wären zahlreich. Beispiel
Wärmeversorgung, die heute rund die Hälfte von Berlins CO2-Emissionen
verursacht. Das Energiewendegesetz sieht bislang vor, dass Fernwärme bis
2030 zu 40 Prozent fossilfrei erzeugt werden soll. Weil gleichzeitig die
Kohleverbrennung 2030 enden soll, würde beim Rest wohl erst mal auf Erdgas
umgestellt. Sie sagen: Das muss gleich ganz fossilfrei gehen.
Natürlich. Kohle durch Gas zu ersetzen, ist wie Pest durch Cholera zu
ersetzen. Es gibt zwar einen CO2-Rückgang beim Gas, aber der ist so klein,
dass uns das Budget in Kürze schon wieder aus dem Ruder liefe. Wir würden
einen Riesenaufwand betreiben, der uns vielleicht drei Jahre lang hilft,
die Klimaschutzziele zu erreichen. Deshalb müssen wir diesen Schritt
überspringen und gleich voll auf Erneuerbare Energien setzen.
In jedem Fall reden wir hier von gigantischen Investitionen, zumal die
Fernwärmequote von heute 32 auf 44 Prozent gesteigert werden soll. Dafür
müssen ganze Straßenzüge aufgerissen werden.
Die Frage ist immer wieder: Welche Bedeutung messen wir dem Klimaschutz
bei? Schauen Sie sich an, welche finanziellen Aufwendungen in der
Coronakrise quasi über Nacht freigemacht wurden. Im Vergleich zur
Klimakrise war Corona Kindergarten.
## Die Bekämpfung der Klimakrise ist deutlich teurer.
Dann sehen Sie sich die Folgen der ungebremsten Klimakrise an, also was
dann in 20, 30 Jahren auf eine Stadt wie Berlin zurollen würde. Die Kosten,
die es verursacht, diese Folgen noch irgendwie in den Griff zu bekommen,
fallen viel höher aus! Was machen wir denn, wenn die Trinkwasserversorgung
zusammenbricht? Dagegen ist das Aufgraben von Straßen doch ein
überschaubares Problem. Diese Dramatik muss man sich immer wieder vor Augen
halten. Dass wir das mit den aktuellen Maßnahmen und der aktuellen
Geschwindigkeit der Berliner Verwaltung nicht hinbekommen, ist klar, da
brauchen wir einen ganz großen Ruck. Aber würde ein Meteorit auf die Erde
zurasen und wir hätten noch ein halbes Jahr Zeit, dann würden wir doch auch
alle Gelder der Welt akquirieren, um diese Bedrohung irgendwie abzuwehren.
Viele Technologien, die [3][von KlimaaktivistInnen vorgeschlagen] werden
und zum Teil auch in der sogenannten Wärmestrategie des Senats auftauchen,
sind noch gar nicht ausgereift. Etwa die Rückgewinnung von Wärme aus
häuslichem Abwasser in großem Umfang.
Ich gehe davon aus, dass wir nicht mehr das technisch und das ökonomisch
Optimale umsetzen können – weil uns einfach die Zeit ausgeht. Das perfekte
System hätten wir vor 30, 40 Jahren einleiten müssen. Wir müssen alles
unter dem Gesichtspunkt der Machbarkeit betrachten, auch wenn es teurer
wird und effizienter sein könnte. Es muss halt funktionieren. Da werden wir
eine Zeit lang Wärme in die Netze geben, die mit Überschussstrom aus
Brandenburger Sonne und Wind erzeugt wird, das ließe sich relativ schnell
aufbauen. Natürlich hat Abwärmenutzung viel höhere Effizienzen. Aber unser
Nichthandeln in der Vergangenheit beschert uns eben weniger effiziente
Lösungen.
Der größere Teil der Berliner Haushalte, besonders in den Ein- und
Zweifamilienhäusern am Stadtrand, wird auch künftig nicht am Fernwärmenetz
hängen. Da haben Sie das Problem, dass die EigentümerInnen nicht einfach
gezwungen werden können, ihre Öl- oder Gasheizungen abzuschaffen. Man hat
das einfach nicht der Hand. In der aktuellen Wärmestrategie der
Senatsverwaltung ist deshalb von einer „Beratungsoffensive“ die Rede.
Also, „Beratungsoffensive“ … das ist so wie zu sagen: „Wir stecken jetzt
mal Geld in Forschung.“ Das ist das, was kommt, wenn ich keine politische
Idee mehr habe. Natürlich brauchen wir auf Bundesebene ein
schnellstmögliches Verbot des Einbaus fossil betriebener Heizungen, anders
wird es nicht gehen. Über Beratung und auch über die Preise werden wir das
nicht hinbekommen. Die Preise werden ja nur langsam ansteigen, weshalb noch
lange ganz viele Haushalte die falschen Systeme einbauen werden.
Und dann?
Dann können Sie entweder die neue Gasheizung nach fünf Jahren wieder
rausreißen, was natürlich Unsinn ist – oder Sie fangen an, sie mit grünem
Wasserstoff zu befeuern. Da liegen wir aber bei den Kosten locker um den
Faktor 2 über den heutigen Preisen für Öl und Gas, und ich will mal sehen,
wie die Politik das verkaufen will. Wir müssen also alle Altlasten
vermeiden und verhindern, dass weiterhin Öl- und Gasheizungen eingebaut
werden. Überall, wo saniert wird, müssen Wärmepumpen installiert werden.
Aber die Gasheizungen, die jetzt gerade eingebaut werden, laufen ja in acht
Jahren noch.
Die laufen wahrscheinlich auch 2045 noch, die machen auf alle Fälle ein
Problem, auch für das deutsche Klimaschutzgesetz. Deshalb ist es so wichtig
aufzuhören, weiter Altlasten zu schaffen. Im zweiten Schritt müssen wir uns
darüber Gedanken machen, wie wir diese Heizungen rausbekommen. Und da ist
der limitierende Faktor gar nicht die Technik oder das Geld, sondern
irgendwann das qualifizierte Personal. Wir haben gar nicht genug Menschen
im Handwerk, um alle Heizungen auszutauschen. Deshalb brauchen wir jetzt
eigentlich keine Aufklärungsoffensive, sondern eine Ausbildungsoffensive.
Wenn diese Voraussetzungen einmal geschaffen sind, müssen wir den Austausch
entweder vorschreiben oder zur Not mit viel, viel Geld bezuschussen.
Das Problem beim Strom ist ähnlich gelagert: Das Berliner Solargesetz
schreibt demnächst vor, dass auf allen Neubauten und bei allen
Dachsanierungen Photovoltaikanlagen errichtet werden müssen. Das ließe sich
eventuell noch verschärfen, so dass auch im Gebäudebestand deutlich mehr
passiert. Dann wird es aber auch ganz schnell eng: Erstens fehlt hier
ebenfalls das Personal, zweitens macht es wenig Sinn, Anlagen auf marode
Dächer zu bauen – viele müsste man erst noch renovieren.
Wir müssen da kreativ werden. Natürlich wäre es am schönsten, wir hätten
Anlagen auf jedem Dach und an jeder Fassade und Berlin könnte sich zu 50
Prozent selbst versorgen. Aber auch da werden wir nicht mehr die optimalen
Lösungen bekommen. Wir haben einmal berechnet, dass wir schon beim Ziel der
Klimaneutralität bis 2035 bundesweit rund 200.000 Arbeitsplätze in der
Photovoltaikbranche schaffen müssen. Für die Installation auf Freiflächen
brauchen Sie aber nur ein Drittel des Personals, und es geht wesentlich
schneller. Das heißt, wir werden Berlin und Brandenburg als Einheit denken
und Anlagen vor den Toren Berlins aufstellen müssen.
Damit macht man sich nicht unbedingt Freunde.
Ich bin eigentlich auch kein Fan davon, weil wir damit ein Akzeptanzproblem
wie bei der Windenergie bekommen. Aber Berlin wird eben einen
entsprechenden Ausgleich zahlen müssen, und natürlich muss man trotzdem
schauen, dass man so viel wie möglich auf die Dächer bekommt. Ich bin sehr
dafür, das über Verpflichtungen zu machen oder quasi eine
Fehlbelegungsabgabe für jedes geeignete Dach ohne Solaranlage. Abgesehen
davon schießt in Berlin gefühlt jede Woche ein neuer Discounter aus dem
Boden. Da muss man dafür sorgen, dass deren Parkplätze und Dächer mit
Solaranlagen belegt werden. Das kann man auch gleich mit Ladesäulen für die
Kundinnen und Kunden verbinden.
Was uns zum Thema Verkehr bringt: Auch viele KlimaaktivistInnen fordern ja,
Berlin gleich weitgehend autofrei zu machen. Wäre das nicht tatsächlich im
Sinne des 1,5-Grad-Pfads? Und würde man es nicht mit dem Aufbau einer
Ladeinfrastruktur konterkarieren?
Wir haben in Deutschland heute 48 Millionen Autos auf 83 Millionen
Menschen, eine Dichte, die weltweit schon wegen der Rohstoffproblematik
niemals möglich wäre. Sprich: Wir können in Deutschland nur so lange so
viel Auto fahren, wie viele andere Länder zu arm sind, sich das zu leisten.
Das ist kein zukunftsfähiges Modell, also müssen wir die Anzahl der Autos
deutlich reduzieren, um auf ein für die Welt verträgliches Maß zu kommen.
Und wie viel ist das konkret?
Null Autos werden es nicht sein, aber für die kommenden 20 Jahre wäre die
Hälfte eine ganz gute Zielmarke. Anderswo gibt es längst gute Beispiele,
wie das funktionieren kann: In Kopenhagen wird der Parkraum schon lange um
ein Prozent pro Jahr reduziert. Damit weiß ich: Nach 30 Jahren habe ich 30
Prozent weniger Autos, weil es für den Rest einfach keine Stellfläche mehr
gibt. Das ist ein funktionierendes Konzept, das man nach Berlin übertragen
könnte – vielleicht müsste es hier eine Reduktion von zwei statt einem
Prozent sein. Oder wir schauen nach London, wo es über 12 Euro kostet, mit
dem Pkw in die Innenstadt zu fahren.
Also eine Citymaut, die ja auch bei Linken sehr unbeliebt ist – weil
mutmaßlich unsozial.
Ja mei … Wer sich ein Auto leisten kann, kann sich auch die Citymaut
leisten, ein Auto ist ohnehin nicht wirtschaftlich. Ich habe auch eins,
aber ich käme nie auf die Idee, damit in die Berliner Innenstadt zu fahren.
Wer meint, er muss das, der muss dann halt dafür bezahlen. Es gibt
Berechnungen, dass der Unterhalt eines Parkplatzes auf öffentlichem
Straßenland zwischen 500 und 1.000 Euro im Jahr kostet. Das sind alles
Subventionen, genau wie die extrem niedrigen Anwohner-Parkgebühren. So
gesehen ist die Citymaut eigentlich keine Gebühr, sondern ein Streichen von
Subventionen, das muss man auch so kommunizieren. Und die Leute werden es
verstehen, wenn sie wahrnehmen, dass sich die Lebensqualität in der Stadt
in dem Maße erhöht, in dem die Autos weniger werden. Aber wie gesagt: Auf
null werden wir nicht herunterkommen.
Naiv gefragt: Wieso nicht?
Ich halte das für nicht durchsetzbar. Wir wissen ja, dass die Deutschen mit
ihren Autos verheiratet sind. Für diesen Rest brauchen wir dann die
Ladeinfrastruktur, denn die verbleibenden Autos müssen emissionsfrei sein.
Das bedeutet auch, dass ab 2030 gar keine Kfz mit Verbrennungsmotoren mehr
in die Stadt einfahren dürfen.
In die ganze Stadt?
In die ganze Stadt. Natürlich muss man Alternativen schaffen. Der Ausbau
des schienengebundenen ÖPNV ist bekanntlich leider sehr langwierig.
Wahrscheinlich wird man viel mit Bussen lösen müssen, und auch das Fahrrad
ist für viele eine Option.
Zum BER: Der taucht derzeit in Berlins Klimabilanz gar nicht auf – und das
Volksbegehren fordert, das zu ändern. Da ist mir zweierlei nicht klar:
Erstens, wie legt man die Emissionen aus Flügen anteilig auf Berlin um,
zweitens, wie soll das Fliegen bis 2030 klimaneutral werden? Dass
massenweise synthetisches Kerosin mit grünem Strom wirtschaftlich
hergestellt wird, ist doch reine Zukunftsmusik. Da hieße es dann in acht
Jahren einfach: Die Flieger bleiben am Boden.
Es ist immer die Frage der Ambition, mit der man an die Sache herangeht.
Was heißt denn wirtschaftlich? Natürlich wird niemand mehr für 19 Euro zum
Ballermann fliegen können. Aber man muss doch auf der anderen Seite den
Schaden ansehen, den das Fliegen verursacht. Mit einem Flug nach Australien
und zurück verursache ich über 10 Tonnen CO2, nach Amerika sind es 4 bis 5
Tonnen, das ist ein Klimaschaden von 1.000 Euro. Auch der Flugverkehr ist
also hoch subventioniert. Und dass der BER bilanziell nicht in Berlin zu
Buche schlägt, nur weil er außerhalb des Stadtgebietes liegt, macht
wirklich keinen Sinn: Der überwiegende Teil der Menschen, die dort landen,
wollen doch nach Berlin und nicht nach Cottbus.
Es kann also noch ein bisschen geflogen werden, zu saftigen Preisen?
Naja, es müssen nun mal alle Flüge bis 2030 klimaneutral sein, wenn wir den
1,5-Pfad halten wollen. Da muss man eben sofort damit anfangen, die Weichen
für die Herstellung synthetischer Treibstoffe zu stellen. Und wenn man sie
nicht in Deutschland produzieren kann, muss man sie importieren.
Gleichzeitig muss man die Alternativen stärken, also den Bahnverkehr
deutlich ausbauen. Das liegt wieder nicht in der Hand des Landes Berlin,
vollkommen klar, aber man muss das Problem doch erst einmal thematisieren
und kann es nicht einfach outsourcen.
Wir haben jetzt viel darüber geredet, was die Politik tun muss, damit wir
unser CO2-Budget nicht sprengen. Müsste die Klimabewegung nicht
gleichzeitig viel deutlichere Appelle an die Gesellschaft richten? Wenn wir
alle unsere Konsumgewohnheiten veränderten, ließen sich doch umgehend
beträchtliche Mengen CO2 vermeiden.
Also ich bin der Letzte, der es bei schwachen Appellen belässt. Aber ich
hole mir auch regelmäßig eine blutige Nase in den sozialen Netzwerken, wenn
ich sage: Leute, ihr müsst auch mal selber aus dem Quark kommen. Ich selbst
tue alles, was ich tun kann, und das wird auch bei vielen in der
Klimabewegung so sein.
Was tun Sie denn?
Ich habe eine große Solaranlage, beziehe klimaneutralen Strom, mein Haus
wird klimaneutral beheizt, ich habe ein Elektroauto und eine Monatskarte
für den ÖPNV, ich lebe vegan und ich fliege nicht mehr. Ich weiß aber auch
aus 30 Jahren Erfahrungen und Diskussionen, dass es so einfach nicht ist.
Ich appelliere viel, und als ich meine Solaranlage gebaut habe, sind auch
Nachbarn dem Beispiel gefolgt. Aber viele andere eben nicht. Ich kann mich
also hinstellen wie die Zeugen Jehovas und versuchen, die Leute zu
bekehren, aber wenn sie es nicht wollen, muss es der Gesetzgeber tun.
Wichtig ist, dass die Bevölkerung die Maßnahmen mitträgt und wir keine
Gelbwestenproteste bekommen.
Sagen Sie doch trotzdem noch mal, was wir alle tun könnten, um das
CO2-Budget zu schonen.
Ich fange da immer mit zwei Sachen an, die eigentlich total einfach sind:
sich vegan ernähren und nicht mehr fliegen. Das sind Dinge, die können alle
machen und die kosten nicht mal etwas.
Oder die Heizung um ein Grad herunterdrehen.
Ja, das ginge auch, das ergibt dann eine Energieersparnis von ungefähr 6
Prozent. Der Flugverkehr macht 10 Prozent der deutschen CO2-Emissionen aus,
und mehr als 50 Prozent davon ist privat bedingt! Aber da merkt man
schnell, dass das nicht unbedingt mehrheitsfähig ist. Da heißt es dann: Ich
mache doch schon so viel, ich trenne doch meinen Müll, aber dieser Flug,
der muss halt sein. Ich will das gar nicht als Vorwurf formulieren. Das
Leben ist stressig, die Menschen haben viele Alltagssorgen, und der
Klimawandel ist für viele gefühlt immer noch sehr weit weg. Ja, die
Bereitschaft zur Veränderung nimmt zu, aber ins Handeln zu kommen, so, dass
es wirklich Klick im Gehirn macht, das dauert. Und die Zeit haben wir nicht
mehr. Deshalb muss die Politik handeln.
10 Nov 2021
## LINKS
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## AUTOREN
Claudius Prößer
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