# taz.de -- Trotz Flughafen-Personalmangel: Kein Chaos am BER | |
> Die Zahl der Beschäftigten an Flughäfen ist auf einem Rekordtief. | |
> Politiker*innen warnen vor großem Durcheinander, doch am BER läuft | |
> es. | |
Bild: Anstehen für den Urlaub: Am BER blieben die Warteschlangen kürzer als e… | |
BERLIN taz | Keiner der Bildschirme zeigt ihren Flug an. Trotzdem schaut | |
Iris Graupner gespannt nach oben, auf eine der riesigen digitalen | |
Abflugtafeln im Terminal 1 des BER. In der klimatisierten Halle ist es an | |
diesem Dienstag fast schon kalt, während draußen die Sonne wärmt. Es ist | |
der Tag vor dem letztem Schultag in Berlin. Die vielen Gespräche der | |
Reisenden und des Flughafenpersonals, piepende Geräte und vor allem die | |
vielen Rollkoffer verdichten sich zu einem betriebsamen | |
Hintergrundrauschen. | |
Neben Graupner stehen noch weitere Menschen in Gruppen mit ihrem Gepäck und | |
schauen abwechselnd runter aufs Handy und hoch auf die Tafel. Die lädt | |
ständig neu, zeigt, wo die Passagiere für welchen Flug einchecken können, | |
welche Flüge verschoben und welche gecancelt wurden. | |
Der Flug von Iris Graupner kann noch gar nicht angezeigt werden. Denn sie | |
möchte nicht am Dienstag, sondern erst zwei Tage später nach Sardinien | |
fliegen, um dort ihren Sohn zu besuchen. Aber sie wollte den Flughafen | |
vorher einmal auskundschaften. „Ich hab ja schon frei, ein | |
[1][9-Euro-Ticket] und der Weg ist nicht weit“, erzählt sie lachend. Sie | |
ist das erste Mal an diesem Flughafen. Außerdem wisse sie ja nicht, wie | |
voll der BER werde, wenn am Donnerstag die Ferien in Berlin beginnen. | |
Das Thema „Flughafenchaos“ steht in vielen Medien gerade hoch im Kurs: | |
Durch den Personalmangel streichen Airlines tausende Flüge, und an den | |
Sicherheitskontrollen stehen die Passagiere stundenlang an. Die | |
Bundesregierung hat sich dem Thema schon angenommen. | |
## Viel besser als erwartet | |
Selbst die Pilotenvereinigung Cockpit verkündete, sie rechne mit einer | |
Geduldsprobe für viele Reisende am Flughafen in Berlin. [2][Der BER] | |
empfiehlt den Reisenden, zweieinhalb Stunden vor dem Abflug am Flughafen zu | |
sein. Viele sind auch schon drei oder vier Stunden früher da. Auch Iris | |
Graupner haben die Meldungen verunsichert. „Aber gerade ist es noch sehr | |
entspannt“, stellt sie zufrieden fest. | |
Der BER ist an diesem Dienstag zwar alles andere als überlaufen, aber | |
trotzdem ziehen einige Menschen schnellen Schrittes ihre Rollkoffer über | |
die gelblichen Fliesen. Immerhin ist der BER mit theoretisch 46 Millionen | |
möglichen Passagieren pro Jahr der drittgrößte Flughafen in Deutschland. | |
Wirklich gerne will niemand für ein kurzes Gespräch stehenbleiben. Aber auf | |
Nachfrage ruft ein Herr auf Englisch über die Schulter, bisher laufe alles | |
gut. Viel besser als erwartet, ergänzt sein Begleiter. | |
Nur an zwei Check-in-Schaltern haben sich längere Schlangen gebildet. | |
Selbst die halten sich im Rahmen. Obwohl nicht alle Sicherheitskontrollen | |
geöffnet sind, stehen nur wenige Menschen an. „Am Donnerstag wollen sie | |
aber weitere öffnen“, erzählt Iris Graupner. Sie hat schon mal beim | |
Sicherheitspersonal nachgefragt. Zufrieden mit dem ersten Eindruck macht | |
sie sich wieder auf den Weg zur Bahn nach Hause. „Aber etwas Ungewissheit | |
bleibt im Hinterstübchen“, darüber, wie es am Donnerstag werde. | |
## Kilometerlange Warteschlangen | |
In Nordrhein-Westfalen hatten die Flughäfen beim Ferienstart am vergangenen | |
Wochenende erhebliche Probleme, die Menschenmassen durch die | |
Sicherheitslinien zu schleusen. Am Flughafen Köln/Bonn schätzten | |
RTL-Reporter die Warteschlangen auf mehrere Kilometer und berichteten von | |
stundenlangen Wartezeiten. | |
Der [3][Personalmangel] lässt sich aber nicht nur auf die aktuell hohen | |
Krankenstände zurückführen. Es arbeiten auch immer weniger Menschen in der | |
Luftfahrt. Nach Angaben des [4][Statistischen Bundesamts] von diesem | |
Mittwoch waren im April 6,6 Prozent weniger Menschen beschäftigt als im | |
Jahr zuvor. Dabei waren die Zahlen 2021 schon gesunken. Verglichen mit | |
April 2019 waren dieses Jahr sogar 11,3 Prozent weniger Menschen bei der | |
Luftfahrt beschäftigt. | |
Zu Beginn der Coronapandemie brach der Flugverkehr um 84 Prozent ein, wie | |
die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen berichtet. Viele | |
Mitarbeiter*innen verloren ihre Jobs und orientierten sich offenbar | |
neu. Nun gibt es mehr freie Stellen als Interessierte. | |
Die stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft Verdi, Christine Behle, | |
führt das auf den Wettbewerb in der Branche zurück. Die Beschäftigten | |
würden unter schlechten Bedingungen arbeiten. So sparten die | |
Arbeitgeber*innen Geld, damit das einzelne Ticket nicht so viel koste. | |
„Irgendwer muss für das Fliegen zahlen. Bisher war es das Personal“, | |
erklärt sie gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. | |
Die Bundesregierung möchte das Problem lösen, indem sie Personal [5][aus | |
anderen Ländern anwirbt]. Zudem kündigte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am | |
vergangenen Mittwoch an, die Arbeitsbedingungen sollten sich verbessern. | |
Auch die Opposition will das Problem angehen: Als am Donnerstag die Ferien | |
in Berlin und Brandenburg starteten, forderte die CDU/CSU-Fraktion im | |
Bundestag einen „Flugreisegipfel“ der zuständigen Minister*innen, um das | |
Chaos an den Flughäfen aufzulösen. Das Parlament lehnte den Antrag | |
allerdings ab. | |
An diesem ersten Ferientag bedarf es zumindest beim Berliner Flughafen | |
keiner Lösungen. „So kennt man den BER gar nicht: alles läuft“, scherzt e… | |
Pressefotograf, hält sich die Kamera vor das Gesicht und knipst. „Einfach | |
kein Chaos“, sagt er und klingt etwas enttäuscht. Das verkauft sich nicht | |
gut. Trotzdem ist es lauter als noch zwei Tage zuvor. Gegen elf Uhr | |
vormittags haben sich bei den Check-Ins der Flüge nach Fuerteventura, | |
Helsinki und Istanbul Schlangen gebildet, die deutlich über den | |
vorgesehenen Bereich hinausragen. Aber nach rund anderthalb Stunden sind | |
auch die letzten durch. | |
Wie am Dienstag erzählen Reisende, dass sie nicht nur zweieinhalb, sondern | |
auch mal drei oder vier Stunden früher am Flughafen angekommen sind. Sicher | |
ist sicher. Martin und Stephanie etwa sind mit dem Zug so früh da gewesen, | |
dass sie sogar warten müssen, bis ihr Check-in für den Flug nach Frankreich | |
überhaupt öffnet. Bisher wirke alles normal, der Flughafen nicht | |
überlaufen. | |
## 3.000 Flüge abgesagt | |
Der Flughafen tue dafür auch einiges, bemerkt Stephanie und weist auf die | |
Leute in roten T-Shirts, die überall auf dem Gelände zu sehen sind. Ein | |
Sprecher des BER erklärt, dass es sich um Mitarbeiter*innen handelt, | |
die ansonsten etwa in der Buchhaltung arbeiten. Am Flughafen helfen sie nun | |
den Reisenden dabei, sich zu orientieren. „Hallo, sind sie gut vorbereitet | |
auf die Sicherheitskontrolle?“ fragt einer von ihnen die Reisenden. Wenn | |
sie ihn nicht verstehen, wechselt er ins Englische und fragt nochmal. | |
Martin und Stephanie machen sich keine Sorgen. „Die Leute sind am Ende | |
selbst verantwortlich, dass sie ihren Flug erwischen“, sagt Martin. | |
Am Ende des Tages sind schließlich 231 Flüge vom BER abgehoben. Fünf wurden | |
gestrichen. Einer davon sollte am Morgen um 7:15 Uhr nach Frankfurt am Main | |
gehen. Kurzfristig habe die Lufthansa den gecancelt, erzählt Bengt, deshalb | |
würden er und seine fünf Begleiter nun ihren Anschluss verpassen – und die | |
Hochzeit, zu der sie eigentlich wollten. Die Lufthansa weigere sich, ihre | |
Umbuchung zu übernehmen. | |
„Es ist ja kein Problem, wenn es mit dem Flieger nicht klappt. Aber dann | |
sollen sie eine Alternative anbieten und zahlen“, findet er. Gerade, weil | |
es ein Inlandsflug war, hätte er auch einen Zug oder ein Auto nach | |
Frankfurt genommen, wenn er früh genug Bescheid gewusst hätte. | |
Ein Sprecher der Lufthansa räumt in diesem Fall ein, es könne gut sein, | |
dass der Flug kurzfristig gestrichen wurde. Insgesamt hat die Airline 3.000 | |
Flüge im Juli und August abgesagt. „Aber Ziel ist immer, eine Alternative | |
anzubieten.“ Der Sprecher könne sich nicht vorstellen, dass es in diesem | |
Fall anders sei. Die Reisenden sollen trotzdem mit der Lufthansa ans Ziel | |
kommen. | |
Laut dem BER waren vergangenen Dienstag 60.000 Reisende am Flughafen, am | |
Donnerstag waren es 70.000 und am Freitag dann 80.000. Über die Ferien | |
werde das Niveau auf dieser Höhe bleiben – und mit Chaos rechne man nicht. | |
10 Jul 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Vorschlag-fuer-Nahverkehr/!5862499 | |
[2] /BER-vor-neuer-Belastungsprobe/!5861286 | |
[3] /Personalmangel-in-Deutschland/!5862955 | |
[4] https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/07/PD22_282_474.h… | |
[5] /Personalmangel-an-Flughaefen/!5860904 | |
## AUTOREN | |
David Muschenich | |
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