# taz.de -- Öffentlicher Nahverkehr in Berlin: Das lange Kreißen der S-Bahn | |
> Bis Dienstag konnten sich Unternehmen für den Betrieb zweier | |
> S-Bahn-Strecken bewerben. Es ist ein geheimnisvolles, risikoreiches | |
> Projekt. | |
Bild: Mit der Ausschreibung will der Senat Geld einsparen – das könnte sich … | |
Berlin taz | Die Tür bleibt zu. Davor steht eine kleine Gruppe aus rund | |
zehn Aktivist*innen von Eine S-Bahn für alle: An diesem Dienstagmorgen | |
wollen sie dem Verkehrsverbund Berlin Brandenburg (VBB) einen eigens | |
gedrehten Dokumentarfilm – symbolisch – überreichen. Das Bündnis | |
protestiert damit gegen die [1][laufende Ausschreibung zweier | |
S-Bahn-Strecken]. | |
„Der teure und bürokratische, durch Verzögerungen und Pannen geprägte | |
Ausschreibungsschlamassel muss sofort beendet werden“, sagt Jorinde Schulz, | |
eine Sprecherin des Bündnisses. Doch beim VBB, der gegenüber dem Ostbahnhof | |
seine Büros hat, reagiert niemand. So was habe er bei den vielen | |
Kundgebungen für den Erhalt der S-Bahn noch nicht erlebt, empört sich | |
Schulz' Kollege Carl Wasmuth. | |
Die geschlossenen Türen stehen ebenso symbolisch für dieses | |
[2][milliardenschwere Projekt der scheidenden grünen Verkehrssenatorin | |
Regine Günther]. Und wahrscheinlich wird sich an diesem 2. November 2021 | |
entschieden haben, ob es überhaupt klappt. Denn am Dienstag, 24 Uhr, endete | |
die Frist für Unternehmen, Angebote abzugeben – für den Betrieb der | |
Teilnetze Nord–Süd und Stadtbahn der S-Bahn. Ausgeschrieben sind sie ab | |
2027 beziehungsweise 2028. | |
Sonderlich viele Informationen dazu bekommt man auch auf Nachfrage nicht; | |
die meisten Beteiligten wollen sich nicht äußern und begründen dies mit dem | |
laufenden Ausschreibungsverfahren. Der Noch-Monopolist S-Bahn Berlin GmbH | |
gehört zur Deutsche Bahn AG – dort mag eine Sprecherin noch nicht einmal | |
bestätigen, dass man sich überhaupt beworben hat. | |
Man schweige in der Nahverkehrsbranche erstaunlich laut über die durchaus | |
lukrative Ausschreibung, sagt ein Branchenkenner der taz. Und ein Sprecher | |
des VBB sagt, man habe lediglich die Rolle des „Vergabebüros“ bei der | |
Ausschreibung, prüfe also etwa, ob alle Kriterien bei den Bewerbern erfüllt | |
sind. Deshalb wolle man „aus rechtlichen Gründen“ den Dokumentarfilm des | |
Bündnisses auch nicht annehmen. | |
Angesichts dieser Schweigsamkeit dürfte es dauern, bis überhaupt bekannt | |
wird, wie groß der Kreis der Bewerber ist. Wenn es überhaupt ein Kreis | |
wird: Der RBB [3][geht lediglich von zwei sicheren Kandidaten] aus und | |
beruft sich auf „Insider“. | |
Das Verfahren ist tatsächlich kompliziert. Jeden Fehler könnten unterlegene | |
Bewerber später für Klagen nutzen. Auch die Ausgangslage hat es in sich. | |
Bisher betreibt die S-Bahn Berlin GmbH die nach ihr benannte S-Bahn mit | |
ihren drei Teilstrecken Nord–Süd, Stadtbahn und Ring allein. Das wurde zum | |
Problem, als nach einem Radbruch 2009 ein großer Teil der Flotte in die | |
Werkstatt musste. | |
Denn die Bahn AG hatte zuvor die Reparaturkapazitäten stark reduziert, um | |
fit für den damals geplanten Börsengang zu werden. Zwar bestellt und | |
finanziert das Land Berlin den Nahverkehr – doch ein anderer Anbieter, den | |
das Land hätte beauftragen können, stand eben nicht zur Verfügung. | |
So konnte sich das legendär gewordene S-Bahn-Chaos über Jahre hinziehen: | |
Ausfallende, unregelmäßig verkehrende oder verkürzte Züge wurden zur | |
Dauerbelastung für Pendler*innen und Politik. Die S-Bahn benutzt ein | |
einzigartiges Spursystem – mögliche Wettbewerber müssen sich genau | |
überlegen, ob sie die hohen Investitionen in einen Fuhrpark wagen, den sie | |
nirgendwo sonst einsetzen könnten. | |
## Das Land kauft den Fuhrpark selbst | |
Deshalb versucht der rot-rot-grüne Senat die Hürden für Konkurrenten zu | |
senken, indem das Land selbst die rund nötigen 1.300 S-Bahn-Waggons kauft – | |
für rund 3 Milliarden Euro. Der oder die künftigen Betreiber dürfen sie | |
dann nutzen. Nach vielen Debatten vor allem mit den Linken brachte Günther | |
im August die Ausschreibung an den Start. | |
Bewerben können sich Unternehmen auf vier Bereiche, genannt Lose: jeweils | |
den Betrieb der beiden Strecken, dazu die Beschaffung und Instandhaltung | |
des Fuhrparks. Die künftigen Verträge über den Betrieb sollen 15 Jahre lang | |
laufen, die Verträge zur Instandhaltung 30 Jahre. Laut Senat beträgt das | |
Volumen aller Aufträge etwa 8 Milliarden Euro. Die Entscheidung soll bis | |
Oktober 2022 fallen. | |
Von dem erstmals möglichen Wettbewerb erhofft sich Senatorin Günther | |
vernünftige Preise bei dauerhaft guter Qualität und großer | |
Betriebssicherheit, wie sie 2020 erklärte. Die Senatorin ist damit ganz auf | |
der Position des Lobbyverbands Mofair, eines Bündnisses für fairen | |
Wettbewerb im Schienenpersonenverkehr. | |
Vor allem im Rahmen der ersten Ausschreibung würden die Unternehmen | |
deutlich ihre Preise senken, sagt Mofair-Geschäftsführer Matthias | |
Stoffregen der taz. Das käme dem Land und so letztlich den | |
Steuerzahler*innen zugute – das zeigten die Erfahrungen der | |
vergangenen zwei Jahrzehnte in allen anderen Bundesländern. Dort sei auch | |
erkennbar: Die Qualität leide darunter nicht. | |
Doch auch Mofair bringt sich in Stellung, falls die Ausschreibung kippen | |
sollte und letztlich die S-Bahn Berlin GmbH zum Zug käme: Ein von dem | |
Bündnis erstelltes und der taz vorliegendes Gutachten hält die – vermutete | |
– Teilnahme eines Joint Ventures von Deutscher Bahn und den Bahnherstellern | |
Siemens und Stadler an der Ausschreibung für unzulässig. Der | |
Zusammenschluss der drei Firmen sei aus vielerlei Gründen eine | |
„wettbewerbsverfälschende Vereinbarung“. Medienberichten zufolge haben | |
Bahn, Stadler und Siemens zwei gemeinsame Firmen gegründet; öffentliche | |
Bestätigungen dafür gibt es jedoch – keine. | |
Auf der anderen Seite macht das Bündnis Eine S-Bahn für alle Druck. Statt | |
einer möglichen Zersplitterung in viele Betreiber fordert es einen Kauf der | |
S-Bahn Berlin GmbH durch das Land. Die Initiative nennt die jetzt geplante | |
Vergabe „Privatisierung“, aus ihrer Sicht drohen Lohnkürzungen, | |
Entlassungen und die Schließung von Werkstätten. Letztlich würde sich der | |
Service deutlich verschlechtern. Bisher ist die Deutsche Bahn jedoch nicht | |
gewillt, ihre einträgliche Tochter zu verkaufen – obwohl der Senat sogar | |
gern zuschlagen würde. | |
## Initiative fordert mehr Druck von der Politik | |
Doch die Initiative vermisst den politischen Druck: Bisher habe es gar | |
keine richtigen Verhandlungen gegeben, sagt Jorinde Schulz von der | |
Initiative. „Dass die Bahn nicht verkaufen will, ist bloß eine Ausrede. Wir | |
brauchen einen konkreten Vorstoß zum Kauf des Unternehmens“, sagte sie der | |
taz. | |
Inzwischen scheint dieser auf dem Weg zu sein. Linksfraktionschef Carsten | |
Schatz verriet unlängst auf einem Parteitag, man habe sich bei den | |
Sondierungen mit Grünen und SPD darauf verständigt, die S-Bahn kaufen zu | |
wollen. Schriftlich festgehalten worden sei das nicht – aus rechtlichen | |
Gründen. Man wolle nicht in Konflikt mit der laufenden Ausschreibung | |
geraten. | |
2 Nov 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Koalitionsverhandlungen-in-Berlin/!5806012 | |
[2] /S-Bahn-Ausschreibung-kann-beginnen/!5681374 | |
[3] http://www.rbb24.de/wirtschaft/beitrag/2021/11/berlin-s-bahn-nord-sued-lini… | |
## AUTOREN | |
Bert Schulz | |
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