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# taz.de -- Volksentscheid Berlin autofrei: „Viele haben die vielen Autos sat…
> Donnerstag übergibt Berlin autofrei die gesammelten Unterschriften dem
> Innensenator. Sprecher Manuel Wiemann ist zuversichtlich.
Bild: Autoverkehr auf dem Kaiserdamm in Berlin, Mai 2021
taz: Herr Wiemann, wie viele Unterschriften hat die Initiative Berlin
autofrei zusammenbekommen?
Manuel Wiemann: Das können wir leider noch nicht sagen, wir wollen ja keine
falschen Zahlen in die Welt setzen. Aber wenn wir alle Listen bis
Donnerstag ausgezählt haben und bei der Innenverwaltung einreichen, werden
wir unsere Zählung bekannt geben.
Reichen wird es ja wohl?
Davon gehen wir aus, sonst hätten wir die Sammlung ja nicht vorzeitig
beendet.
Welche Reaktionen haben Sie beim Sammeln erlebt?
Die waren unterschiedlich, aber in der Regel sehr positiv. Ganz viele
kannten [1][„Berlin autofrei“] schon und haben ohne Rückfrage
unterschrieben. Das war für uns überraschend, weil wir ja ganz neu auf der
politischen Bühne waren und uns ohne Rückendeckung einer NGO oder einer
Partei Gehör verschaffen mussten. Viele Berlinerinnen und Berliner haben
gesagt, dass sie unser Anliegen teilen und mehr Lebensqualität auf den
Straßen wollen. Sie haben die vielen Autos satt und möchten eine
Veränderung sehen. Und viele sind enttäuscht vom Senat, dass wir zwar
dieses wunderbare Mobilitätsgesetz haben, sich davon aber fast nichts auf
der Straße wiederfindet.
Gab es auch Gegenwind?
Natürlich haben wir nicht von allen eine Unterschrift bekommen. Wobei es
auch Menschen gab, die nicht ganz verstanden haben, dass wir „autofrei“ als
Schlagwort verwenden, aber natürlich „autoreduziert“ meinen. Sprich:
Menschen, die auf das Auto angewiesen sind, können weiterfahren. Das hat zu
Missverständnissen geführt, die wir aufklären mussten.
Hätten Sie Ihr Anliegen anders kommunizieren müssen?
Wir haben uns dazu im Vorfeld Gedanken gemacht, und ich glaube, es war
genau richtig so, weil „autofrei“ ein eingängiger und kurzer Begriff ist.
Alles andere wäre unklar und schwer zu greifen gewesen. Wir werden
evaluieren, wie wir damit weitermachen.
Die meisten schweren und tödlichen Verkehrsunfälle entstehen durch Lkws.
Den Lieferverkehr verbannt Ihr Gesetzentwurf nicht aus der Stadt. Bringt er
so wirklich das entscheidende Mehr an Sicherheit?
Grundsätzlich stimmt die Beobachtung, aber einerseits haben wir ja als
Nebenforderung flächendeckendes Tempo 30 in der Stadt. Das erhöht die
Verkehrssicherheit schon einmal generell. Und andererseits entstehen die
bekannten schweren [2][Abbiegeunfälle] ja nur in Situationen, in denen die
Lkw-Fahrer:innen die Straße nicht gut einsehen können, etwa weil Autos bis
an die Kreuzung herangeparkt wurden. Das verändert sich, wenn es weniger
parkende Autos gibt.
Ein Teil der Bergmannstraße in Kreuzberg ist kürzlich radikal umgestaltet
worden. Es gibt dort jetzt einen Zweirichtungs-Radweg und eine Restspur für
Autos, aber nur in eine Richtung und mit Schwellen unterbrochen. Sieht für
Sie so die ideale Straße aus?
Unser Gesetz adressiert mit dem gesamten S-Bahn-Ring einen sehr großen
Bereich, da wird am Ende jede Straße anders aussehen müssen. Auch bei einer
deutlichen Reduktion des Autoverkehrs wird es einige Straßen geben, über
die der restliche Verkehr weiterfährt. Daneben kann es Durchfahrtsperren
wie in den Kiezblocks geben. Es kann wie in der [3][Bergmannstraße]
aussehen oder auch wie auf der verkehrsberuhigten [4][Friedrichstraße]. Das
lässt sich stadtplanerisch am besten vor Ort unter Beteiligung der Menschen
entscheiden. Die können gemeinsam überlegen: Wollen wir mehr Platz für
Cafés, wollen wir Platz für Radwege oder breite Fußwege?
Apropos Umgestaltung des Straßenraums: Zur Gruppe derer, die laut Ihrem
Gesetz weiter Auto fahren können, gehören mobilitätseingeschränkte
Menschen. Da wurde schon bei der Bergmannstraße Kritik laut, die könnten
den Kürzeren ziehen – beispielsweise können die meisten von ihnen nicht mal
eben fünf Straßen zum Parkhaus laufen oder brauchen das Taxi direkt vor der
Haustür.
Wir sagen ja bewusst, dass wir den Autoverkehr und damit auch den stehenden
Verkehr reduzieren, aber nicht komplett abschaffen wollen. Damit muss es
natürlich auch weiterhin Raum für Taxis geben oder Parkplätze für
mobilitätseingeschränkte Menschen oder Handwerker und Handwerkerinnen. Für
all das braucht es weiterhin Platz, aber deutlich weniger als aktuell.
Andere Gruppen sollen ebenfalls Ausnahmegenehmigungen erhalten – weil ihr
Weg zur Arbeit oder ihr Heimweg mitten in der Nacht stattfindet oder sie im
öffentlichen Raum Gefährdungen ausgesetzt sein können. Ist es nicht
unglaublich aufwendig für eine Verwaltung, solche Ansprüche zu prüfen?
Ich bin mir sicher, dass das möglich ist. Bei diesen Personen soll es
Genehmigungen mit festen Plaketten für drei Jahre geben. Das ist ein
einmaliger Prüfaufwand, der sich am Anfang vielleicht ballt, aber
langfristig leicht umsetzbar ist. Wir haben uns gut überlegt, wie wir den
Aufwand insgesamt möglichst gering halten können, und das Charmante an
unserem Gesetz ist ja, dass wir gar keine baulichen Maßnahmen brauchen. Es
reichen ein paar Schilder, die anzeigen, wo der autoreduzierte Bereich
beginnt.
Und die 12 erlaubten Fahrten, die man online beantragen muss?
Die Menschen in der Innenstadt können einfach losfahren, ohne auf eine
Genehmigung zu warten – die Behörden sind es, die entscheiden, wie häufig
sie die Nutzung überprüfen. Der Kniff unseres Gesetzes liegt aber darin,
nach dem Grund der Fahrt zu fragen. Das ist ein völlig neues Herangehen in
der Verkehrsdebatte. Zu fragen, ist diese Fahrt wirklich notwendig? Ist es
gerechtfertigt, dass eine Person so viel Platz einnimmt, Feinstaub erzeugt
und ein Sicherheitsrisiko darstellt?
Aber ist Ihr Entwurf nicht so radikal, dass er am Ende zum Scheitern
verurteilt ist? Bei einem Volksentscheid dürfte er die Autofahrenden extrem
mobilisieren. Dann wäre alles umsonst gewesen.
Wir sind sehr optimistisch, dass Berlin bereit ist, in der Verkehrswende
einen Schritt weiterzugehen, dass es weltweit Vorreiter sein kann bei der
Frage, wie eine Großstadt lebenswerter wird. In Berlin besitzt ja nicht mal
jeder zweite Haushalt ein Auto. Und von allem, was ich selbst erlebt und
von anderen Sammlern und Sammlerinnen mitbekommen habe: Die Mehrheit der
Passantinnen und Passanten unterschreibt. Ich bin da sehr zuversichtlich.
3 Aug 2021
## LINKS
[1] /Initiative-Berlin-autofrei/!5762568
[2] /Verkehrssenatorin-ueber-Abbiegeassistent/!5583828
[3] /Verkehrsberuhigung-der-Bergmannstrasse/!5762811
[4] /Verkehrsversuch-auf-der-Friedrichstrasse/!5706412
## AUTOREN
Claudius Prößer
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Berlin autofrei
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