| # taz.de -- Verkehrsberuhigung der Bergmannstraße: Ein Kiez macht dicht | |
| > Der Bergmannkiez in Kreuzberg leidet seit Langem unter zu viel Verkehr. | |
| > Nach jahrelangem Experimentieren wird es für AutofahrerInnen jetzt ernst. | |
| Bild: Rein und wieder raus kommt man immer noch – aber nicht mittendurch | |
| Es fühlt sich fast normal an: Wer an einem dieser Corona-Tage durch die | |
| Kreuzberger Bergmannstraße schlendert, ist von so viel städtischer | |
| Lebendigkeit umgeben, dass das Pandemiegefühl mitunter verschwindet. | |
| Menschen tragen volle Einkaufsbeutel aus der Markthalle am Marheinekeplatz, | |
| betrachten Bücher vor dem Antiquariat oder studieren die Speisekarte an | |
| einem der vielen Restaurants, die mittlerweile im Liefer- und Abholbetrieb | |
| brummen. | |
| Aber nicht nur die Gehwege sind voll, auch auf der Fahrbahn wird es öfters | |
| eng: Gerade in Richtung Mehringdamm ist die Straße hart umkämpft zwischen | |
| Kolonnen von Fahrrädern, Lieferwagen, die vergeblich einen Parkplatz | |
| suchen, und Autos, die mal vorschriftsmäßig mit Tempo 20 über den Asphalt | |
| rollen, mal mit aufheulendem Motor losrasen. | |
| An der Markthalle wiederum durchschneidet eine Hauptverkehrsstraße den | |
| Kiez: Viele FahrerInnen suchen ihren Weg zwischen Mitte und Tempelhof über | |
| die Zossener und die Friesenstraße, in Stoßzeiten bilden sich hier Staus. | |
| In den kopfsteingepflasterten Nebenstraßen sind derweil die Parkplätze | |
| kostenpflichtig – und trotzdem meist belegt. | |
| Urbanität und Verkehrsstress scheinen in diesem Quadratkilometer Kreuzberg | |
| untrennbar zu sein. Am Wochenende soll sich das ändern: Dann lässt das | |
| Bezirksamt an den meisten Straßen, die in den Kiez hineinführen, Schilder | |
| anbringen. „Durchfahrt für Kfz verboten, Anlieger und Fahrräder frei bei | |
| Tempo 20“ lautet die Botschaft der einen, die anderen signalisieren, dass | |
| hier eine Einbahnstraße endet. Es ist der erste Schritt zur Verbannung des | |
| Durchgangsverkehrs aus dem Viertel, später sollen Fußgängerzonen auf der | |
| Bergmannstraße und dem Chamissoplatz folgen. | |
| Bis 2025 soll alles fertig sein, sagt Monika Herrmann (Grüne), als | |
| Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg auch für die | |
| Verkehrsplanung zuständig. „Berlin hat mit seinen SPD-Senatoren | |
| jahrzehntelang die Verkehrspolitik vertändelt und aufs Auto gesetzt“, | |
| findet sie und freut sich, dass es endlich anders kommt – auch mit | |
| Unterstützung der Senatsverkehrsverwaltung. In anderen europäischen Städten | |
| sei man viel weiter, dort wisse man schon lange, dass die Mobilitätswende | |
| mit der Gestaltung des öffentlichen Raums eng zusammenhänge. | |
| Um diese Gestaltung wird im Bergmannkiez allerdings auch schon länger | |
| gerungen. Los ging es 2012, als der Bezirk den Zuschlag für eine von drei | |
| Berliner „Begegnungszonen“ erhielt – eine Idee von PlanerInnen, die | |
| ursprünglich dachten, Fuß-, Fahrrad- und Autoverkehr könnten sich in | |
| gegenseitigem Respekt dieselben Flächen teilen. | |
| Das klappte so natürlich nicht. Nachdem schon der erste Versuch in der | |
| Schöneberger Maaßenstraße heiß umstritten war, begann in Kreuzberg ein | |
| [1][Marathon aus Bürgerbeteiligung] und Verkehrsversuchen. Aus Letzteren | |
| sind vielen die dottergelben „Parklets“ ebenso noch in Erinnerung wie große | |
| grüne Punkte auf dem Asphalt. | |
| Das ließ sich politisch und medial gut ausschlachten. Unter diesem massivem | |
| Druck votierte die Bezirksverordnetenversammlung vor gut zwei Jahren für | |
| ein Aus der Begegnungszone. Es kam dann aber noch ganz anders. | |
| Der damalige Verkehrsstadtrat Florian Schmidt (Grüne) startete eine | |
| Haushaltsbefragung, bei der sich ein Fünftel der AnwohnerInnen den alten | |
| Zustand zurückwünschte, ein Drittel dafür plädierte, weiterzumachen – und | |
| 44 Prozent angaben, sie hätten am liebsten eine noch radikalere | |
| Verkehrsberuhigung. Weitere Beteiligungsformate folgten – [2][auch als | |
| „Reallabor“] unter Verwendung von Straßenkreide –, und Ende 2019 beschlo… | |
| die BVV: Der Durchgangsverkehr muss raus aus dem Bergmannkiez. | |
| Fragt man Felix Weisbrich, Leiter des bezirklichen Straßen- und | |
| Grünflächenamts, wie der Kiez einmal aussehen soll, verweist er gerne auf | |
| eine [3][Ausstellung], die schon länger im Rathaus Kreuzberg, aber [4][auch | |
| im Internet zu besichtigen] ist. Auf 14 Bildtafeln wird neben dem komplexen | |
| Beteiliungsprozess auch die Vision für die Bergmannstraße dargestellt: eine | |
| Fußgängerzone mit viel Grün, einem zweispurigen Radweg und einem kleinen | |
| Wasserlauf à la Freiburg im Breisgau. Für Liefer- und Anliegerverkehr gibt | |
| es ein Zeitfenster am Vormittag. | |
| Ganz so schnell geht es allerdings nicht, erst einmal kommen nur die | |
| Verkehrsschilder – und da weiß auch Weisbrich, dass die in Berlin eher | |
| mittelgut wirken. „Wir sind als Straßenverkehrsbehörde leider nur fürs | |
| Anordnen zuständig“, sagt er, „beim Vollzug der Regeln hapert es | |
| bekanntlich, aus welchen Gründen auch immer.“ Er würde Polizei und | |
| Ordnungsamt „sehr gerne“ mit einem eigenen Außendienst unterstützen, um | |
| Tempoüberschreitungen und Falschparken zu ahnden. „Aber das sind | |
| Auseinandersetzungen um Verwaltungseffektivität, die zu einem späteren | |
| Zeitpunkt geführt werden müssen.“ | |
| Wobei: Gegen die Einbahnstraße fahren auch Berliner AutofahrerInnen eher | |
| selten, ganz wirkungslos dürfte die Beschilderung nicht sein. Den | |
| eigentlichen Unterschied macht aber erst die Unterbindung des | |
| Durchgangsverkehrs auf Zossener und Friesenstraße, wenn nur noch der | |
| BVG-Bus dank versenkbarer Poller durchrollen kann. Das Problem bislang: Die | |
| Senatsverwaltung betrachtete den Straßenzug als notwendige Entlastung für | |
| den Mehringdamm und lehnte die Sperrung kategorisch ab. Jetzt hat das | |
| Bezirksamt ein Gutachten in Auftrag gegeben. | |
| „Der Mehringdamm hat als Bundesstraße eine tägliche Verkehrslast von rund | |
| 40.000 Kfz, auf der Zossener und der Friesenstraße sind es um die 10.000“, | |
| sagt Weisbrich. „Wenn wir die für den Durchgangsverkehr sperren, verlagert | |
| sich das aber nicht eins zu eins, denn wir beeinflussen damit ja auch die | |
| Verkehrsmittelwahl. Manche steigen dann einfach um.“ Er benutzt das Bild | |
| eines Flusses: „Der Strom verlagert sich und verdampft gleichzeitig auch | |
| ein Stück weit.“ | |
| Der rührige Straßenamtsleiter geht fest davon aus, dass das Gutachten die | |
| Sperrung des Bergmannkiezes – vielleicht sogar auch des Viktoriakiezes | |
| jenseits des Mehringdamms – für den Durchgangsverkehr als machbar bewertet. | |
| „Für diesen Fall werden diese Maßnahmen dann mit der | |
| Senatsverkehrsverwaltung abgestimmt.“ Dass alles seriös und nachprüfbar | |
| berechnet wird, ist Weisbrich wichtig, auch nach der Erfahrung mit den | |
| Pop-up-Radspuren im Bezirk: „Wir müssen immer davon ausgehen, dass das | |
| beklagt wird.“ | |
| Grund zur Freude ist die aktuelle Entwicklung für Hans-Peter Hubert: Er hat | |
| Ende 2012 mit anderen AnwohnerInnen die [5][„Initiative Leiser | |
| Bergmannkiez“] gegründet, die seitdem unter anderem mit „Verkehrsgespräch… | |
| im Wasserturm“ und einem [6][Blog] für das trommelt, was jetzt kurz vor der | |
| Verwirklichung steht. „Damals kam es uns vor, als müssten wir keine dicken | |
| Bretter, sondern Betondeckel bohren“, erinnert sich Hubert, seitdem habe | |
| sich aber in Berlin und Deutschland grundsätzlich etwas im Mobilitätsdenken | |
| geändert: „Wir waren ein Bestandteil dieses Prozesses, aber sicherlich auch | |
| eine treibende Kraft.“ | |
| Ästhetische Fragen – oder wie Huberts Mitstreiter Rafael Steiner sagt: die | |
| „touristische Aufwertung der Bergmannstraße“ – spielen dabei für die | |
| Initiative weniger eine Rolle: „Ob da jetzt ein Bächlein fließt oder nicht, | |
| uns geht es um die Verkehrsberuhigung im gesamten Kiez“, sagt Steiner. Die | |
| Sperrung für den Durchgangsverkehr sei da „der entscheidende Hebel.“ | |
| Nicht alle sehen dem, was da kommt, so freudig entgegen: Gerade viele | |
| LadeninhaberInnen sind skeptisch, so wie Antje Blank, die das | |
| Spezialitätengeschäft „Broken English“ in der Arndtstraße führt. „Wir… | |
| viele ältere KundInnen, die zum Teil mit dem Auto aus Brandenburg anreisen, | |
| um regelmäßige Großeinkäufe zu tätigen“, sagt Blank, „auf die werden d… | |
| Veränderungen abschreckend wirken.“ Es sei ja schon jetzt eine | |
| Herausforderung, einen Parkplatz zu finden. „Den Speditionen, von welchen | |
| ich wöchentlich Lieferungen erhalte, wird das komplizierte | |
| Einbahnstraßensystem zusätzliche Schwierigkeiten bereiten.“ | |
| Als „Ärgernis“ empfindet die Geschäftsfrau das Ganze auch, weil die | |
| Maßnahmen aus ihrer Sicht unzureichend kommunziert wurden: „Letztes Jahr | |
| hat irgendwann ein junger Mann im Geschäft vorbeigeschaut“, berichtet | |
| Blank, „der hat uns kommentarlos eine wenig detaillierte | |
| Hochglanz-Broschüre auf den Tresen gelegt und war schnellstens wieder | |
| verschwunden.“ | |
| Hans-Peter Hubert vom „Leisen Bergmannkiez“ hält dagegen, es habe unter den | |
| Gewerbetreibenden ja auch einen „Aufschrei“ gegeben, als Anfang 2019 die | |
| Parkraumbewirtschaftung im Kiez eingeführt wurde. „Daran hat man sich aber | |
| offenbar bereits gewöhnt, ebenso wie an Elemente, die inzwischen | |
| dauerhafter Bestandteil der Bergmannstraße sind, wie die Poller gegen | |
| Falschparker an den Einmündungen und die Fahrradbügel auf der Fahrbahn.“ | |
| Hubert findet: „Es scheint, als müssten sinnvolle Maßnahmen einfach mal | |
| umgesetzt werden. Gut, dass der Bezirk den Mut dazu hatte.“ | |
| Ob sich am Ende wirklich alles fügt, bleibt abzuwarten. Immerhin befindet | |
| sich auch Kreuzberg trotz allem in einer Art Standby-Modus. In einem | |
| kleinen Teil der Bergmannstraße wird so oder so kaum Ruhe einkehren: Der | |
| Abschnitt zwischen Mehringdamm und Nostitzstraße wird nicht der | |
| Fußgängerzone zugeschlagen, auch damit das Gesundheitszentrum immer mit dem | |
| Auto erreichbar bleibt. | |
| Der 2008 eröffnete Komplex, der auch einen Netto- und einen Edeka-Markt | |
| beherbergt und damit für einen latenten Verkehrsinfarkt sorgt, war damals | |
| gegen großen Protest durchgedrückt worden. Zurückgebaut kriegt man ihn | |
| jetzt nicht mehr. | |
| 28 Apr 2021 | |
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