# taz.de -- Wenn BürgerInnen diskutieren: Die Partizipation ist eine Brezel | |
> In Kreuzberg ist die Kritik zu Hause. Beim Thema „Begegnungszone | |
> Bergmannstraße“ lässt die Politik deshalb alle mitreden. Aber auch das | |
> hat seine Tücken. | |
Bild: Jan Korte von „zebralog“ moderiert bei der „Offenen Bügerwerkstatt… | |
Brezeln. Körbeweise Brezeln. Über den ganzen Saal und die Nebenräume | |
verteilt wartet das Laugengebäck nebst Säften und Mineralwasser auf | |
Abnehmer. Greifen Sie zu, es kostet nichts! | |
Der salzige Snack soll den KreuzbergerInnen einen langen Freitagabend | |
versüßen, zu dem das Bezirksamt und die Senatsverwaltung für | |
Stadtentwicklung ins Columbia-Theater eingeladen haben. Eine „Offene | |
Bürgerwerkstatt“ zur Begegnungszone Bergmannstraße gibt es hier. Die | |
Umgestaltung und Verkehrsberuhigung der alternativen Flaniermeile hat sich | |
zu einem echten Reizthema im Bezirk entwickelt, die Sache läuft nicht | |
glatt. Weshalb die verschlungenen und verknoteten Teigwerke irgendwie auch | |
als Metapher für den Beteiligungsprozess taugen. | |
Der Saal ist voll, gut 100 Interessierte sind gekommen. Dazu ein kleines | |
Heer von ModeratorInnen der Agentur „zebralog“, die die Versammlung | |
moderieren. Auf der Bühne stehen Hans Panhoff, der Baustadtrat von | |
Friedrichshain-Kreuzberg, und Horst Wohlfarth von Alm, in der | |
Senatsverwaltung zuständig für die Berliner „Fußverkehrsstrategie“ und d… | |
Modellprojekt „Begegnungszonen“. | |
## „Raum zum Denken“ | |
Es geht los. „Wir haben heute Raum zum Denken, zur Begegnung“, sagt eine | |
Moderatorin ins Mikrofon, dann spricht Panhoff über die „wichtige und | |
geliebte Straße“ zwischen Marheineke-Halle und Mehringdamm und ihre immer | |
wieder angemahnten Verkehrsprobleme. Wohlfarth von Alm betont, wie | |
bemerkenswert die neue Form der Beteiligung sei: „Ich freue mich auf diesen | |
Abend!“ Eine gewagte Aussage. | |
Denn was Bürgerbeteiligung in Kreuzberg heißen kann, wird schnell klar. | |
Gerade wird gesagt, es gehe ja noch gar nicht um fertige Entwürfe, nur um | |
Ideen, da platzt es aus einer Frau in den hinteren Reihen schon heraus: „Am | |
Ende macht ihr doch, was ihr wollt!“, schreit sie. Gejohle und Applaus. So | |
geht das weiter, es gibt eine richtige Anti-Fraktion mit Pappschildern: | |
„Begegnungszone? Nein Danke!“ steht in großen Lettern darauf. | |
Die Moderation dürfte sich auf die ortstypische Widerborstigkeit | |
vorbereitet haben, trotzdem sieht man, dass die jungen Leute nicht völlig | |
gefeit sind gegen die aggressive Stimmung, die sich in Zwischenrufen | |
entlädt. „Kritik macht Sachen ja auch besser“, versucht ein Moderator, eine | |
Brücke zu bauen. Am Ende aber greift das links-grün-akademische Publikum | |
zur Selbstregulation: „Wer nicht in der Lage ist, mal 40 Minuten zuhören, | |
soll doch nach Hause gehen!“, ruft eine Teilnehmerin, diesmal klatscht die | |
andere Hälfte. Und dann kann Eckhart Heinrichs vom Planungsbüro LK Argus | |
halbwegs ungestört die Probleme in der Bergmannstraße und die angedachten | |
Lösungen schildern. | |
Das klappt nicht immer so gut. Rückblende: Mitte Februar, eine etwas | |
kleinere Runde in der Aula des Leibnizgymnasiums. Auf dem Podium wieder | |
Panhoff, Wohlfarth von Alm und Heinrichs sowie weitere Mitglieder des | |
Bezirksamts. Ihnen gegenüber sitzen Gewerbetreibende der Bergmannstraße, | |
und die wenigsten wollen sich etwas erzählen lassen von irgendwelchen | |
Politikern und Planern. Als Heinrichs die „Ideen“ vorstellen soll (die | |
allerdings schon sehr konkret visualisiert sind), lassen sie ihn erst gar | |
nicht zu Wort kommen. „Verkaufen Sie uns nicht für blöd“, ruft einer, „… | |
wissen, worum es geht!“ | |
Vor allem wissen fast alle, dass die Umgestaltung eine funktionierende | |
Straße kaputtmachen würde und sie selbst gleich mit. „Sie bedrohen unsere | |
Existenz“, redet ein Buchhändler sich in Rage, „Ihnen ist doch egal, ob wir | |
pleitegehen, aber meine Angestellten muss ich dann aufs Arbeitsamt | |
schicken!“ Offenbar rechnet er fest mit der Insolvenz, wenn Bauarbeiten | |
potenzielle KundInnen verschrecken und möglicherweise noch die Parkplätze | |
an der Bergmannstraße wegfallen. | |
## Polemische Atmosphäre | |
Die Atmosphäre ist hier nicht kritisch, sondern polemisch. Als auf dem | |
Podium angedeutet wird, dass Bürgerbeteiligung nicht selbstverständlich | |
sei, dass andere Bauvorhaben einfach beschlossen würden, ruft einer | |
wutentbrannt: „Ach, ist das jetzt eine Gnade, dass wir unsere Meinung sagen | |
dürfen?“ Der Abend endet für viele im Zorn. | |
Und nun zurück ins Columbia-Theater: Hier entfaltet das Moderationsteam | |
sein ganzes Können, es werden drei Großgruppen gebildet, mit je drei | |
rotierenden Kleingruppen, in denen wiederum Kleinstgruppen über | |
Fahrgassenverschwenkungen oder Zebrastreifen diskutieren. Auf großen Bögen | |
dürfen sie eintragen, was sie gut finden und was nicht, vielleicht auch, | |
was man ganz anders machen könnte. Aber schnell wird klar, wie groß die | |
Macht des Faktischen ist: Alle diskutieren entlang der angeblich völlig | |
unverbindlichen, aber eben bereits vorhandenen Ideen. | |
Schließlich versammeln sich wieder alle im Saal und die ModeratorInnen | |
postieren sich auf der Bühne, als wollten sie ein Ständchen geben | |
(tatsächlich präsentieren sie nur die Ergebnisse der Untergruppen). Die | |
Planer nehmen stapelweise Anregungen mit. Vermutlich sind die in der Summe | |
kaum anders als beim parallel laufenden Online-Dialog: viel Skepsis, hier | |
ein Plus, da ein Minus oder umgekehrt. So oder so, am Ende wird es einen | |
fertigen Entwurf geben, und die Bezirksverordnetenversammlung muss am Ende | |
entscheiden, ob sie das Produkt eines derart partizipativen Prozesses im | |
Ernst ablehnen kann. | |
„Wir werden keine Entscheidung gegen alle Widerstände erzwingen“, hat | |
Stadtrat Panhoff schon vor einiger Zeit gesagt. Allerdings drängt sich der | |
Eindruck auf, dass man nur warten muss, bis der Widerstand ob mangelnder | |
Aussicht auf Erfolg ermattet. Im Columbia-Theater haben die radikalen | |
NeinsagerInnen am Ende der Veranstaltung längst das Feld geräumt. „Nehmen | |
Sie noch eine Brezel mit nach Hause“, sagt die Moderatorin zum Abschied, | |
„es sind noch ganz viele übrig!“ | |
6 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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