Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- „Klimawoche“ der Vereinten Nationen: Eiszeit in der Heißzeit
> Am Montag beginnt die „Klimawoche“ bei der UN-Generalversammlung. Das
> Klima hat bei den meisten Regierungen nur gerade kaum Priorität.
Bild: So groß wie Paris: der jüngste Eisabbruch am Gletscher Nioghalvfjerdsfj…
Berlin taz | Das Wetter zumindest liefert die richtige Kulisse: Die
US-Westküste steht in Flammen, im Südosten der USA ist gerade wieder
Hurrikan-Alarm. Riesige Waldflächen brennen am Amazonas, im brasilianischen
Sumpfgebiet Pantanal und in Sibirien.
In Grönland bricht ein Eisberg von der Größe von Paris vom Gletschereis,
das nun unaufhaltsam schmilzt; der [1][„Golfstrom“ im Atlantik schwächt
sich weiter ab]; Überflutungen belasten Bangladesch, Indien und Westafrika,
sogar im Mittelmeer bildet sich über dem außergewöhnlich warmen Wasser ein
seltener Wirbelsturm – ein Medicane.
Bei diesen Meldungen müsste eine „Klimawoche“ der Vereinten Nationen bei
ihrer jährlichen Generalversammlung für Schlagzeilen sorgen. Denn die
Katastrophen fügen sich gut in die Vorhersagen der Klimamodelle einer
Atmosphäre, die sich weltweit rapide aufheizt.
Aber die Meldungen von dramatischen Reaktionen in New York werden
ausbleiben. Wenn am Montag die UN-„Klimawoche“ als Onlineveranstaltung
beginnt, sind viele Staats- und Regierungschefs wohl nicht nur physisch
abwesend.
## Der UN-Chef ist am Verzweifeln
Trotz aller Beteuerungen ist das Klimathema von der Coronapandemie
verdrängt und behindert worden. Ein immer machtloserer UN-Generalsekretär
Antonio Guterres wird zwar in New York immer wieder zum Thema sprechen, er
muss aber vor allem zusehen, wie sich die großen Verschmutzerstaaten der
Welt aus den Verträgen verabschieden, ihr Wort brechen und das brennende
Thema nachrangig behandeln.
„Die eingespielten Regeln für globale Aufmerksamkeit, die politischen Druck
erzeugt, funktionieren in der Coronakrise nicht mehr“, sagt Susanne Dröge,
Expertin für internationale Klimapolitik bei der Stiftung Wissenschaft und
Politik. „Guterres hat kaum Hebel, um etwas zu bewegen.“
Noch vor einem Jahr war das ganz anders. Guterres hatte die Länderchefs zum
Klimarapport nach New York bestellt, sie sollten Pläne vorlegen, wie ihre
Länder bis 2050 die CO2-Emissionen auf null bringen. Viele Staaten bemühten
sich, Deutschland brachte das „Klimapaket“ mit.
Und die Klima-Ikone Greta Thunberg segelte über den Atlantik, um in New
York eine große Klimademo anzuführen, den US-Präsidenten Donald Trump böse
anzustarren und den Mächtigen ihr berühmt gewordenes [2][„Wie könnt ihr es
wagen!“] entgegenzuschleudern.
## Viele Länder halten nicht mal die Formalien ein
2020 sollte – trotz Trump – für den Klimaschutz ein wichtiger Schritt nach
vorn werden. Bis Ende des Jahres müssen alle knapp 200 Unterzeichnerstaaten
des Pariser Abkommens neue und verbesserte Klimapläne an die UN melden,
eigentlich ist die Frist dafür schon im Frühjahr abgelaufen.
Dann kam Corona, und die Regierungen hatten andere Sorgen – oder nutzten
die Pandemie „als Teil der Verzögerungstaktik“, wie es aus der UN heißt.
Derzeit haben nach einer Analyse des [3][Thinktanks Climate Action Tracker]
neun Länder neue Pläne vorgelegt. Die wichtigsten unter ihnen: Norwegen,
Chile und Vietnam.
Das UN-Klimasekretariat UNFCCC rechnet damit, dass in New York viele
Entwicklungsländer neue Pläne vorlegen. Bis Jahresende könnte diese Zahl
wohl auf etwa 80 steigen. UNFCCC-Chefin Patricia Espinosa mahnte im Sommer
alle Regierungen dringend, sich an den Zeitplan zu halten. Einen sichtbaren
Effekt hatte das nicht.
Von den Schwergewichten wie China, USA, Japan, Australien oder Russland
wird nichts kommen. Wenn die EU ihr neues Klimaziel für 2030 – minus 55
Prozent Emissionsminderung gegenüber 1990 lautet der Vorschlag der
EU-Kommission – bis zum Jahresende unter Dach und Fach hat, wäre das ein
großes Plus.
Es fehlt dieses Jahr auch der Pranger: Die Weltklimakonferenz in Glasgow,
auf der die Bremser sich vor der Weltöffentlichkeit hätten rechtfertigen
müssen, ist vom November um ein Jahr verschoben worden. Und auch der
nächste Alarmbericht des Klimarats IPCC wird sich wegen Corona so
verzögern, dass weniger Druck auf die Politik entsteht.
Dabei nimmt die Klimakrise keine Auszeit. Rund um die UN-Generalversammlung
weisen viele neue Studien auf altbekannte, aber verschärfte Probleme hin:
Ein UN-Bericht, [4][„United in Science“, warnte], die 1,5-Grad-Schwelle
globaler Erhitzung werde schon in den nächsten Jahren immer wieder
kurzfristig überschritten.
Auch die Verantwortung für die Klimakrise ist deutlich: Ein neuer Bericht
der Hilfsorganisation Oxfam macht klar, dass die reichsten 10 Prozent der
Weltbevölkerung für 52 Prozent aller CO2-Emissionen von 1990 bis 2015
verantwortlich waren, die ärmsten 50 Prozent dagegen nur für 7 Prozent.
## Der Klimawandel wird von anderen Themen überschattet
Die internationale Klimapolitik ist aus vielen Gründen festgefahren. Der
Ausstieg der USA aus dem Paris-Abkommen unter Trump bremst den Prozess,
auch sein Handelskrieg mit China drängt das Klimathema zurück.
Schwellenländer wie Indien und Brasilien leiden unter Corona, zwischen
Russland und dem Westen herrscht diplomatische Eiszeit.
Die Clubs der Mächtigen waren 2020 auch keine Hilfe, weil sie von den
Klimagegnern USA (G7) und Saudi-Arabien (G20) angeführt werden. [5][Und die
ärmsten Länder trifft Corona am härtesten, zusätzliche 2,5 Billionen
US-Dollar wären nötig, mahnt die UN-Wirtschaftsorganisation UNCTAD].
Dazu kommt, dass der Grüne Klimafonds der UN für Klimahilfen wegen
fehlender Mittel und [6][umstrittener Finanzierungen ins Gerede gekommen
ist]. Verzweifelt stieg Guterres Ende August ins Flugzeug, um Kohleländer
zu ermahnen: In Indien, Japan und China warnte er, die Kohleindustrie werde
„in Rauch aufgehen“ und sei kein gutes Investment.
Wie machtlos die UNO ist, zeigt die Debatte über die verspäteten
Klimapläne. Das Klimasekretariat will im Frühjahr einen Bericht über alte
und neue Pläne und die Lücken zum Klimaziel erstellen. Jeder weiß, was
darin stehen wird, dafür gibt es jedes Jahr den
[7][„Emissionslücken-Report“ der Umweltbehörde Unep.] Juristische
Konsequenzen aus dem Vertragsbruch von Paris? „Nicht, dass ich wüsste“,
sagt ein UN-Sprecher.
Stattdessen hofft die Staatengemeinschaft auf die Nichtstaatlichen: Die UNO
hat das [8][„Race to Zero“] ausgerufen, bei dem sich über 1.100
Unternehmen, 450 Städte, 22 Regionen und 45 Großinvestoren mit insgesamt
einem Viertel Anteil am weltweiten CO2-Ausstoß zu Nullemissionen vor 2050
verpflichten.
Die [9][„Powering past Coal Alliance“ zum schnellen Kohleausstieg,]
möglichst vor 2030, stellt unter anderem mit Peru, Seoul und
Baden-Württemberg neue Mitglieder vor. Immer mehr Weltkonzerne wie Nestlé,
Volkswagen oder ThyssenKrupp verpflichten sich dazu, ihre Produktion und
ihre Produkte bis 2050 klimaneutral zu gestalten. Das ist inzwischen so
sehr in Mode gekommen, dass der US-Thinktank [10][„World Resources
Institute“ Informationen anbietet,] wie man solche Rechnungen darauf
abklopft, ob sie ernst gemeint sind.
Die größte Hoffnung setzten viele KlimaschützerInnen in die versprochene
„Green Recovery“, also die weltweit insgesamt etwa 12 Billionen US-Dollar,
die in die Erholung der Wirtschaft nach der Coronapandemie gepumpt werden.
Man müsse jetzt die Gelegenheit nutzen, „besser wiederaufzubauen“, sagt
UN-Chef Guterres immer wieder.
Allerdings sind erste Berechnungen dazu ernüchternd: [11][In 13 von 17
untersuchten Ländern floss mehr Geld in Naturzerstörung als in grüne
Programme.] „Das reicht hinten und vorn nicht“, heißt es aus dem
Klimasekretariat. Die Sitzung in New York, so hofft die UNO, werde positive
Nachrichten bringen und weiter Druck auf die Regierungen aufbauen.
## Die Klimaszene blickt auf die USA
Denn es gibt auch ein positives Szenario. Alles hängt davon ab, dass am 3.
November Joe Biden zum US-Präsidenten gewählt wird. Der hat erklärt, als
Präsident im Frühjahr 2021 eine Klimakonferenz der wichtigsten Staaten nach
Washington einzuladen. Er könnte sich mit China einigen, das schon
angedeutet hat, mit seinem neuen Fünfjahresplan die Klimaneutralität bis
2060 anzupeilen.
Die EU würde mit einem Klimaziel von minus 55 Prozent und einem Schutzzoll
gegen Ökodumping mit den USA und China in einen Wettbewerb um die sauberste
Wirtschaft einsteigen.
Die Dynamik könnte weitergehen, wenn Brasilien und Indonesien mit einer
Mischung aus Zuckerbrot (Geld) und Peitsche (Handelsverträgen) zum
Waldschutz bewegt würden – und die britische Regierung mit der
Klimakonferenz in Glasgow einen dringend nötigen diplomatischen Erfolg mit
konkreten Klimaergebnissen nach dem Brexit anpeilen würde.
Nur eines will sich in der Klimaszene niemand vorstellen: Was passiert,
wenn Donald Trump eine zweite Amtszeit antritt?
21 Sep 2020
## LINKS
[1] https://www.nature.com/articles/s41558-020-0897-7
[2] https://www.youtube.com/watch?v=xVlRompc1yE
[3] https://climateactiontracker.org/climate-target-update-tracker/
[4] https://public.wmo.int/en/resources/united_in_science#:~:text=The%20United%…
[5] https://www.un.org/africarenewal/web-features/coronavirus/coronavirus-let%E…
[6] https://www.climatechangenews.com/2020/08/20/un-fund-pays-indonesia-forest-…
[7] https://www.unenvironment.org/resources/emissions-gap-report-2019
[8] https://unfccc.int/climate-action/race-to-zero-campaign
[9] https://poweringpastcoal.org/news/press-release/peru-seoul-and-gyeonggi-hea…
[10] https://www.wri.org/blog/2019/09/what-does-net-zero-emissions-mean-6-commo…
[11] https://www.vivideconomics.com/wp-content/uploads/2020/06/200605-Green-Sti…
## AUTOREN
Bernhard Pötter
## TAGS
Pariser Abkommen
António Guterres
CO2-Emissionen
Schwerpunkt Klimawandel
klimataz
Schwerpunkt Klimawandel
Schwerpunkt Klimawandel
Energie
PPP
Schwerpunkt Klimawandel
US-Wahl 2024
Schwerpunkt Klimawandel
grüne Mobilität
IG
China
Russland
Sibirien
Schwerpunkt Klimagerechtigkeit
Schwerpunkt Klimawandel
Schwerpunkt Klimawandel
China
Uno
Schwerpunkt Fridays For Future
Wir retten die Welt
Pariser Abkommen
Pariser Abkommen
## ARTIKEL ZUM THEMA
Studie zu Atlantik-Strömung: Sie schwächelt
Die Atlantik-Strömung, zu der auch der Golfstrom gehört, steht einer Studie
zufolge möglicherweise vor dem Zusammenbruch. Sie sei so schwach wie nie
zuvor.
Coronajahr gehörte zu den wärmsten: Heiß, heißer, 2020
Um ein Haar hätte 2020 alle Temperaturrekorde gebrochen. Nun gehörte es
laut Weltwetterorganisation WMO zu den drei heißesten überhaupt.
Weniger Entschädigungen als gedacht: Großer Andrang beim Kohleausstieg
Zu den Steinkohlekraftwerken, die nächstes Jahr stillgelegt werden, gehören
mit Moorburg und Westfalen auch neuere Anlagen.
Angeschlagener Konzern Thyssenkrupp: Staatsgeld für grünen Stahl
Der Ruhrgigant Thyssenkrupp schreibt Milliardenverluste und hofft auf
Staatsbeteiligung. Dafür will er auf klimaneutrale Produktion umsteigen.
Hurrikan der Kategorie 5: „Iota“ erreicht Zentralamerika
Erst vor Kurzem hatte Hurrikan „Eta“ an der Karibikküste Zentralamerikas
für Verwüstung gesorgt. Sein Nachfolger „Iota“ traf am Montagabend auf
Nicaragua.
Thunberg rächt sich an Trump: Chill, Donald, chill!
Einige Monate verspätet reagiert die Klimaaktivistin Greta Thunberg per
Twitter auf US-Präsident Trump. Sie ist dabei nicht besonders freundlich.
Taifun in Asien: Vietnam versinkt in den Fluten
Die Taifunsaison in Asien wird vom Klimawandel verschärft. Doch es gibt
auch viele lokale Ursachen. In Vietnam sind es abgeholzte Wälder.
Grüner Umbau und Armut: Geld gibt's für Klimaschutz genug
Investitionen in grüne Techniken sind nicht nur bezahlbar, sondern auch die
klügere ökonomische Wahl. Sie können sogar soziale Spannungen verringern.
Energiestratege über Trumps Amtszeit: „Klimapolitik nur verzögert“
Der US-Präsident wollte mehr Kohle, mehr Öl, weniger Regulierung. Hat er
das geschafftt? Der kalifornische Stratege Terry Tamminen findet: kaum.
Klimakämpferin in China: Die einsame Streikerin
Unermüdlich warnt die 17-jährige Ou Hongyi in China vor den Folgen des
Klimawandels. Das bleibt in dem autoritären Staat nicht folgenlos.
Rätselhafte Katastrophe in Russland: Tote Tiere auf Kamtschatka
An der Küste der russischen Halbinsel sind massenweise verendete Krabben,
Fische und Robben angeschwemmt worden. Unklar ist, warum.
Bilanz des arktischen Sommers: Gefahren aus der Kühltruhe der Welt
Ohne Klimawandel hätte es eine solche Hitzewelle in der Arktis nicht
gegeben. Der auftauende Permafrostboden setzt zudem bedrohliche Viren frei.
BUNDjugend-Sprecherin über Agrarsystem: „Jugend hat Recht auf Mitsprache“
Die Zukunftskommission Landwirtschaft möchte ein neues Agrarsystem. Das
muss laut Myriam Rapior wettbewerbsfähig und umweltfreundlich sein.
Demokratie und Klimastreik: Mehr Macht der Zukunft
Beim Klimastreik beteiligen sich junge Menschen am politischen Diskurs –
und machen den Job der Älteren.
Klimaschutz und Fridays for Future: Gefährliche Fixierung auf 1,5 Grad
Die Klimabewegung sollte nicht ein unerreichbares Ziel zum einzigen
Entscheidungsmaßstab machen. Sonst wird sie sich nie über Erfolge freuen
können.
Plan für CO2-Neutralität: China entdeckt Klima
Bislang stößt China fast ein Drittel aller weltweiten CO2-Emissionen aus.
Nun verspricht Präsident Xi, sein Land werde bis 2060 CO2-neutral sein.
75 Jahre Vereinte Nationen: Unzulänglich, aber unverzichtbar
Die Vereinten Nationen werden 75 und müssen reformiert werden. Dennoch
sollten ihre Leistungen nicht als selbstverständlich betrachtet werden.
Wissenschaftlerin über Klimabewegung: „Streiken kann Debatten anregen“
Die Klimabewegung kommt an einen Punkt, an dem sich alles entscheiden
könnte, glaubt die Soziologin und Ökonomin Ilona Otto.
Vom Ozonloch fürs Klima lernen: Keine Politik, nur Glück
Die Rettung der Ozonschicht zum Vorbild für echten Klimaschutz nehmen – das
wäre russisches Roulette. Denn damals regierte der absolute Zufall.
Geplante Verschärfung des EU-Klimaziels: Klima der Unverbindlichkeit
Ob die EU mit dem aktuellen Vorstoß das Pariser Weltklimaabkommen einhalten
würde, ist schwer zu sagen. Es offenbart eher seine großen Schwächen.
Jamaika nimmt Klimaschutz ernst: Karibische Klima-Avantgarde
Jamaika hat ein neues Klimaziel. Das Land ist damit eines der wenigen, das
die Zusage zum Pariser Abkommen einhält.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.