# taz.de -- Klimaschutz und Fridays for Future: Gefährliche Fixierung auf 1,5 … | |
> Die Klimabewegung sollte nicht ein unerreichbares Ziel zum einzigen | |
> Entscheidungsmaßstab machen. Sonst wird sie sich nie über Erfolge freuen | |
> können. | |
Bild: So richtig das 1,5-Grad-Ziel in der Theorie ist, so unrealistisch ist es … | |
Am Freitag protestieren sie wieder weltweit auf der Straße und im Netz: Die | |
Schüler*innen von [1][Fridays for Future (FFF) und alle, die ihre | |
Forderungen teilen]. Und mit dem Motto „Kein Grad weiter!“ machen sie klar, | |
was sie wollen: eine Politik, die geeignet ist, „die globale Erwärmung auf | |
unter 1,5 Grad Celsius zu begrenzen“, so die zentrale FFF-Forderung. Dieses | |
Ziel ist grundsätzlich völlig richtig. | |
Steigt die Temperatur im Vergleich zur vorindustriellen Zeit im globalen | |
Durchschnitt nur um 1,5 Grad, da sind sich die Wissenschaftler*innen einig, | |
fallen der Meeresspiegelanstieg, der Rückgang von Ökosystemen und die | |
Zunahmen bei Extremwetterereignissen deutlich geringer aus, als wenn der | |
Anstieg 2 Grad beträgt. Auch die Wahrscheinlichkeit, dass irreversible | |
Kipppunkte im Klimasystem überschritten werden, etwa wenn Eisschilde | |
abschmelzen oder Methan aus dem Permafrost freigesetzt wird, nimmt oberhalb | |
von 1,5 Grad deutlich zu. | |
Gleichzeitig ist die völlige Fixierung auf das 1,5-Grad-Ziel aber | |
gefährlich. Denn so richtig dies Ziel in der Theorie ist, so unrealistisch | |
ist es in der Praxis – auch wenn man kein Pessimist ist. 1,1 der 1,5 Grad | |
sind bereits erreicht. Um die 1,5-Marke noch zu unterschreiten, wären so | |
schnelle und so radikale Veränderungen nötig – und zwar weltweit –, dass | |
dies Ziel faktisch unerreichbar ist. Das räumen auch viele | |
Wissenschaftler*innen ein. | |
Nicht nur die Industrieländer, sondern sämtliche Staaten müssten dafür | |
zwischen 2050 und 2060 den Ausstoß von Treibhausgasen auf null gesenkt | |
haben; und selbst dann wären in den meisten Szenarien negative Emissionen, | |
also die unterirdische Einlagerung von CO2 aus Biomasse-Verbrennung, | |
erforderlich, um das Ziel zu erreichen. | |
## Drohende Resignation | |
Aus gutem Grund ist im Paris-Abkommen darum auch nicht das 1,5-Grad-Ziel | |
festgeschrieben, sondern ein Ziel von „deutlich unter 2 Grad“, verbunden | |
mit „Bemühungen, den Anstieg auf 1,5 Grad zu begrenzen“. Um Deutschland auf | |
einen einigermaßen sicheren 1,5-Grad-Pfad zu bringen, müsste das Land | |
bereits 2026 klimaneutral sein – was so unrealistisch ist, dass auch | |
[2][die Grünen als selbst erklärte Klimaschutzpartei] kein Konzept haben, | |
das damit im Einklang steht. | |
Dass das 1,5-Grad-Ziel kaum mehr realistisch ist, heißt nicht, dass man es | |
aufgeben sollte. Politische Forderungen einer Bewegung sollten sich ja | |
[3][nicht nur am vermeintlich Machbaren orientieren], sondern am objektiv | |
Notwendigen. Aber es wäre klug, das Ziel weniger absolut zu betrachten, als | |
es derzeit unter Klimaaktivist*innen der Fall ist. Denn dort schwingt oft | |
die Sorge mit: Wenn erst mal die 1,5 Grad überschritten sind, ist alles zu | |
spät. Und damit verbunden die Kritik: Alle Maßnahmen, die nicht die sichere | |
Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels zur Folge haben, sind eine Katastrophe. Das | |
ist eine gefährliche Strategie. | |
Zum einen kann die Verengung auf ein kaum erreichbares Ziel zu Problemen | |
bei der Mobilisierung führen. Wenn klar wird, dass die 1,5 Grad nicht mehr | |
zu schaffen sind, droht eine Resignation: Dann noch zu vermitteln, dass | |
auch der Kampf für 1,7 oder 2,1 Grad lohnt, wird um so schwieriger, je mehr | |
im Vorfeld der Eindruck erweckt wird, ab 1,5 Grad sei die Welt nicht mehr | |
zu retten. | |
Zum anderen nimmt sich die Bewegung durch das 1,5-Grad-Ziel als einzigen | |
Maßstab die Möglichkeit, auch mal Erfolge zu feiern, zu denen sie | |
beigetragen hat. Denn die gibt es durchaus: So ist die [4][Ankündigung von | |
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen], die Emissionen der EU bis | |
2030 im Vergleich zu 1990 um mindestens 55 Prozent zu reduzieren, ziemlich | |
spektakulär – vor allem wenn man bedenkt, dass genau das vor fünf Jahren | |
noch von den großen deutschen Umweltverbänden gefordert wurde und von den | |
Grünen noch vor zwei Jahren. Trotzdem reagierte FFF-Vorkämpferin Luisa | |
Neubauer auf die Ankündigung mit beißender Kritik: Der Vorschlag werfe die | |
Frage auf, „ob die Kommission das Paris-Abkommen überhaupt einhalten | |
möchte“, sagte sie. | |
## Kohle aus dem Markt gedrängt | |
Ähnlich verhält es sich mit dem jüngsten Klimapapier von Peter Altmaier: | |
Das liest sich über weite Strecken so, dass man nicht weiß, ob es vom | |
CDU-Wirtschaftsminister stammt oder von Fridays for Future. Natürlich kann | |
man zu recht fragen, ob es reale Konsequenzen haben wird. Aber dass | |
Altmaier sich zumindest auf dem Papier die Analyse der Bewegung zu eigen | |
macht, ist eine relevante Verschiebung, denn an diesen Worten wird man ihn | |
in Zukunft messen können. | |
Auch bei der Kohle ist die Situation weitaus besser, als die Empörung der | |
Bewegung über das viel zu späte Enddatum vermuten lässt: Denn unabhängig | |
von dieser politischen Einigung werden die Kohlekraftwerke derzeit viel | |
schneller aus dem Markt gedrängt als von der Kohlekommission jemals erhofft | |
– und zwar nicht nur wegen Corona, sondern auch wegen des höheren | |
CO2-Preises der EU, der nach einer hart umkämpften Reform jetzt erstmals | |
Wirkung zeigt. | |
Das Gleiche kann auch in anderen Bereichen gelingen. Der CO2-Preis für | |
Heizen und Verkehr, auf den sich die Bundesregierung unter dem Eindruck des | |
Klimastreiks vor einem Jahr geeinigt hat, ist zwar auch nach seiner | |
deutlichen Erhöhung durch den Bundesrat noch zu niedrig. Aber er ist ein | |
Schritt in die richtige Richtung, auf den künftige Regierungen aufbauen | |
können. | |
Solche Fortschritte nicht anzuerkennen, sondern stattdessen sogar zu | |
verteufeln, weil sie nicht für das 1,5-Grad-Ziel langen, ist nicht nur für | |
die weitere Motivation der streikenden Schüler*innen gefährlich. Es ist | |
auch politisch kontraproduktiv. Denn wenn es bei der Empörung auf der | |
Straße keinen Unterschied macht, ob Rückschritte, Stagnation oder zu kleine | |
Fortschritte beschlossen werden, ist das auch entmutigend für jene, die | |
innerhalb der Regierung um solche Verbesserungen ringen. Eine erfolgreiche | |
Klimapolitik braucht darum beides: große Ziele und scharfe Kritik – aber | |
auch einen Blick für kleine Erfolge. | |
24 Sep 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Thunberg-und-Neubauer-im-Kanzleramt/!5708566 | |
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## AUTOREN | |
Malte Kreutzfeldt | |
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