# taz.de -- Rätselhafte Katastrophe in Russland: Tote Tiere auf Kamtschatka | |
> An der Küste der russischen Halbinsel sind massenweise verendete Krabben, | |
> Fische und Robben angeschwemmt worden. Unklar ist, warum. | |
Bild: Eine tote Robbe am Strand | |
Moskau taz | Als Jekaterina Dyba vor drei Wochen nach dem Surfen aus dem | |
Wasser stieg, an der rauen Küste der Halbinsel Kamtschatka, ganz im Osten | |
Russlands, sah sie fast nichts. „Ein weißer Schleier bedeckte meine Augen, | |
Augentropfen halfen nicht“, berichtet sie schriftlich. | |
Die Geografin, die in einer Surfschule am Chalaktyrski-Strand unweit der | |
Regionalhauptstadt [1][Petropawlowsk-Kamtschatski] arbeitet, dachte | |
zunächst, sie sei zu viel an der Sonne gewesen. Die Augenprobleme | |
wiederholten sich aber auch bei bedecktem Wetter. Nicht nur bei ihr, auch | |
bei anderen Besuchern der Awatscha-Bucht, einem exotischen Ausflugsziel | |
mit schwarzem Vulkansand. Halsweh kam hinzu, Übelkeit, Fieber. Die | |
Surfer*innen schlugen Alarm, zumal sich das sonst glasklare Wasser gelb | |
verfärbt hatte. | |
Wenig später füllte sich der Strand mit toten Tieren: Krabben, Seeigel, | |
Fische, Oktopusse, Robben. Fast 40 Kilometer weit. Von einer „ökologischen | |
Katastrophe“ spricht die Umweltorganisation Greenpeace, bis zu 90 Prozent | |
aller Meeresorganismen in der Bucht seien zerstört. Die Behörden | |
beschwichtigten. | |
Es habe zwar „eine sieben- bis neunfache Überschreitung einer maximal | |
zulässigen Konzentration von Ölprodukten gegeben“, sagte der Gouverneur | |
Wladimir Solodow noch am Wochenende. Doch der Ozean habe eine „einzigartige | |
Selbstreinigungsfähigkeit“. Dmitri Kabylkin, Chef des russischen | |
Naturschutzministeriums, gab sich gelassen: „Es ist niemand getötet, | |
niemand verletzt worden.“ Eine Bemerkung, die einige Bewohner*innen der | |
Halbinsel zynisch fanden. | |
## „Konsistenz ähnelt Industrieölen“ | |
Die ersten Proben hätten einen „Schadstoff, dessen Konsistenz Industrieölen | |
ähnelt“ ausgewiesen, teilte das Ermittlerkomitee am Mittwoch mit – und | |
eröffnete ein Strafverfahren. Woher die schädlichen Komponenten kommen, | |
weiß allerdings niemand. Zuvor waren die Behörden von drei möglichen | |
Szenarien ausgegangen: einer von Menschen verursachten Verschmutzung, Beben | |
oder Algen, die während eines Sturms angeschwemmt worden sein könnten. | |
Vulkane und Algen hatten Wissenschaftler aber schnell ausgeschlossen. | |
Tagelang hatten die Behörden Warnungen ignoriert. Dann wurden auch | |
nahegelegene Militärgelände untersucht. „Auf der Koselski-Deponie sind | |
keine schwerwiegenden Verstöße sichtbar“, sagte der Gouverneur am Dienstag. | |
Das Gelände sei allerdings herrenlos, man könne also niemanden zur | |
Verantwortung ziehen. | |
Dort lagern mindestens 20 Tonnen Arsen. Bereits vor Jahren hatten Landwirte | |
der Region gewarnt, damit ließe sich der gesamte nördliche Pazifik | |
vergiften. Auch das Testgelände von Radygino, nur zehn Kilometer vom Strand | |
entfernt, habe „keinerlei Anzeichen von Verschmutzung“, hieß es am | |
Mittwoch. Surferin Dyba ist skeptisch, was die „Objektivität“ der Behörden | |
angeht. „Wir brauchen unabhängige Untersuchungen“. | |
## 30 Tonnen Raketentreibstoff | |
Auf dem Testgelände von Radygino sollen 30 Tonnen Raketentreibstoff | |
gelagert sein. Mitte August war hier laut Lokalmedien Munition zerstört | |
worden. Anfang September gab es auf der Halbinsel einen großen Sturm. | |
„Zwischen Radygino und der Ozeanküste fließen mehrere Bäche. Die Strömung | |
im Ozean an diesem Ort bewegt sich von Nord nach Süd, also direkt dorthin, | |
wo die Surfer*innen von Augenproblemen sprachen. | |
Die wahrscheinlichste Version für mich ist, dass die hochgiftigen Stoffe | |
aus verrosteten Containern von Radygino mit dem Regen direkt in den Ozean | |
geschwemmt wurden“, sagt Dmitri Lissizyn von der Umweltschutzorganisation | |
Ökowacht. Sein Büro befindet sich zwar auf Sachalin, der Insel südlich von | |
Kamtschatka, er beobachtet aber den Pazifik seit Jahren genau. | |
Das Ausmaß der Katastrophe werde zunehmen, da die Nahrungskette für noch | |
lebende Tierarten zerstört worden sei, sagt Lissizyn: „Es ist ernster, als | |
wir noch vor einigen Tagen gedacht hatten.“ Das fürchtet auch Jekaterina | |
Dyba. Ihr Surfbrett fasst sie seit Wochen nicht mehr an. „Ich gehe nicht | |
mal mehr in Richtung Ozean.“ | |
7 Oct 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Archiv-Suche/!564771&s=Petropawlowsk+Kamtschatski&SuchRahmen=Print/ | |
## AUTOREN | |
Inna Hartwich | |
## TAGS | |
Russland | |
Umweltverschmutzung | |
Robben | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Sibirien | |
Pariser Abkommen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Schutz der Meere: Rettet Ozean und Klima | |
Die Weltmeere regulieren das Klima, sie geraten aber zunehmend selbst in | |
Not. Sie zu schützen, zahlt sich ökologisch und ökonomisch langfristig aus. | |
Bilanz des arktischen Sommers: Gefahren aus der Kühltruhe der Welt | |
Ohne Klimawandel hätte es eine solche Hitzewelle in der Arktis nicht | |
gegeben. Der auftauende Permafrostboden setzt zudem bedrohliche Viren frei. | |
„Klimawoche“ der Vereinten Nationen: Eiszeit in der Heißzeit | |
Am Montag beginnt die „Klimawoche“ bei der UN-Generalversammlung. Das Klima | |
hat bei den meisten Regierungen nur gerade kaum Priorität. | |
Bookmarks: "Verborgene Schätze zeigen" | |
Die Demokratisierung des Wissens zeichnet die Ausstellung "Bookmarks" in | |
der Kestner Gesellschaft in Hannover nach. Sie zeigt Keilschriften, alte | |
Bibeln und Ferngläser aus der dortigen Leibniz-Bibliothek und hat das Ganze | |
werbewirksam auf YouTube hochgeladen. Ein bizarres und schlaues Konzept. |