# taz.de -- Angeschlagener Konzern Thyssenkrupp: Staatsgeld für grünen Stahl | |
> Der Ruhrgigant Thyssenkrupp schreibt Milliardenverluste und hofft auf | |
> Staatsbeteiligung. Dafür will er auf klimaneutrale Produktion umsteigen. | |
Bild: Die Arbeiter fordern einen Einstieg des Staats bei der Stahlsparte von Th… | |
Bitter sind die Zahlen, die Martina Merz, Vorstandsvorsitzende des | |
Ruhrgiganten Thyssenkrupp, bei der Bilanzpressekonferenz am Donnerstag | |
präsentieren musste: Ein Minus von rund 1,6 Milliarden Euro hat der | |
Mischkonzern mit seinen Geschäftsbereichen Stahl, Autokomponenten, | |
Anlagenbau, Werften & Co im Geschäftsjahr 2019/20 eingefahren – und das | |
wird massiv Jobs kosten. Zusätzlich zum bereits angekündigten Abbau von | |
6.000 Stellen sollen in den kommenden drei Jahren weitere 5.000 | |
Arbeitsplätze verschwinden, sagte Arbeitsdirektor Oliver Burkhard, bis zum | |
Jahr 2012 Bezirksleiter der Gewerkschaft IG Metall in Nordrhein-Westfalen. | |
Schon am Dienstag hatte Thyssenkrupp das Aus für sein Grobblechwerk in | |
Duisburg-Hüttenheim verkündet. Produziert wird dort Stahl für den Bau, | |
Druckbehälter, Schiffe, Pipelines. 800 Menschen droht damit spätestens Ende | |
September 2021 die Arbeitslosigkeit. Denn Hauptverlustbringer ist der | |
Stahl: 946 Millionen Euro Verlust hat der Geschäftsbereich in den | |
vergangenen zwölf Monaten gemacht. Pro Tag haben die Hochöfen also knapp | |
2,6 Millionen Euro verbrannt. | |
Das rostrote Hauptwerk von Thyssenkrupp Steel schmiegt sich an der | |
Duisburger Kaiser-Wilhelm-Straße über Kilometer an die rechte Rheinseite. | |
Die Anlage ist gigantisch, gilt als größtes zusammenhängendes | |
Industrieareal Europas. Noch nutzen hier 14.000 Stahlarbeiter ein eigenes | |
Straßen- und Gleisnetz. Betriebsteile wie das Werk Bruckhausen oder die | |
Kokerei Schwelgern sind mit gelben, an Bundesstraßen erinnernden Wegweisern | |
ausgeschildert, damit auch Mitarbeiter von Fremdfirmen oder Besucher nicht | |
die Orientierung verlieren. | |
Doch das Stahlwerk bietet nicht nur Jobs – es ist ein riesiger Klimakiller: | |
Das Eisenerz wird mithilfe von Kokskohle eingeschmolzen. 20 Millionen | |
Tonnen klimaschädliches Kohlendioxid bläst die Anlage dadurch jedes Jahr in | |
die Atmosphäre – das sind 2,5 Prozent der gesamten CO2-Emissionen | |
Deutschlands. Dass dies nicht zukunftsfähig ist, wissen auch die | |
Ingenieure, die das Stahlwerk fahren: Wie ihre Kollegen beim schwedischen | |
Konkurrenten SSAB wollen sie die Produktion auf [1][klimaneutralen „grünen | |
Stahl“] umstellen. | |
## Klimaneutral bis 2050 | |
Trotz tiefroter Zahlen wird in Duisburg deshalb weit in die Zukunft | |
gedacht: „Wir wollen unsere Emissionen senken und gegen null fahren“, sagt | |
Matthias Weinberg, bei Thyssenkrupp Steel Leiter des „Kompetenzcenters | |
Metallurgie“. „Bis 2030 nehmen wir 30 Prozent CO2 aus dem System.“ Mögli… | |
machen soll das „grüner“, also mithilfe erneuerbarer Energie hergestellter | |
Wasserstoff, der die Kokskohle ersetzen soll. | |
Doch der Umstieg wird teuer: Allein Thyssenkrupp werde die klimaneutrale | |
Produktion „bis zu 10 Milliarden Euro kosten“, räumt der leitende Ingenieur | |
ein. Schon heute ist klar, dass der Konzern die Transformation auf keinen | |
Fall allein stemmen kann. Denn für die CO2-freie Produktion ist die | |
Verschrottung aller bestehenden Hochöfen nötig. Sie müssen durch sogenannte | |
Direktreduktionsanlagen ersetzt werden. Vollständig klimaneutral | |
produzieren soll Duisburg deshalb erst 2050. | |
Zwar hat der Konzern mit dem Notverkauf seines Aufzugsgeschäfts im Februar | |
17,2 Milliarden Euro eingenommen. Doch nach Abzug aller Schulden blieb | |
davon nur ein „Nettofinanzguthaben in Höhe von rund 5 Milliarden Euro“ | |
übrig, so Finanzvorstand Klaus Keysberg. Bei den aktuellen jährlichen | |
Verlustzahlen würde dieses Vermögen nur noch für ein paar Jahre reichen, um | |
sich über Wasser zu halten. | |
Mit dem Ruhrkonzern geht es nach massiven Managementfehlern [2][schon seit | |
Jahren wirtschaftlich bergab]. Und mit Corona ist der Umsatz der | |
Autoindustrie als Hauptkunde der Stahlsparte massiv eingebrochen: In den | |
ersten acht Monaten dieses Jahres seien in China, den USA und Europa 7,8 | |
Millionen Autos weniger verkauft worden als 2019, bilanziert der Verband | |
der deutschen Automobilindustrie. | |
## Einsteigen wie bei der Lufthansa? | |
Bitter klang Stahlbetriebsratschef Tekin Nasikkol deshalb schon Mitte | |
Oktober. „Ist ein Pilot mehr wert als ein Stahlarbeiter?“, fragte der | |
Metaller vor Tausenden Arbeitern, die nahe der Düsseldorfer Staatskanzlei | |
von Nordrhein-Westfalens CDU-Ministerpräsident Armin Laschet für den Erhalt | |
ihrer Arbeitsplätze demonstrierten. „Staatsbeteiligung jetzt!“ stand auf | |
ihren Transparenten. Einen Staatseinstieg wie bei der Lufthansa – nicht | |
weniger fordern die Stahlkocher und die IG Metall bis heute. Selbst die | |
Vorstandsvorsitzende des Gesamtkonzerns, Martina Merz, ist offen für einen | |
Staatseinstieg beim Stahl. | |
Doch von einer Direktinvestition des Landes wollen Nordrhein-Westfalens | |
CDU-Ministerpräsident Laschet und sein FDP-Wirtschaftsminister Andreas | |
Pinkwart nichts wissen. Einem Antrag der SPD-Landtagsfraktion, der die | |
Beteiligung des Landes mit „mindestens 25 Prozent“ an der Stahlsparte | |
forderte, erteilten CDU und FDP deshalb eine Absage. FDP-Mann Pinkwart | |
verwies auf den Bund: In Berlin werde geprüft, ob die Bundesregierung über | |
den Wirtschaftsstabilisierungsfonds bei den Stahlkochern einsteigen könne, | |
wie bei der Lufthansa. | |
Bis zu einer Entscheidung dürften noch Monate vergehen. Doch dem Konzern, | |
der jeden Tag Millionen verbrennt, läuft die Zeit davon. Bei Thyssenkrupp | |
wird deshalb einmal mehr über einen Verkauf oder eine Fusion mit | |
Konkurrenten wie Salzgitter, dem indischen Tata-Konzern oder der | |
chinesischen Bao Steel nachgedacht. Das Angebot der vollständigen Übernahme | |
durch die britische Liberty Steel kam, als die Stahlarbeiter vor Laschets | |
Staatskanzlei demonstrierten. Die IG Metall hält von dem Angebot aber | |
nichts: „Wir brauchen keinen neuen Eigentümer, sondern zusätzliches | |
Kapital. Und das hat Liberty auch nicht“, erklärt Gewerkschaftsvorstand | |
Jürgen Kerner. | |
Ein schnelles Ende des Pokerns um den Stahl ist deshalb nicht in Sicht. | |
Konzernchefin Merz schwört die Beschäftigten auf eine Phase der | |
Unsicherheit „bis zum Frühjahr“ ein. | |
## Erneuerbare Energien sind teuer und aufwendig | |
Geht ihr Plan auf, könnte das riesige Thyssenkrupp-Werk in Duisburg zu | |
einem Vorbild für den klimagerechten Umbau der Industrie weltweit werden: | |
Schließlich ist ohne Stahl kein Windrad, keine Wasserkraftturbine, kein | |
Elektroauto denkbar. Doch der Weg dahin ist nicht nur teuer: Allein zur | |
klimaneutralen Produktion in Duisburg werden jährlich 8 Milliarden | |
Kubikmeter grüner Wasserstoff benötigt. „Um den nachhaltig zu produzieren, | |
sind über 3.000 Windräder der größten Kategorie nötig“, räumt Thyssenkr… | |
leitender Stahlingenieur Weinberg ein. | |
Dazu müssten „die erneuerbaren Energien massiv ausgebaut werden, statt sie | |
abzuwürgen“, sagt Dirk Jansen, Geschäftsleiter des Umweltverbands BUND in | |
Nordrhein-Westfalen, mit Blick auf Landeswirtschaftsminister Pinkwart: | |
Dessen FDP hat jahrelang einen Feldzug gegen die Windenergie geführt. Die | |
„Wasserstoff-Roadmap“ des Landes vertraue „fast vollständig auf Importe, | |
dabei müssten stattdessen die Potenziale für die Erzeugung von Wasserstoff | |
aus erneuerbarem Strom bei uns in NRW konsequent genutzt werden“, | |
kritisiert auch die energie- und klimapolitische Sprecherin der Grünen im | |
Landtag, Wibke Brems. | |
Jansen warnt deshalb, statt der Nutzung von klimaneutral in Deutschland | |
hergestelltem Wasserstoff drohe die Ausbeutung von Ländern wie etwa Kongo. | |
Der Afrikabeauftragte der Bundesregierung, Günter Nooke, träumt schon heute | |
davon, den Strom der Ingastaudämme zur Produktion von grünem Wasserstoff zu | |
nutzen, während selbst die [3][Hauptstadt Kinshasa chronisch unterversorgt | |
ist]. „Die in Afrika erzeugte Energie soll in Form von Wasserstoff nach | |
Deutschland exportiert werden, und die Leute im Kongo sitzen im Dunkeln“, | |
warnt der Umweltschützer. | |
Doch selbst wenn die Versorgung mit grünem Wasserstoff gesichert wäre: | |
Teurer als Kokskohle wird der auf jeden Fall sein. „Der europäische | |
Branchenverband Eurofer geht derzeit von 30 bis 100 Prozent Mehrkosten | |
aus“, sagt TKS-Chefmetallurge Weinberg. Auf dem Weltmarkt wäre der grüne | |
Stahl damit aber so gut wie unverkäuflich. Thyssenkrupps | |
Stahl-Produktionsvorstand Arnd Köfler fordert deshalb „einen europäischen | |
Außenschutz, der uns wirksam vor öko- und preisgedumpten Stahlimporten | |
schützt“ – also Klimazölle. Unterstützung dafür kommt von den Grünen. | |
„Deutschland und Nordrhein-Westfalen müssen mit Thyssenkrupp zeigen, dass | |
grüner Stahl marktfähig werden kann“, sagt deren NRW-Landesvorsitzende Mona | |
Neubaur. Dazu bräuchte es „europaweite Klimazölle“. | |
## Olaf Schoz schweigt | |
Die Grünen-Chefin denkt außerdem über „Carbon Contracts for Difference“ | |
nach. „Die laufen darauf hinaus, dass der Staat den Herstellern von grünem | |
Stahl einen Großteil der Zusatzkosten abnimmt“, sagt Stefan Lechtenböhmer | |
vom Wuppertal-Institut für Klimaforschung. Denkbar sei aber auch eine | |
direkte Klimaabgabe auf Stahlprodukte. Neue Autos, rechnet der | |
Klimaforscher vor, würden dadurch nur wenige Hundert Euro teurer. | |
Doch Entscheidungen gerade auf europäischer Ebene brauchen Zeit – Zeit, die | |
Thyssenkrupp davonläuft. Heiko Reese, Leiter des „Stahlbüros“ der IG Meta… | |
in Duisburg, macht deshalb Druck in Richtung Staatseinstieg – und in | |
Richtung des SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz. Der | |
Bundeswirtschaftsminister hat Mitte Oktober zwar eine sorgfältige Prüfung | |
versprochen, schweigt aber seither. | |
Ein Ende der Industrieproduktion in Deutschland und Europa sei keine | |
Alternative, warnt dagegen der Gewerkschafter: „Dann überlassen wir die | |
Produktion Firmen in China, den USA, in Indien, die sich viel weniger um | |
Klimaziele scheren“, argumentiert Reese. „Deindustrialisierung kann auch | |
ökologisch kein Konzept sein.“ | |
19 Nov 2020 | |
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[1] /Fossilfreie-Stahlproduktion-in-Schweden/!5631957 | |
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## AUTOREN | |
Andreas Wyputta | |
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