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# taz.de -- Klimakämpferin in China: Die einsame Streikerin
> Unermüdlich warnt die 17-jährige Ou Hongyi in China vor den Folgen des
> Klimawandels. Das bleibt in dem autoritären Staat nicht folgenlos.
Bild: Ou Hongyi beim Klimastreik im August. Zur Strafe musste sie die Schule ve…
Yangshuo taz | Schon nach einer halben Stunde schreitet der Polizist zur
Tat. Verdutzt landen seine Augen auf dem bunten Pappschild, vor dem sich
bereits eine neugierige Menschentraube gebildet hat. „Systemwandel statt
Klimawandel“ ist darauf zu lesen, ein im autoritären China unerhörter
Schriftzug. Doch der Sicherheitsbeamte, der umgehend mit seinem Funkgerät
einen Vorgesetzten informiert, scheint offensichtlich überfordert: Bei dem
Störenfried hinter dem Plakat handelt es sich um ein 17-jähriges Mädchen
mit Pferdeschwanz, weitem Schlabber-Shirt und aufgeweckten Augen. Ob er
schon mal vom Klimastreik gehört habe, möchte die selbstbewusste Aktivistin
von der Autoritätsperson wissen. Ohne lange zu fackeln, verweist er sie
ihres Platzes.
„Ich kenne die Polizisten alle schon, die tun nur ihren Job. Man muss sie
respektieren und versuchen zu inspirieren“, sagt die Jugendliche wenige
Minuten später. Mit Rucksack, Thermoskanne und einer Menge Flyer und
Plakaten ausgerüstet ist Ou Hongyi wie jeden Freitagabend in die
Fußgängerzone von Yangshuo gezogen, einem südchinesischen Ferienort wie aus
einem Reiseprospekt: Steile Karstberge, schlangenförmige Flussläufe und
riesige Palmen säumen die Umgebung.
Allabendlich, wenn die immer noch pralle Sonne hinter der Gebirgslandschaft
verschwindet, versammeln sich die Touristenmassen in der Fußgängerzone der
Kleinstadt: Dampfende Garküchen reihen sich neben folkloristischen
Souvenirshops, vor einem Nachtclub werben junge Frauen in Elfenkostümen um
Laufkundschaft, rotbeleuchtete LED-Schilder preisen Fußmassagen an. Kaum
ein Tourist trägt eine Gesichtsmaske, die Coronapandemie scheint in
Yangshuo weit entfernt.
## Ein Pappschild und eine Menge Geduld
Das Konsumverhalten ihrer Landsleute, das fehlende Problembewusstsein
gegenüber der Klimakrise: all das mache sie ängstlich und treibe sie an,
auf der Straße zu demonstrieren, sagt Ou Hongyi. Als sie den Dokumentarfilm
„[1][Eine unbequeme Wahrheit]“ mit dem einstigen US-Vizepräsidenten Al Gore
sah, habe sie das erste Mal realisiert, welche Auswirkungen die
Erderwärmung für ganz normale Menschen bedeutet: „Die Klimakrise ist die
größte Bedrohung der menschlichen Zivilisation“, sagt Ou Hongyi.
Im Frühling fing die Schülerin schließlich an, inspiriert durch Greta
Thunberg, sich vor das Regierungsgebäude ihrer Heimatstadt Guilin zu
stellen. Ein friedlicher Ein-Personen-Protest, lediglich mit einem
Pappschild und einer Menge Geduld: Jeden Abend nach der Schule zog sie vor
das vergitterte Gebäude, die meisten Passanten ignorierten allerdings das
junge Mädchen mit ihren Slogans über Klimawandel und globale Erwärmung.
Doch am siebten Tag passierte das in China Unausweichliche: Mehrere
Sicherheitsbeamte führten die Schülerin auf eine Polizeiwache ab. Vier
Stunden lang verhörten sie Ou Hongyi, fragten sie nach ihren Motiven,
schüchterten sie ein. Doch Ou Hongyi blieb stur: Dass sie für ihren
Aktivismus eine mehrjährige Haftstrafe riskieren könnte, nimmt sie in Kauf.
Noch vor wenigen Jahren wäre das Schicksal der chinesischen
Umweltaktivistin wohl in Vergessenheit geraten. Doch auf Twitter, das in
China offiziell gesperrt ist, lud die Jugendliche damals ein Foto von ihrer
Protestaktion hoch. Wenige Tage später verbreitete Greta Thunberg
höchstpersönlich den Tweet und bezeichnete die junge Chinesin, die auf
Twitter unter dem Namen [2][Howay Ou] firmiert, als „echte Heldin, wir
stehen alle hinter dir!“ Seither erreichen Ou Hongyi Medienanfragen vom
britischen Guardian hin zum schwedischen Fernsehen. Bei Twitter folgen ihr
immerhin 11.000 Nutzer. Nur in ihrem Heimatland kennt sie praktisch
niemand.
Für die weltweite Fridays-for-Future-Bewegung ist die Volksrepublik nach
wie vor ein weißer Fleck auf der Landkarte. In dem autoritär regierten Land
beschneidet die Kommunistische Partei die Zivilgesellschaft, die
öffentliche Meinung wird durch strikte Zensur gelenkt. Ein
Demonstrationsrecht gibt es nicht, kritische Artikel über umweltpolitische
Vergehen der Regierung werden umgehend gelöscht. Über Fridays for Future
wird von den staatlichen Medien praktisch nicht berichtet.
Als die Bewegung am 25. September zum weltweiten Klimastreik aufrief, zog
Ou Hongyi in der Shanghaier Innenstadt auf die Straße, wo sie ebenfalls von
Polizisten in ein Verhörzimmer abgeführt wurde und eine „Selbstkritik“
verfassen musste. Auf Instagram, das in China verboten ist, postete sie
wenig später über den Vorfall: „Gewaltfreier ziviler Ungehorsam ist das
einzige Licht in der Dunkelheit, das uns noch Hoffnung bringt.“
Dabei gibt es auch in China durchaus aktive Umweltorganisationen,
Greenpeace beispielsweise hat eine Vertretung in Peking. Doch wer sich bei
den Nichtregierungsorganisationen umhört, erhält unter der Hand immer
dieselbe Antwort: Seit Präsident Xi Jinping an der Macht ist, würden die
Handlungsmöglichkeiten immer weiter eingeschränkt. In der Vergangenheit
mussten etliche Veranstaltungen abgesagt werden, und bei Interviews mit
ausländischen Journalisten halten sich die meisten Experten bedeckt. War es
noch vor wenigen Jahren möglich, öffentliche Kampagnen zu initiieren, ist
dies unter Chinas neuem Führer ausschließlich Staatsangelegenheit.
Zwar kann Xi in seiner [3][Umweltbilanz] durchaus Erfolge vorweisen, das
Gesamtbild fällt jedoch ambivalent aus: Absolut gesehen ist die
Volksrepublik mit einem Ausstoß von knapp 10 Milliarden Tonnen Kohlendioxid
der weltweit größte Klimasünder, weit mehr als ein Viertel aller
freigesetzten Klimagase gelangen von China aus in die Atmosphäre. Noch
immer werden 64 Prozent des Stroms in Kohlekraftwerken erzeugt, weitere
Kraftwerke mit einer Leistung von 250 Gigawatt sind im Bau oder werden
geplant. Doch auf die Bevölkerungsgröße heruntergerechnet liegt der
Verbrauch pro Kopf eines Chinesen noch immer deutlich hinter den
Vereinigten Staaten oder Deutschland.
Beim alljährlichen Klimaschutz-Index landet China mittlerweile im
internationalen Mittelfeld auf Platz 30 – nur 7 Ränge hinter Deutschland.
Denn das Reich der Mitte investierte zuletzt mehr in erneuerbare Energien
als die USA, Japan und die EU zusammen. Etwa jede zweite Solarzelle
weltweit wird in China verbaut. Selbst in der Hauptstadt Peking, deren
Feinstaubbelastung noch vor wenigen Jahren für apokalyptische Straßenszenen
sorgte, ist wieder blauer Himmel sichtbar.
Bei der jüngsten UN-Generalversammlung hat Chinas Präsident schließlich
einen energiepolitischen Paukenschlag angekündigt: „Unser Ziel ist es, dass
der Ausstoß von Kohlendioxid vor 2030 den Höchststand erreicht und dass wir
Klimaneutralität vor 2060 erreichen“, sagte der politische Führer der
Volksrepublik. Erstmals also legt das weltweit bevölkerungsreichste Land
mit dem höchsten CO2-Ausstoß einen zeitlichen Fahrplan zur schadstofffreien
Zukunft vor.
## Aus der Schule geflogen
Für Ou Hongyi reichen die Taten der chinesischen Regierung jedoch nicht
aus. Ohne gesellschaftlichen Druck werde sich auch nichts ändern, sagt sie.
Politische Fragen über ihren Staatspräsidenten möchte die junge Chinesin
nicht diskutieren. Sie weiß, wo die roten Linien in einem System verlaufen,
in dem regelmäßig Menschenrechtsanwälte und Bürgeraktivisten über Nacht
verschwinden.
Nach ihrem ersten Polizeiverhör hat Ou Hongyi die Bücher von [4][Mahatma
Gandhi] gelesen und sich von seinem Konzept des zivilen Ungehorsams
inspirieren lassen. In ihrer Schule patrouillierte sie regelmäßig in den
Pausen durch die Klassenzimmer, um die Klimaanlagen abzuschalten. In der
Kantine forderte sie, das Plastikbesteck sein zu lassen. Auch zu Hause hat
sie ihre Eltern dazu gedrängt, sämtlichen Einwegmüll zu verbannen.
Ou Hongyi organisiert Klimaproteste, Dokumentationsfilmabende und
Müllsammelaktionen. Und wer die 17-Jährige interviewen möchte, muss
versprechen, die elfstündige Anfahrt von Peking aus mit dem Zug anzutreten.
Es war nur eine Frage der Zeit, bis Ou Hongyi mit ihrem unbequemen
Aktivismus an ihre Grenzen stieß. Ihre Schuldirektorin hat sie zu Beginn
des Jahres vor die Wahl gestellt: Entweder gibt sie ihr Klima-Engagement
auf, oder sie wird von der Schule verwiesen. Hongyi entschied sich dafür,
weiterzukämpfen.
Wenn man sie nach Zukunftsängsten fragt, dann antwortet sie dennoch nicht
mit fehlenden Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt oder den ständigen
Streitereien mit ihren verzweifelten Eltern. „Die Klimakrise ist es, die
mir Angst macht. Sie wird eine unkontrollierbare Kettenreaktion auslösen,
wenn wir nicht jetzt umgehend handeln“, sagt sie.
Jene Kettenreaktion konnte die 17-Jährige im Sommer mit eigenen Augen
beobachten: Die schlimmsten Fluten seit Jahren überschwemmten ihre
Heimatprovinz Guangxi, wo die Wassermassen die Existenz von Tausenden
Landwirten zerstörten. Wenn Hongyi davon redet, dann schießen ihr noch
heute Tränen in die Augen.
An diesem feuchtschwülen Herbstabend in der Fußgängerzone von Yangshuo gibt
sich Ou Hongyi kampfbereit. Bis weit nach Mitternacht verteilt sie
Informationszettel an interessierte Passanten und spricht über die
Notwendigkeit erneuerbarer Energien. Sobald die Polizei kommt, rollt sie
die Plakate in ihren Rucksack und sucht nur wenige Straßenecken weiter ein
neues Plätzchen. Doch einen festen Platz in der chinesischen Gesellschaft
wird die Klimaaktivistin wohl niemals finden können.
13 Oct 2020
## LINKS
[1] /Al-Gores-Film-Eine-unbequeme-Wahrheit/!5193516
[2] /Chinesische-Aktivistin-Howey-Ou/!171559/
[3] /Plan-fuer-CO2-Neutralitaet/!5711785
[4] https://www.perlentaucher.de/stichwort/gandhi-mahatma/buecher.html
## AUTOREN
Fabian Kretschmer
## TAGS
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