# taz.de -- Studie zu deutschen CO2-Emissionen: Letzte Chance fürs 1,5-Grad-Zi… | |
> Damit Deutschland bis 2035 CO2-neutral wird, fordert Fridays for Future | |
> drastische Maßnahmen. Auch die IEA legt erstmals ein Null-CO2-Szenario | |
> vor. | |
Bild: Ende der Geduld: Fridays for Future in Bonn zeigt, was zu wenig Klimaschu… | |
Berlin taz | Der Ort für die Präsentation war gut gewählt: Im Berliner | |
Martin-Gropius-Bau wird gerade eine Ausstellung der nigerianischen | |
Künstlerin Otobong Nkanga gezeigt. Deren Titel: „So etwas wie festen Boden | |
gibt es nicht.“ Ähnlich klingt das Fazit der KlimaschützerInnen von | |
[1][Fridays for Future], wenn es um Deutschlands Beitrag zur Eindämmung der | |
Erderhitzung auf 1,5 Grad geht. „Weder die Bundesregierung noch die | |
Parteien haben einen Plan zur Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels“, sagte | |
FFF-Sprecherin Carla Reemtsma am Dienstag. „Niemand macht überhaupt diesen | |
Versuch.“ | |
Den unternehmen die AktivistInnen nun selbst. Beim Thinktank Wuppertal | |
Institut haben sie die Studie [2][„CO2-neutral bis 2035: Eckpunkte eines | |
deutschen Beitrags zur Einhaltung der 1,5-Grenze“] in Auftrag gegeben. | |
Finanziert hat das die GLS-Bank mit 30.000 Euro. Und herausgekommen ist der | |
Vorschlag für eine radikale CO2-Nulldiät, der „zwar extrem anspruchsvoll, | |
aber grundsätzlich möglich“ ist, wie es von den AutorInnen heißt. | |
Zwar haben Bundesregierung und EU beschlossen, bis 2050 klimaneutral zu | |
sein – also nicht mehr Treibhausgase in die Atmosphäre zu blasen, als etwa | |
durch Wälder gebunden werden. Doch FFF reicht das nicht aus: Sie | |
orientieren sich an einer Rechnung des „Sachverständigenrats für | |
Umweltfragen“ der Bundesregierung. Dieser hat kalkuliert, dass Deutschland | |
insgesamt nur noch 4.200 Millionen Tonnen CO2 ausstoßen darf, wenn es | |
seinen fairen Beitrag zum 1,5-Grad-Ziel leisten will. Bei etwa 800 | |
Millionen Tonnen CO2-Emissionen jedes Jahr bleibt nicht viel Zeit. | |
Klotzen statt kleckern schlägt deshalb das Gutachten vor: Statt wie im | |
Schnitt der letzten Jahre den CO2-Ausstoß pro Jahr um 8 Millionen Tonnen zu | |
reduzieren, müssten sie um 60 bis 70 Millionen Tonnen sinken und sich | |
„binnen der nächsten fünf bis sechs Jahre etwa halbieren“. Dazu wären | |
drastische Maßnahmen nötig: etwa ein CO2-Preis von 180 Euro pro Tonne statt | |
25 Euro ab 2021 sowie ein Ausbau von Wind- und Solarstromanlagen von 25 bis | |
30 Gigawatt pro Jahr, dreimal so schnell wie geplant. Zudem müsste fast | |
zehnmal so viel Kapazität für grünen Wasserstoff wie angedacht aufgebaut | |
und der Autoverkehr bis 2035 halbiert werden. | |
Ende für Verbrennungsmotoren ab 2035 gefordert | |
Während etwa selbst CSU-Chef Söder inzwischen anregt, ab 2035 keine Autos | |
mit Verbrennungsmotor zu verkaufen, wollen die FFF 2035 bereits „einen | |
Großteil der Pkw-Flotte“ aus [3][Elektroautos] sehen. Der Forderungskatalog | |
beinhaltet auch, anstatt jährlich ein Prozent aller Gebäude künftig viermal | |
so viele energetisch zu sanieren sowie neue Gas- und Ölheizungen in den | |
nächsten 5 Jahren zu verbieten. Außerdem: „Beendigung des innerdeutschen | |
Flugverkehrs.“ | |
Die Studie solle kein Masterplan sein, sondern zeigen, was möglich und | |
nötig ist, so FFF. Wichtige Fragen werden nur am Rand behandelt: Die | |
zusätzlichen Kosten etwa schätzt das Gutachten auf 100 Milliarden Euro | |
jährlich, Verteilungs- und Wachstumsfragen kommen nicht vor. Auch fehlt die | |
Anbindung an die EU-Politik. | |
Zudem werden die Pro-Kopf-Emissionen Deutschlands ohne die Berücksichtigung | |
historischer Emissionen berechnet. Aber das Gutachten solle zeigen: „Es ist | |
möglich, in 15 Jahren CO2-neutral zu werden, es fehlt der politische | |
Wille“, meint Reemtsma. Die AktivistInnen erwarteten von allen Parteien im | |
anstehenden Wahlkampf zum Bundestag, „Programme vorzulegen, die mit 1,5 | |
Grad kompatibel sind“. | |
Unerwartete Hilfe bekommen sie dabei von der Internationalen | |
Energie-Agentur IEA in Paris. Die OECD-Behörde, traditionell ein Fan von | |
Öl, Gas und Kohle, legte am gleichen Tag ihren jährlichen Bericht | |
[4][„World Energy Outlook“] vor – und fügte zum ersten Mal überhaupt ein | |
Szenario bei, wie die Welt bis 2050 CO2-neutral werden könnte. Die | |
ExpertInnen konstatieren durch die Coronapandemie einen „riesigen Schock“ | |
für das Energiesystem: Der Energieverbrauch ist 2020 um 5 Prozent | |
eingebrochen, die Emissionen sind um 7 Prozent zurückgegangen, | |
Investitionen in die Energieindustrie gar um 18 Prozent. Einziger Gewinner: | |
die Erneuerbaren. | |
IEA: „Die Welt ist weit davon entfernt, genug zu tun“ | |
Aber um 2050 „netto null“ zu erreichen, müsse noch viel passieren, erklär… | |
IEA-Chef Fatih Birol: „Die Welt ist weit davon entfernt, genug zu tun, um | |
die Emissionen entscheidend sinken zu lassen.“ Birol hatte schon öfter an | |
appelliert, die Coronahilfen zum Wiederaufbau für eine grünere Wirtschaft | |
zu nutzen. Jetzt warnt seine Behörde, dass mit einem Weiter-so der | |
bisherigen Infrastruktur aus fossilen Kraftwerken, Industrieanlagen und | |
Autos das Klimaziel verfehlt würde. | |
Für die CO2-Nullnummer in 2050 bräuchte es „dramatische zusätzliche | |
Handlungen“ in den nächsten zehn Jahren: Minus 40 Prozent CO2-Emissionen | |
bis 2030, der Anteil von Erneuerbaren am Strom müsste von knapp 40 auf 75 | |
Prozent steigen, jedes zweite Auto elektrisch fahren statt wie derzeit | |
jedes vierzigste. „Um Nullemissionen zu erreichen, müssen Regierungen, | |
Energiekonzerne, Investoren und Bürger an Bord sein – und so viel beitragen | |
wie nie zuvor. | |
13 Oct 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Erfolgsbilanz-von-Fridays-for-Future/!5714252 | |
[2] https://wupperinst.org/a/wi/a/s/ad/5169/ | |
[3] /Neuzulassungen-emissionsaermerer-Autos/!5712178 | |
[4] https://www.iea.org/reports/world-energy-outlook-2020?utm_campaign=IEA%20ne… | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
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