# taz.de -- Erfolgsbilanz von Fridays for Future: Liebe reicht ihnen nicht | |
> Vor zwei Jahren begann Greta Thunberg ihren Klimastreik, Am Freitag | |
> gingen die jungen AktivistInnen wieder auf die Straße. Was haben sie | |
> erreicht? | |
Bild: Klimastreik: Aktivistin Mya-Rose Craig auf einer Scholle in der schmelzen… | |
Quang Anh Paasch könnte zufrieden sein. Der Sprecher von Fridays for Future | |
Berlin steht am Brandenburger Tor vor einer Kamera und gibt ein Interview | |
nach dem anderen. Der Regen hat gerade aufgehört, hinter ihm dröhnt Musik | |
von der Bühne und auf der nassen Straße sitzen Tausende DemonstrantInnen. | |
Trotz Corona-Abstands und schlechten Wetters haben die Klima-AktivistInnen | |
rund um Paasch auch ein Jahr nach den großen Streiks wieder eine bunte | |
Protestmischung auf die Straße gebracht. Aber Paasch sagt: „Realpolitisch | |
haben wir nichts erreicht.“ | |
Vor zwei Jahren begann Greta Thunberg ihren Schulstreik, seit 18 Monaten | |
gehen in Deutschland die „Fridays“ auf die Straße. In dieser Zeit ist in | |
Deutschland so viel für den Klimaschutz passiert wie in Jahrzehnten vorher | |
nicht. Es gibt nun ein [1][Enddatum für die Kohlenutzung] 2038, es gibt ein | |
[2][Klimaschutzgesetz], das ab 2021 jährliche Emissionsziele festlegt und | |
einen Emissionshandel auch für CO2 aus dem Verkehr und Gebäuden. | |
Es gibt Milliarden für die Bahn, neue Ziele für Ökoenergien, eine | |
Wasserstoffstrategie, wahrscheinlich ein schärferes Klimaziel der EU, das | |
Versprechen der „Klimaneutralität“ bis 2050 und einen [3][„Green Deal“… | |
mit dem in Europa Hunderte von Milliarden Euro in Erneuerbare und Effizienz | |
fließen sollen. | |
Trotzdem sagt Paasch: „Unser Erfolg ist, dass wir den Diskurs verschoben | |
haben. Aber immer noch nimmt die Politik die Wissenschaft nicht ernst. Wir | |
haben ein Klimagesetz, das dem Pariser Abkommen nicht gerecht wird.“ Viele | |
andere AktivistInnen klingen ähnlich: „Wir haben viel bewegt und die | |
Öffentlichkeit sensibilisiert“, sagte Greta Thunberg bei der Klimakonferenz | |
von Madrid im Dezember 2019. „Aber wir wollen richtige Taten sehen. Und | |
richtige Taten gab es nicht. Also haben wir von einem anderen Standpunkt | |
aus nichts erreicht.“ | |
## Macht auf der Straße | |
„Nichts erreicht“, sagte Thunberg auch einen Monat später beim | |
Weltwirtschaftsforum in Davos – als der Rest des Treffens aufgeregt | |
debattierte, dass der größte Finanzinvestor der Welt, BlackRock, | |
angekündigt hatte, Klimaschutz zum Kern seiner Investitionen zu machen. Und | |
der offene Brief von Thunberg und anderen AktivistInnen zur europäischen | |
Klimapolitik, mit dem sie einen [4][90-Minuten-Termin bei Bundeskanzlerin | |
Angela Merkel] bekam, bezeichnet den Beschluss, Europa bis 2050 | |
klimaneutral zu machen, als „eine Kapitulation“. | |
Aber je weiter man sich von der Klimabewegung entfernt, desto erfolgreicher | |
wird sie. Während viele AktivistInnen unzufrieden sind, dass es zu wenig | |
Resultate gibt, betonen ihre Sympathisanten und Förderer – und erst recht | |
ihre Gegenspieler –, wie viel Macht die Jugendlichen auf der Straße | |
entfaltet haben. Merkel ist nach einer kurzen Ablehnung im Frühjahr 2019 | |
(„hybride Kriegsführung“) dazu übergegangen, die streikenden Kids für ihr | |
Engagement zu loben und ihren Druck als Ansporn zu bezeichnen. | |
Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hat jahrelang gewarnt, Klimaschutz | |
dürfe die Wirtschaft nicht überfordern – und vor zwei Wochen einen Plan für | |
eine [5][„Charta zum Klimaschutz“] vorgelegt, der 20 Schritte vorschlägt. | |
Altmaier, der noch im Frühjahr 2019 vor seinem eigenen Ministerium nicht | |
vor den FFF-DemonstrantInnen sprechen durfte, begründet das ausdrücklich | |
auch damit, wie die jungen Menschen ihn beeindruckt hätten. | |
Zwar sind die deutschen Emissionen in der Coronakrise so weit abgesackt, | |
dass selbst das Minus-40-Prozent-Ziel bis Ende 2020 möglich erscheint. Aber | |
was es nicht gibt: schnell wirkende Maßnahmen und ein deutliches | |
strukturelles Sinken der Emissionen. „Den Frust über das deutsche | |
Klimapaket kann ich gut nachvollziehen“, sagt deshalb Patrick Graichen, | |
Chef des Thinktanks [6][„Agora Energiewende“], „aber die ‚Fridays‘ ha… | |
bisher schon einen Wahnsinnserfolg. | |
Ohne sie gäbe es den Green Deal der EU-Kommission nicht.“ Für ihn ist klar: | |
Die junge Klimabewegung hat – neben den Hitzesommern und neuen Warnungen | |
aus der Wissenschaft – in ganz Europa entscheidend zur „Grünen Welle“ bei | |
den EU-Wahlen 2019 beigetragen. Das Thema sei deshalb bei der umstrittenen | |
Bildung der EU-Kommission für Ursula von der Leyen so wichtig geworden, | |
dass sie es ganz nach vorn gestellt habe. „Das hätte von der Leyen von sich | |
aus nie gemacht“, ist Graichen sicher. | |
Er geht noch weiter: Während FFF das deutsche Gesetz zum Kohleausstieg 2038 | |
kritisieren, sorgten sie indirekt dafür, dass das Ende der Kohle viel | |
schneller kommen werde: „Der Green Deal führt jetzt schon dazu, dass die | |
Preise im Emissionshandel auf 30 Euro pro Tonne gestiegen sind. Kohle wird | |
immer unrentabler, immer mehr Kraftwerke gehen vom Netz.“ Auch wenn | |
Ursachen und Wirkungen in der Energiepolitik „für 16-Jährige nicht immer | |
leicht zu durchschauen“ seien, sei der aktuelle Einbruch bei der | |
Kohleverstromung in Europa letztlich auch ein Verdienst der „Fridays“. | |
„Das politische System hat die Klimafrage durch die ‚Fridays‘ jetzt viel | |
mehr verinnerlicht“, sagt Jochen Flasbarth, SPD-Staatssekretär im | |
Umweltministerium. Die Bewegung sei „sehr stark und sehr regierungskritisch | |
und sie bringen eine Respektlosigkeit in die Debatte, die wir von den | |
Umweltverbänden nicht mehr gewohnt sind“, sagt Flasbarth, der selbst | |
Präsident des Umweltverbands NABU war. Politik und Wirtschaft hätten | |
außerdem „Angst vor der Mobilisierungskraft der FFF“. | |
Für den Realpolitiker Flasbarth sind die ultimativen Forderungen der | |
Bewegung aber auch eine Gefahr: „Bei der Klimakonferenz in Madrid haben sie | |
gefordert, dass die UN-Staaten sofort neue Klimapläne vorlegen. Aber das | |
geht in demokratischen Staaten einfach nicht. Legitimation für Politik muss | |
auch über Prozesse kommen, so schwer das manchmal zu ertragen ist.“ | |
Ein ganz privater Machtfaktor seien die Jungen und Mädchen aus der | |
Klimabewegung aber auch am Frühstückstisch, sagt Sabine Nallinger. Sie ist | |
Vorständin der [7][„Stiftung 2 Grad“], mit der deutsche Unternehmen | |
Lobbyarbeit für Klimaschutz machen. | |
## Harte Landung in der Realität | |
„Mir haben viele Manager und Unternehmenschefs gesagt: ‚Meine Kinder | |
stellen mich zur Rede, sie sagen: Ihr nehmt uns die Zukunft weg.‘“ Für | |
Nallinger hat das einen großen Einfluss auf die Politik in den Chefetagen, | |
immer mehr Unternehmen engagierten sich für Klimaziele. „Sie merken dann | |
auch zu Hause: Es gibt keine Gegenargumente mehr!“ | |
Eine „harte Landung in der Realität“ erwartet Agora-Chef Graichen für die | |
Bewegung. „Es ist ein schmaler Grat, das wissenschaftlich Nötige zu | |
fordern und trotzdem nicht das Ende der Welt zu propagieren, wenn die 1,5 | |
Grad überschritten werden“. Wirkliche Veränderungen gebe es nun einmal nur | |
durch Wahlen. „Deshalb müssen die ‚Fridays‘ also mindestens noch ein Jahr | |
bis zur Bundestagswahl 2021 durchhalten.“ | |
Mut dafür machte den Demo-TeilnehmerInnen vor dem Brandenburger Tor am | |
Freitag der Potsdamer Klimawissenschaftler Stefan Rahmstorf. Er erinnerte | |
daran, dass die deutschen Umweltverbände vor fünf Jahren gefordert hatten, | |
die EU solle ihr Klimaziel auf minus 55 Prozent anheben. Jetzt sei das | |
greifbar nahe – „und das haben wir auch den ‚Fridays‘ zu verdanken“, … | |
Rahmstorf. | |
26 Sep 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Empfehlung-der-Kohlekommission/!5568296 | |
[2] /Umstrittenes-Klimaschutzgesetz/!5628441 | |
[3] /Klimaschutz-und-Nachhaltigkeit-in-Europa/!5681828 | |
[4] /Greta-Thunberg-bei-der-Kanzlerin/!5702964 | |
[5] /Wirtschaftsminister-will-Klimaschutz-Vertrag/!5711027 | |
[6] https://www.agora-energiewende.de/ | |
[7] https://www.stiftung2grad.de/ | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
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