# taz.de -- Rechte von Kindern und Jugendlichen: „Körperlicher Zwang in Heim… | |
> Weder Eltern noch Erzieher dürfen Gewalt anwenden, sagt die Autorin des | |
> ersten Rechtsgutachtens zur Zulässigkeit körperlichen Zwangs in Heimen. | |
Bild: Das geschlossene Kinder- und Jugendheim „Haus Babenberg“ des in die S… | |
taz: Frau Häbel, für das Hamburger Aktionsbündnis gegen Geschlossene | |
Unterbringung haben Sie den Einsatz von Zwangsmaßnahmen in Einrichtungen | |
der Kinder- und Jugendhilfe juristisch begutachtet. | |
Hannelore Häbel: Ich habe mich damit auseinandergesetzt, inwieweit der | |
Einsatz körperlichen Zwangs – zum Teil als „physische Begrenzung“ oder | |
„Antiaggressionsmaßnahme“ benannt – zulässig ist. Zentrales Ergebnis: A… | |
dem Recht des Kindes auf gewaltfreie Erziehung, verankert in Paragraf 1631 | |
Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) ergibt sich ein | |
uneingeschränktes Verbot mit Gewalt verbundener Erziehung. Das leitet sich | |
aus Wortlaut und Zielsetzung des Gesetzes ab und aus Artikel 19 der | |
UN-Kinderrechtskonvention. Jede Form der physischen und psychischen Gewalt | |
ist untersagt. Das gilt sowohl für Eltern als auch für FremderzieherInnen. | |
War das denn nicht bekannt? | |
Doch. Im Prinzip ist man oder frau eigentlich immer davon ausgegangen. Die | |
Einschätzung scheint aber in manchen Kontexten nicht mehr | |
selbstverständlich zu sein. In § 1631 Absatz 2 BGB heißt es: „Kinder haben | |
ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische | |
Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.“ Das wird | |
zum Teil so gedeutet, nur die aufgeführten, ausdrücklich für unzulässig | |
erklärten Verhaltensweisen seien verboten. Hier setzt das Gutachten an: Es | |
kommt zu dem Ergebnis, dass Satz 1 als Obersatz die zentrale Aussage | |
trifft. Gewalt hat in der Erziehung absolut keinen Platz mehr – auch nicht | |
„ein bisschen Gewalt“. Darüber hinaus arbeitet es heraus, dass der Begriff | |
Erziehung auch die Aufsicht mit umfasst. Dass bedeutet: Auch bei der | |
Aufsichtsführung gilt grundsätzlich ein uneingeschränktes Gewaltverbot. | |
Dürfen Erzieher ein Kind festhalten, weil „Selbst- oder | |
Fremdgefährdung“besteht? | |
Es gibt Extremsituationen, wo man eingreifen muss. Klassisches Beispiel: | |
Ein Kind läuft auf die Straße. Da muss ich es festhalten. Das heißt aber | |
nicht, dass ich ein Kind festhalten beziehungsweise körperlichen Zwang | |
ausüben darf, weil mir sein Verhalten nicht passt. | |
„Er drückte das Mädchen durch Umdrehen eines Armes auf den Boden und setzte | |
sich auf den Rücken des Mädchens“ – laut Zeugen war so was in norddeutsch… | |
Heimen Praxis, auch mal 15 Minuten lang. | |
Wenn zum Beispiel ein Jugendlicher mit dem Messer angreift, ist Festhalten | |
erlaubt. Das Handeln muss trotzdem verhältnismäßig sein. Bei der hier | |
beschriebenen Art des ausgeübten Zwangs und auch der Dauer hätte ich auch | |
in solchen Fällen immer meine Fragezeichen. | |
Ein Betreuer soll sich 45 Minuten auf ein Mädchen gesetzt haben, das „ein | |
bisschen aufmüpfig“ war. | |
Wenn ein Kind „pampige“ Antworten gibt, klingt das nicht nach einer akuten | |
Gefahr. Das würde die These bestätigen, dass es in der Praxis Tendenzen | |
gibt, auf kindliches „Störverhalten“ nicht pädagogisch, sondern | |
disziplinierend zu reagieren, strafend. | |
Man will sich mit dem Jugendamt abgesprochen haben. | |
Das würde nichts ändern. Weder die Eltern noch andere | |
Personensorgeberechtigte wie etwa der (Amts-)Vormund dürfen Gewalt zu | |
erzieherischen Zwecken anwenden – noch können sie eine solche Befugnis auf | |
andere übertragen. Dem Jugendamt steht kein eigenständiges Erziehungsrecht | |
zu. | |
Zurück zum Strafrecht: Auch in Schleswig-Holstein stellte die | |
Staatsanwaltschaft bereits Verfahren ein, weil sich ein „bestimmtes | |
erzieherisches Verhalten nicht als Körperverletzung einordnen“ lasse. | |
Strafrechtlich ist Gewalt Gewalt, gleichgültig ob sie gegen Kinder oder | |
Erwachsene gerichtet ist. Das Züchtigungsrecht als strafrechtlicher | |
Rechtfertigungsgrund ist anerkanntermaßen abgeschafft. | |
Wenn aber der Staatsanwalt keinen Tatbestand erkennt, war dann nicht alles | |
okay? | |
Auch die Gewalt in der Erziehung unterhalb der Strafbarkeitsschwelle ist | |
gesetzlich nicht erlaubt. § 1631 BGB meint jegliche Gewalt. | |
Sie sagen, Zwang ist in der Pädagogik nicht erlaubt. Was bedeutet das? | |
Thematisiert habe ich körperlichen Zwang. Es gibt in der Pädagogik zum Teil | |
die Aussage, körperlicher Zwang sei nicht Gewalt und deshalb erlaubt. Ich | |
sage, dass Zwang ohne Gewalt gar nicht möglich ist. Zwang gilt als | |
Einwirkung mit Gewalt. Das kann man nicht trennen. Das lässt sich durch | |
Begriffe nicht umdeuten. | |
In einigen Heimen sind Kinder gezwungen, Sport zu machen. Auch berichten | |
sie vom Zwang, aufzuessen oder schon vor dem Frühstück zu putzen. | |
Zu prüfen wäre, ob es sich hier um entwürdigende Maßnahmen im Sinne des § | |
1631 BGB handelt. | |
Sie schreiben, schon die Pflicht, bestimmte Regeln einzuhalten, dürfte als | |
entwürdigend einzustufen sein. | |
Es geht hier nicht allgemein um Regeln, die für das Zusammenleben notwendig | |
sind, sondern um auf Disziplinierung und Unterwerfung setzende. | |
In den Konzept-Eckpunkten für ein neues Hamburger Heim heißt es: | |
„Zwangsmaßnahmen sind nur zur Durchsetzung des Erziehungsrechts zulässig | |
und sollen keinen Strafcharakter haben, sondern dienen der Neutralisierung | |
von Fehlverhalten“. | |
Es zeugt auf jeden Fall von einem überholten, autoritären | |
Erziehungsverständnis. Alle „Zwangsmaßnahmen“ sind am Gewaltverbot des § | |
1631 zu messen – gleichgültig, mit welchem Begriff sie belegt sind. | |
Physische und psychische Gewalt „zur Durchsetzung des Erziehungsrechts“ ist | |
damit nicht erlaubt. Und bei „Neutralisierung von Fehlverhalten“ – aus | |
meiner Sicht ein hoch problematischer Begriff – geht es vermutlich um | |
anderes als um akute Gefahrenabwehr. Würde hier aus erzieherischen Gründen | |
körperlicher Zwang eingesetzt, läge ein klarer Verstoß gegen das | |
Gewaltverbot vor. | |
Auch dort steht, Eltern sollen dem Heim die Zwangsanwendung erlauben. | |
Eltern können nichts erlauben, das sie selbst nicht dürfen. | |
Das Gutachten „Das Recht des Kindes auf gewaltfreie Erziehung und seine | |
Bedeutung für die Zulässigkeit körperlichen Zwangs in Einrichtungen der | |
Kinder- und Jugendhilfe“ entstand im Auftrag des Aktionsbünsnisses gegen | |
Geschlossene Unterbringung, Hamburg. Es erscheint in der Zeitschrift für | |
Kindschaftsrecht und Jugendhilfe (ZKJ), Ausgabe Mai und Juni. | |
7 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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