# taz.de -- Pädagoge über Haasenburg: „Es wird härter durchgegriffen“ | |
> Brandenburgs Bildungsministerin kündigt die Schließung der | |
> Haasenburg-Heime an. Der Beginn einer Wende, hofft | |
> Erziehungswissenschaftler Werner Thole. | |
Bild: Geschlossen: Haasenburg-Heim „Haus Babenberg“. | |
Herr Thole, war Ihnen vor den Misshandlungsvorwürfen die Haasenburg GmbH | |
ein Begriff? | |
Nein, es haben auch nur ganz wenige Personen mitbekommen, dass die | |
Haasenburg GmbH im letzten Jahrzehnt von sechs auf über 100 Plätze | |
expandierte. | |
Haben Sie geglaubt, was in den Berichten stand? | |
Ich war überrascht und fühlte mich zurückerinnert an Zustände, die ich nur | |
aus der Literatur kenne. Ich meine die 1950er, 1960er und 1970er Jahre der | |
Heimerziehung. Ich fühlte mich erinnert an die alten Fürsorgeeinrichtungen, | |
die durch den Runden Tisch gut dokumentiert sind. Wenn ich ehrlich sein | |
darf: Mir war schon klar, dass es in den stationären Einrichtungen der | |
Erziehung zu verletzenden und ausgrenzenden Maßnahmen kommt, die teilweise | |
nur als Therapie ausgegeben werden. Dass dies aber in dieser Dimension | |
stattfinden konnte, das war für mich sehr überraschend. | |
In der Haasenburg wurden Kinder auf Fixierliegen geschnallt. Gehört das in | |
der fachlichen Diskussion zur Normalität? | |
Formen der Fixierung sind keine übliche Praxis und völlig ungewöhnlich. Das | |
wird in der Fachöffentlichkeit auch nicht diskutiert, weil diese Maßnahmen | |
nicht zur Praxis der Kinder- und Jugendhilfe gehören. | |
Gibt es eine Tendenz zur Aufweichung der Kriterien dafür, wer in so eine | |
Einrichtung kommt? | |
Die Konfrontation mit Kindern und Jugendlichen, die womöglich als | |
psychiatrisch auffällig zu bezeichnen sind, ist eine große Herausforderung. | |
Die Regel ist das aber nicht. | |
Wie bewerten Sie die gegenwärtigen gesetzlichen Grundlagen, die festlegen, | |
welche Kinder in geschlossene Einrichtungen kommen und welche nicht? | |
Insgesamt sind zwischen 400 und 600 Kinder und Jugendliche aufgrund dieser | |
gesetzlichen Grundlagen geschlossen untergebracht. Wir verzeichnen einen | |
drastischen Anstieg. Die Frage ist also berechtigt, ob wir eine Entwicklung | |
beobachten können, dass in der Kinder- und Jugendhilfe gegenwärtig häufiger | |
wieder auf stationäre Maßnahmen zurückgegriffen wird. | |
Gibt es in der Pädagogik also eine Tendenz, die Strafe als probates Mittel | |
legitimiert? | |
Insbesondere in der Sozialpädagogik drückt sich zurzeit wieder eine | |
Mentalität aus, die auf sogenannte klassische Werte setzt: Disziplin, | |
Ordnung, Einhaltung von festen Regeln. Das Streben von Kindern nach | |
Autonomie und ihre Wünsche, sich Anpassungsansprüchen der Gesellschaft zu | |
widersetzen, da beobachte ich vermehrt Reaktionen, die darauf abzielen, das | |
zu begrenzen. Es wird disziplinarisch härter durchgegriffen. Und das zeigt | |
sich auch in der Sozialen Arbeit. | |
Wie erklären Sie diesen Wandel? | |
Während wir vor einigen Jahrzehnten noch auf stabile Werte und Normen | |
vertrauen konnten, sind diese heute kulturell aufgeweicht. Wir sind also im | |
täglichen Umgang darauf angewiesen, uns stärker darüber zu verständigen, | |
auf welche Werte wir uns beziehen. Wir müssen Regularien für unseren Alltag | |
ausdrücken. Das stellt auch die erzieherische Hilfe vor enorme | |
Herausforderungen. | |
Wie sicher sind Sie, dass in anderen Heimen nicht ähnliche Missstände | |
herrschen? | |
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass wir auch in anderen Einrichtungen | |
ähnliche Formen des Umgangs mit Kindern antreffen. Dass auch dort eine | |
Pädagogik herrscht, die nach Belohnungs- und Bestrafungsprinzipien | |
organisiert ist. Dass ähnliche Formen der Verletzung der körperlichen | |
Integrität anzutreffen sind, hoffe ich nicht – empirisch liegt uns dazu | |
aber kein Wissen vor. | |
Wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang, dass in diesem Segment kirchliche | |
Träger als Marktführer agieren? | |
Beide Kirchen blicken in Bezug auf die klassische Fürsorge auf keine | |
ruhmreiche Geschichte zurück. Gerade deswegen würde man von ihnen erwarten, | |
dass sie sich aus ethischer Verantwortung besonders für humane Formen der | |
öffentlichen Erziehung engagieren. Aber das können wir nicht beobachten. | |
Ist das Fehlen einer moralischen Sensibilität bei den Kirchen nicht | |
erstaunlich – gerade angesichts einer Vergangenheit, in der Heimkinder | |
systematisch gequält wurden? | |
Da bin ich auch überrascht, dass an diesem Konzept festgehalten wird. | |
Der Runde Tisch Heimerziehung wird von Experten und Betroffenen als ein | |
großes Versagen der Aufarbeitung erlebt. Wieso schafft es die Kirche nicht, | |
ihre schwarze Vergangenheit aufzuarbeiten? | |
Positiv ist, dass es überhaupt zu diesem Runden Tisch kam und das Thema so | |
Aufmerksamkeit erfuhr. Allerdings ist der damit initiierte Prozess der | |
Aufarbeitung gegenwärtig unterbrochen, vor allem in Bezug auf Kinder und | |
Jugendliche, die sexualisierte Gewalt erleiden mussten. Er ist insbesondere | |
unterbrochen in Bezug auf Kinder und Jugendliche, die aufgrund körperlich | |
defizitärer Diagnosen oder psychiatrischer Gutachten in den entsprechenden | |
Einrichtungen waren. Es geht da um Kinder, die bis in die 1970er Jahre für | |
Fluchtversuche bestraft wurden. Mit der „Bügeleisenmethode“: Die Kinder | |
wurden eingefangen, und dann wurde ihnen das heiße Bügeleisen unter die | |
Fußsohlen gehalten. | |
Wird der Haasenburg-Skandal eine Fachdebatte anstoßen? | |
Ich hoffe, dass die Frage der freiheitsentziehenden Maßnahmen und die Frage | |
der Notwendigkeit der geschlossenen Unterbringung neu auf die Tagesordnung | |
gesetzt wird. Meine Hoffnung ist, dass wir durch die Entwicklung in | |
Brandenburg nun mit empirischen Befunden diese Debatte endlich führen. | |
8 Nov 2013 | |
## AUTOREN | |
Kai Schlieter | |
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