# taz.de -- Kriminologe Lindenberg über geschlossene Heime: „Eine Bezugspers… | |
> Geschlossene Heime können Straftaten nicht verhindern, sagt der | |
> Kriminologe Michael Lindenberg. In Hamburg wäre es endlich Zeit für eine | |
> Alternative. | |
Bild: Methode Wegsperren: Hamburgs Senat plant ein geschlossenes Heim. | |
taz: Herr Lindenberg, nach der Schließungsankündigung für die Haasenburg | |
plant Senator Detlef Scheele für Hamburg ein eigenes geschlossenes Heim. | |
Hatten Sie damit gerechnet? | |
Michael Lindenberg: Nein. Und ich finde, das ist keine kluge Idee. Der | |
Sozialsenator hätte jetzt die einmalige Chance, mal etwas anderes zu tun, | |
und er hätte dabei große Teile der Fachwelt hinter sich. Mir ist nicht | |
klar, warum Hamburg nach den schlechten Erfahrungen der jüngsten Zeit jetzt | |
nicht eine Alternative zur geschlossenen Unterbringung entwickelt. | |
Vielleicht wegen der aktuellen Schlagzeilen. Ein 13-Jähriger, der in der | |
Haasenburg war, soll zusammen mit einem 17-Jährigen eine Frau sexuell | |
genötigt haben. Müssen manche Kinder in ein geschlossenes Heim, um die | |
Bevölkerung zu schützen? | |
Dahinter steht die Erwartung, dass es möglich sein soll, solche Taten zu | |
verhindern. Das müssen wir auch versuchen, aber es kann niemals eine | |
absolute Garantie geben. Selbst wenn ein 13-Jähriger im geschlossenen Heim | |
ist, ist nicht ausgeschlossen, dass er rauskommt. Es gibt immer wieder | |
tragische Einzelfälle. | |
Der Junge war schon seit 15 Monaten im geschlossen Heim. | |
Genau. Und das hat nichts verhindert. Die Erwartung an geschlossene Heime | |
ist, dass Kinder und Jugendliche lernen, nicht mehr gewalttätig zu sein. Er | |
hat dies dort in dieser Zeit offenbar nicht gelernt. Man kann solche Taten | |
nicht durch Einschluss verhindern. Wir trauen uns nur nicht, das zu sagen. | |
Der Junge war offensichtlich in einer Ausnahmesituation. Ist es nicht | |
nötig, in Grenzsituationen Kinder festzuhalten? | |
Unbedingt. Aber für das Festhalten braucht es nicht die geschlossene | |
Unterbringung. Mit einer individuellen Betreuung gelingt dies viel | |
sinnvoller. Wenn der 13-Jährige ein vernünftiges individuelles Arrangement | |
gehabt hätte, wäre das möglicherweise nicht passiert. | |
Und wenn das Arrangement nicht gleich greift? | |
Ich sage es noch einmal: Geschlossene Unterbringung kann nicht verhindern, | |
dass schwere Straftaten passieren. Sie erfüllt diesen Zweck nicht. Es sei | |
denn, wir buddeln ein tiefes Loch für die Kinder und tun sie da rein und | |
führen sie an einer Leine, bis sie 20 Jahre alt sind. Aber das kann es | |
nicht sein. Das kann ein aufgeklärter Staat nicht wollen. | |
Brauchen Kinder, die aggressiv sind, vor allem Therapie? | |
Möglicherweise, aber das setzt voraus, dass sie krank sind. Ich würde bei | |
diesen Kindern einen Bedarf an erzieherischer Hilfe annehmen. Eine enge | |
Bezugsperson ist das Wichtigste. Ein Mensch, dem sie vertrauen. Denn diese | |
Kinder konnten meist ihren Eltern nicht vertrauen, sie konnten ihren | |
Lehrern nicht vertrauen, und sie konnten ihren bisherigen Erziehern nicht | |
vertrauen, weil sie die Einrichtung immer wieder wechseln mussten. Sie | |
brauchen die Gewissheit, dass die Person, mit der sie umgehen, zu ihnen | |
steht. | |
Sie schlagen als Alternative zum geschlossenen Heim einen | |
„Kooperationspool“ von Trägern vor. Wie soll das helfen? | |
Es soll eine Schaltstelle sein, wo man überlegt, was zu tun ist, bevor ein | |
Kind in die geschlossene Unterbringung kommt. Es sollen dort die besten | |
Leute zusammenkommen. Die Last soll auf mehrere Schultern verteilt werden. | |
Damit wollen wir einen besseren Zugang bekommen zu den in der Tat | |
schwierigen Jugendlichen. | |
Das klingt kompliziert. Reicht nicht ein Träger, der die spezialisierten | |
Experten vorhält? | |
Wenn ein Träger sich auf Spezialfälle einstellt, zieht das diese | |
Spezialfälle an. Wir sollten aber daran arbeiten, die Jugendlichen in die | |
Normalität zurückzuführen. Deshalb ist es immer besser, auf die | |
Erziehungshilfeträger insgesamt zurückzugreifen, als nur auf einige wenige | |
Spezialisierte. | |
Der Senator sagt, er will Kinder vor dem Gefängnis bewahren. | |
Das kann man nicht. So ein Heim bereitet weder auf ein Leben in | |
Gewaltfreiheit vor noch verhindert es, dass die Insassen ins Gefängnis | |
kommen. Das ist aus der Luft gegriffen. | |
Das Heim soll mehr Jugendhilfe als Justiz atmen. | |
Auch das ist ehrenwert, aber nicht realistisch. | |
Haben Sie noch Hoffnung, Gehör zu finden? | |
Ja. Irgendwann wird die Alternative kommen und Hamburg die geschlossene | |
Unterbringung nicht mehr benutzen. | |
22 Nov 2013 | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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