# taz.de -- Umstrittene Heimpolitik: Hamburg will Jugendliche stören | |
> Hamburg betreut schwierige junge Flüchtlinge jetzt im Industriegebiet. Es | |
> gibt Restriktionen, aber kein Schloss. Bremen plant geschlossenes Heim | |
> für diese Gruppe. | |
Bild: Seit Donnerstag leben junge Flüchtlinge auf diesem Platz in Containern. … | |
HAMBURG taz | Freitagabend am Bullerdeich 6. Ein Wachmann in schwarzer | |
„Securitas“-Kluft patrouilliert vor dem Tor des früheren Recyclinghofs. Im | |
erleuchteten Pörtnerbüro sitzen zwei weitere Wachleute. Im Hof geht ein | |
Junge im blauen Pulli über den Platz. Ob es gut laufe? „Ja und nein“, sagt | |
der Wachmann. Man habe ja gerade erst eröffnet, „mit neuem Konzept“. | |
Hinter der Auffahrt befindet sich ein zweiter Zaun, dahinter stehen acht | |
graue Container. Das Zuhause für zwölf minderjährige Flüchtlinge, die am | |
Donnerstag hier einzogen. Im Haupthaus aus gelbem Klinker ist ein | |
Mitarbeiterbüro hell erleuchtet. Die Fenster dazwischen liegen im Dunkeln | |
und sind von innen vergittert. In westlicher Richtung ist eine große Fabrik | |
mit Rohren und Stahltanks zu sehen. Es ist eher eine Kulisse für einen | |
Science-Fiction-Film als für ein Jugendheim - mit Absicht. | |
## Bei Fehlverhalten kein TV | |
„Das ist keine schöne Gegend“, sagt Sozialbehördensprecher Marcel | |
Schweitzer. Wenn sie lernten, sich an Regeln zu halten, kämen die Jungs | |
woanders hin. Es seien Jugendliche, die sich zum Teil seit Jahren auf | |
Europas Straßen durchschlagen. Sie hätten keine Bezugspersonen und entzögen | |
sich jeder Ansprache, seien kriminell auffällig geworden und konsumierten | |
Drogen. Das Ziel sei, sie „im Verharren in ihrer Lebenssituation zu | |
stören“. Die Gemeinschaftsräume, in denen gegessen, gekickert oder TV | |
geguckt wird, sind nur zu festen Zeiten am Tag zugänglich. „Bei | |
Fehlverhalten kann der Zugang verweigert werden“, sagt Schweitzer. Spiele | |
oder Fernsehen seien dann nicht möglich. Außerdem werden die Jungen bei | |
Verdacht auf Drogen oder Waffen kontrolliert. | |
Die Einrichtung hat 20 Plätze. Neben vier Pädagogen und den Wachleuten | |
arbeiten dort zehn „Sprach- und Kulturmittler“, die zum Beispiel Arabisch | |
sprechen und sich mit dem Kulturkreis der Jungen auskennen. Jeder Betreute | |
soll regelmäßig sein Verhalten reflektieren. Tut er das, werde es belohnt, | |
macht er es nicht, werde es nicht sanktioniert, sagt Schweitzer. Die Türen | |
blieben offen, auch nachts. Abschließen dürfe man gar nicht. | |
Also können die Jungen zu Fuß die 800 Meter zum nächsten S-Bahnhof gehen. | |
Ein geschlossenes Heim ist dies nicht. | |
Auch in Bremen gibt es eine Gruppe minderjähriger Flüchtlinge, von denen es | |
heißt, sie hätten lange auf der Straße gelebt und seien nicht zugänglich. | |
Der rot-grüne Bremer Senat plant ein geschlossenes Heim und führt mit | |
Hamburg Gespräche für eine Kooperation. Man wolle Freiheitsentziehung | |
„zeitlich begrenzt für ganz spezielle Jugendliche“, sagt Bernd Schneider, | |
der Sprecher der grünen Sozialsenatorin. So ein Heim sollte „nicht für | |
mehrere Monate geschlossen sein“, ergänzt die Grüne Politikerin Linda | |
Neddermann. „Zum Beispiel, wenn ein Entzug passiert, dass man sagt, du | |
darfst nachts nicht raus“. Darauf angesprochen, dass Hamburg für eben jene | |
Zielgruppe eine zwar restriktive, aber offene Lösung versucht, sagt | |
Schneider, „Ich meine, Hamburg hat eine andere Zielgruppe.“ | |
## Individuelle Lösungen | |
Was beide Städte unterscheidet: Bremen hat die Wahlen am 10. Mai vor sich, | |
Hamburg hat sie gerade hinter sich. Am Montag verhandeln dort SPD und Grüne | |
über das strittige Thema. Die Sozialbehörde soll ein Papier vorlegen für | |
eine Zusammenarbeit mit Bremen. Dabei kommt Bremen seit Jahren ohne solche | |
Heime aus, hat Erfolge mit der „intensiven sozialpädagogischen | |
Einzelfallhilfe“ (ISE), bei der Jugendliche in eigenen Wohnungen betreut | |
werden. „Ich weiß, dass dies bei deutschen und bei migrantischen | |
Jugendlichen funktioniert“, sagt Christoph Knievel vom Träger Brigg. „Warum | |
soll es nicht auch bei diesen Jugendlichen klappen?“ | |
Auch in Hamburg hat es seit einem Jahr keine geschlossene Unterbringung | |
mehr gegeben, weil ein Trägerverbund sich um individuelle Lösungen kümmert. | |
Das sei viel sinnvoller, sagte der frühere Jugendhilfe-Abteilungsleiter | |
Wolfgang Hammer bei einer Anhörung in Hamburg-Altona. Denn ein Erfolg | |
geschlossener Heime sei nicht bewiesen. | |
Man sei gar kein Befürworter geschlossener Heime, sagte dort der Leiter des | |
Amts für Familie Uwe Riez. „Wenn wir 2015 und 2016 auch null Fälle haben, | |
dann ist es eben so“. Es sei aber nicht schlau, dies „ohne das Ansehen von | |
Einzelfällen“ auszuschließen. Deshalb hätte Hamburg gern Plätze in Bremen. | |
Das Thema trifft einen Nerv bei den Hamburger Grünen, die gegen | |
geschlossene Heime sind. Als Trost gilt nur die Kunde, dass Bremen die | |
Hamburger Problemfälle gar nicht will. | |
29 Mar 2015 | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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