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# taz.de -- Misshandlungen im Jugendheim: Gefangen im Zimmerbunker
> Mehrere leitende Mitarbeiter eines niedersächsischen Jugendheims sollen
> ihre Schützlinge eingesperrt und misshandelt haben. Nun stehen sie vor
> Gericht
Bild: Manchmal durften die Jugendlichen in den Heimen ihre Zimmer drei Tage lan…
Verden taz | Nur mit Unterhose und T-Shirt bekleidet in einem fast leeren
Zimmer: so sollen die Jugendlichen tagelang eingesperrt gewesen sein.
„Zimmerbunker“ sollen sie ihr Gefängnis genannt haben. Die Mitarbeiter
einer mittlerweile geschlossenen Einrichtung für schwer erziehbare
Jugendliche sollen diese außerdem körperlich misshandelt haben. Die
schweren Vorwürfe reichen von Schlägen in den Bauch und ins Gesicht über
Tritte bis zu eiskalten Duschen.
Seit Donnerstag müssen sich drei Männer und eine Frau, die bei der
Betreibergesellschaft Phönixx-GmbH in Führungspositionen gearbeitet haben,
dem Landgericht Verden stellen. Es sind der ehemalige Inhaber der
Einrichtung, zwei pädagogische Leiter und ein Arbeitstrainer. Erfahrungen
im Umgang mit schwer Erziehbaren hatten einige von ihnen so gut wie gar
nicht: Der Arbeitstrainer arbeitete als Handwerker, bevor er bei der
Phönixx-GmbH anfing. Einer der pädagogischen Leiter hat immerhin eine
Erzieherausbildung gemacht – die ihn aber eigentlich nicht für die leitende
Position qualifiziert.
Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten Straftaten in zwei bis 14
Fällen vor, die sie zwischen März 2009 und Dezember 2011 in einem Heim in
Thedinghausen im Landkreis Verden verübt haben sollen. Nur in einem Fall
geht es um eine Tat in einem Heim in Eystrup im Landkreis Nienburg/Weser,
das ebenfalls zur Phönixx-GmbH gehörte.
Der „Zimmerbunker“ soll in den Heimen als Strafe für Fehlverhalten
angeordnet worden sein. Durch die Androhung von Sanktionen und die
Bewachung durch einen Betreuer vor der Tür sollen die Jugendlichen daran
gehindert worden sein, aus dem Bestrafungsraum zu fliehen. Laut
Staatsanwaltschaft sollen die Mitarbeiter außerdem Zimmertüren ausgehängt
und Fenstergriffe abmontiert haben.
Der Richter Marcus Tittel betont während der Verhandlung, dass das
Verfahren sehr komplex sei. „Es zeichnet sich durch äußerst schwierige
Zeugen aus“, sagt Tittel und verweist auf die betroffenen Jugendlichen.
Auch, dass die Vorfälle schon lange her seien, verkompliziere das
Verfahren. „Die Ermittlungen haben sehr viel Zeit in Anspruch genommen“,
sagt der Sprecher der Staatsanwaltschaft Verden. Die Anklageschrift umfasse
mehr als 200 Seiten. Über 40 Zeugen werden darin aufgeführt, rund 70
Dokumente als Beweismittel benannt.
Am ersten Verhandlungstag lässt sich nur einer der Angeklagten, der
Ex-Heimchef Neal Stephan B., auf eine Stellungnahme ein. Darin heißt es, es
habe keinen abgeschlossenen Raum, und somit auch keinen „Zimmerbunker“,
gegeben. Den Stubenarrest bezeichnet er als legitimes Mittel im Umgang mit
schwer erziehbaren Jugendlichen.
Die Staatsanwaltschaft ist hingegen überzeugt, dass die Jugendlichen in
zahlreichen Fällen gequält worden seien. Sie erwartet ein Urteil von
mindestens zwei Jahren Haft ohne Bewährung. Auf die Misshandlung
Schutzbefohlener, die allen vier Angeklagten vorgeworfen wird, stehen sechs
Monate bis zehn Jahre Freiheitsentzug .
Die Verteidiger scheinen allerdings von einem Freispruch auszugehen. Außer
der Stellungnahme von Ex-Heimleiter B. äußert sich am Donnerstag niemand zu
den Vorwürfen. Stattdessen erzählen die Angeklagten vom Alltag im Heim und
von Freizeitaktivitäten. Der ehemalige Arbeitstrainer Günter Alfred S.
sagt, die Jugendlichen seien zwar manchmal auf die Betreuer losgegangen.
Ansonsten habe aber eine „familiäre Atmosphäre“ in den Heimen geherrscht.
Als es um den Fall eines betroffenen Jugendlichen geht, der ebenfalls
gequält worden sein soll, legt der Verteidiger des Ex-Heimleiters B. ein
Protokoll vor. Es soll die Tage dokumentieren, in denen der Betroffene
eingesperrt gewesen sein soll. In dem Protokoll steht, der Aufenthalt im
„Zimmerbunker“ sei zum Beispiel durch Arztbesuche und Aufenthalte im Garten
unterbrochen worden. Dass der Jugendliche jedoch drei Tage am Stück sein
Zimmer nur verlassen durfte, um zur Toilette zu gehen, bestätigt der
Ex-Heimleiter dadurch.
B. schaut während der Verhandlung nur auf den Tisch, den Kopf leicht
gesenkt. Die beiden anderen Männer und die Frau hingegen sitzen scheinbar
entspannt auf ihren Plätzen, tun fast unbeteiligt – als hätten sie sich für
nichts zu rechtfertigen.
Der Angeklagte Manfred W., einer der pädagogischen Leiter, sitzt zurück
gelehnt auf seinem Stuhl, die Füße mit den schwarzen Anzugschuhen
ausgestreckt. Er gibt zu, dass er mit seiner Arbeit überfordert war. Einmal
habe er sich daher vier Wochen krank melden müssen.
Die genauen Hintergründe der Einrichtungen und der mutmaßlichen Taten
sollen in neun weiteren Verhandlungsterminen geklärt werden. Als Zeugen
aussagen sollen ein Mitarbeiter vom niedersächsischen Jugendamt, zwei
ehemalige Mitarbeiter der Phönixx-GmbH, die bereits ein eigenes Verfahren
am Amtsgericht hatten, und sechs der betroffenen Jugendlichen. Ein Urteil
wird Mitte Dezember erwartet.
19 Oct 2017
## AUTOREN
Milena Pieper
## TAGS
geschlossene Heime
Niedersachsen
Missbrauch
Jugendliche
Heim
Heimerziehung
Schwerpunkt Haasenburg Heime
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