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# taz.de -- Umstrittener Friesenhof-Gutachter: Ein Freund des Drastischen
> Untersuchungsausschuss zu den geschlossenen Friesenhof-Jugendheimen lässt
> deren Konzept von einem Experten begutachten, der Zwangsmaßnahmen
> befürwortet
Bild: Hausaufgaben auf dem Sitzsack: Friedliche Alltagsszene in einem Mädchenh…
KIEL taz | Zur Aufarbeitung des Friesenhofskandals soll der
Parlamentarische Untersuchungsausschuss des Kieler Landtags auch die
Konzepte der 2015 geschlossenen Mädchenheime bewerten.Dafür gaben die
Parlamentarier ein Gutachten bei dem Berliner Erziehungswissenschaftler
Mathias Schwabe in Auftrag, der wegen seiner Haltung zu Zwang in Heimen
umstritten ist. Das Papier wurde nun auf die [1][Homepage des Landtags]
gestellt. Persönlich präsentieren wird der Experte seine Ergebnisse dann im
November.
Die Friesenhof-Einrichtungen waren nach massiven Vorwürfen wegen
unzureichend ausgebildeten Personals und entwürdigender Methoden im Umgang
mit den Bewohnerinnen geschlossen worden. Seit September 2015 prüft der
Untersuchungsauschuss die Vorwürfe.
Entschieden wurde über die Gutachter-Personalie im Februar in interner
Sitzung, wie man hört ohne Widerspruch. Bemerkenswert, denn Schwabe
vertritt extreme Positionen: „In meinem pädagogischen Denken ist auch
Freiheitsentzug bzw. die Anwendung von ‚Zwang‘ und/oder ‚Gewalt‘ zur
Durchsetzung von Regeln in besonderen Fällen immer wieder notwendig und
deshalb zu rechtfertigen“, schreibt er. So könne es richtig sein, einen
zwölfjährigen Jungen, der beim Essen der Gruppe immer wieder rülpst und
furzt, vom Tisch zu schicken und dies auch mit Körperkraft durchzusetzen.
Ihn „aus dem Zimmer führen oder notfalls zu tragen, auch wenn er sich
dagegen wehrt“.
„Körperlicher Zwang in Heimen ist verboten“, sagt dagegen etwa die
Ludwigsburger Juristin und Erziehungswissenschaftlerin Hannelore Häbe. Sie
kam jüngst in einem [2][Rechtsgutachten] zur Einschätzung, das im Jahr 2000
eingeführte Recht des Kindes auf gewaltfreie Erziehung habe uneingeschränkt
zu gelten. Einzig zur Abwehr einer akuten Gefahr dürften Eltern oder
Erzieher körperlichen Zwang einsetzen – etwa ein Kind festhalten, das auf
die befahrene Straße läuft.
Für Matthias Schwabes kann auch die Selbstgefährdung eines Kindes, dem nie
Grenzen gesetzt wurden, körperlichen Zwang rechtfertigen. Er verweist auf
das 2008 von ihm selbst herausgegebene Buch [3][„Zwang in der
Heimerziehung?“], in dem zwei Juristen zu dem Thema ein Kapitel verfasst
hätten: Diese Autoren sähen in seinen Thesen „zumindest keinen zwingenden
Verstoß gegen Gesetze“, so Schwabe, der hier einen „rechtlichen
Graubereich“ erkennt.
Zum Zwang geforscht hat Schwabe zwischen 2003 und 2006 in insgesamt drei
Heimen. In einem [4][Aufsatz für die Zeitschrift Widersprüche] warb er 2007
dafür, Denkverbote aufzuheben und die „wilde Praxis“ zu thematisieren. Als
Beispiel nennt er darin ein Heim, in dem Jugendliche, die sich weigern,
Putzpflichten zu erfüllen oder auf Aufforderung hin nachzubessern, „wenn
nötig“ auch von drei Pädagogen überwältigt und auf dem Boden festgehalten
werden – dies könne „zwischen fünf Minuten und zwei Stunden dauern“. Ein
Drittel der dort untergebrachten Kinder hätten von Schmerzen berichtet oder
gesagt, dass sie dieses Vorgehen „zu hart“ fänden, berichtet Schwabe – d…
übrigen aber fänden es „in Ordnung“.
Er schreibt weiter von einem einem „sehr körpernahen Akt“, mit dem die
Pädagogen den Kindern und Jugendlichen „basale Formen Sicherheit und
Ordnung vermitteln bzw. ‚hautnah‘ erleben lassen“. Er vergleicht das mit
dem „Erleben von Drei- bis Fünfjährigen“, die Schwabe zufolge „solche
Eingriffe noch eher akzeptieren, weil sie sich ihren Eltern noch stärker
körperlich verbunden fühlen“.Wenn Zwang fachlichen Richtlinien unterliege,
werde er „nachvollziehbarer, weniger aggressiv, reflektierter,
transparenter“ und könne zumindest mittelfristig einen Gewinn im Erleben
des Kindes darstellen.
Auch in der Analyse der Friesenhof-Konzepte findet sich dieser Ansatz. So
moniert Schwabe etwa das Fehlen von Anweisungen für die Mitarbeiter, etwa
zum „Einsatz von Körperkraft zur Durchsetzung von Regeln“.
Der Hamburger Sozialwissenschaftler Tilmann Lutz nennt diese Thesen einen
[5][„Irrweg der Jugendhilfe“]. Schwabes Versuch, aus dem punktuellen
Einsatz körperlicher Überlegenheit gegen Kleinstkinder im Rahmen
liebevoller Familienbeziehungen eine Rechtfertigung abzuleiten für
Zwangselemente in der öffentlichen Erziehung bezeichnet er als
„Fehlschluss“. Wer die Enttabuisierung des Zwangs wolle, so Lutz weiter,
unterschätze, wie hilfreich ein Tabu sei: Es führe etwa bei
Sozialarbeitern, wenn diese doch mal Zwang anwendeten, zu „selbstkritischer
Reflektion oder zumindest Zweifeln“.
Auch die 2013 geschlossenen Haasenburg-Heime in Brandenburg zeigen, dass
auch detaillierte Anweisungen das Problem mit sogenannten
„Anti-Aggressionsmaßnahmen“ nicht lösen: Die dortige
[6][Untersuchungskommission] sprach mit zahlreichen ehemaligen Bewohnern
und empfahl, Zwangsmaßnahmen nicht mehr zuzulassen.
Lutz nennt es „fragwürdig“, wenn der Ausschuss einzig einen Gutachter
bestelle, der grundsätzlich offen sei für Zwangsmaßnahmen – „und die zwe…
Position in der Fachwelt nicht hört“.
31 Jul 2016
## LINKS
[1] http://www.landtag.ltsh.de/homedata/kat1/data/Gutachten_Prof._Dr._Schwabe_m…
[2] /!5311433/
[3] http://www.inib-berlin.de/dokumente/bericht_schwabe_heimerziehung.pdf
[4] http://www.widersprueche-zeitschrift.de/article1440.html
[5] http://www.ssoar.info/ssoar/bitstream/handle/document/38320/ssoar-2011-lutz…
[6] http://www.mbjs.brandenburg.de/sixcms/media.php/5527/Broschur_Endbericht_Ha…
## AUTOREN
Kaija Kutter
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