| # taz.de -- Skandalheime in Schleswig-Holstein: Strafen statt Schlafen | |
| > Eine Zeugin berichtet im Untersuchungsausschuss von ihrer Zeit im | |
| > Mädchencamp „Nanna“ der Firma Friesenhof. Ein Gutachten bemängelt dessen | |
| > Konzept. | |
| Bild: Schlafen darf nur die Puppe: Im Friesenhof wurden Mädchen mit Schlafentz… | |
| Kiel taz | Ihr wurden alle persönlichen Dinge abgenommen, sie musste sich | |
| bis auf die Haut ausziehen, bei Fehlverhalten drohte Strafsport: Schon an | |
| ihrem ersten Tag im Mädchencamp Nanna erlebte die heute 18-jährige Rafaela | |
| K. das Haus, das zu den Friesenhof-Heimen gehörte, von seiner schlechtesten | |
| Seite. Die junge Frau, die heute in Hamburg lebt, war zwischen Oktober 2011 | |
| und August 2013 – mit einer mehrmonatigen Pause – in der Einrichtung in | |
| Dithmarschen untergebracht. | |
| Am Montag sagte sie vor dem Untersuchungsausschuss des Landtags in Kiel | |
| aus, der sich mit den Vorgängen in den Heimen befasst und darüber hinaus | |
| die Frage stellt, ob die Heimaufsicht zu wenig hingeschaut hatte. Darauf | |
| deutet ein Gutachten hin, dessen Fazit die Ausschussvorsitzende Barbara | |
| Ostmeier verlas. Demnach gab es grundsätzliche Mängel am Konzept des | |
| Hauses. Die Kritik: Widersprüche hätten den Jugendämtern auffallen müssen. | |
| ## Alle paar Tage „Aussitzen“ | |
| Manchmal hockten die Mädchen im Alter von zwölf bis 18 Jahren stundenlang | |
| zusammen, bis eine aus der Gruppe einen Fehler zugab und die Betreuer | |
| zufrieden waren. „Aussitzen“ nannte sich das Ritual, das fast alle zwei | |
| Tage im Mädchencamp stattfand, wie die Zeugin berichtete. | |
| Grund zur Strafe fand sich häufig: „Man konnte nichts anderes machen als | |
| Fehler“, sagte die junge Frau. Wenn „Aussitzen“ angesagt war, mussten | |
| Schulunterricht oder Mittag warten: „Dass es pünktlich Essen gab, habe ich | |
| nur selten erlebt.“ Das längste „Aussitzen“ dauerte 36 Stunden, erinnerte | |
| sie sich. Solange mussten die Mädchen gemeinsam in einem Raum sitzen und | |
| durften nicht schlafen. Grund für die Dauerstrafe war, dass zwei Mädchen | |
| fliehen wollten – sie sollten das vor aller Ohren gestehen. „Das wurde bis | |
| ins Mini-Detail ausdiskutiert.“ | |
| Ähnliche Details hatten bereits mehrere ehemalige Bewohnerinnen der Häuser | |
| unter dem Dach des Friesenhofs geschildert, sowohl gegenüber Medien als | |
| auch vor dem Ausschuss. Aber der präzise Bericht der 18-Jährigen fasste | |
| vieles zusammen und bestätigte bisher gehörte Aussagen über Strafmaßnahmen | |
| und Zustände im Haus. Sehr genau schilderte K., wie die Fenster und Türen | |
| in dem eigentlich „offenen“ Heim versperrt waren: „Weil Mädels abgehauen | |
| waren, wurden die Fenstergriffe abgenommen.“ Nachts waren die Zimmertüren | |
| mit einem „Pieper“ abgesichert. Wer zur Toilette wollte, musste klopfen: | |
| „Und weil es die Betreuer störte, dass wir nachts so oft raus gingen, | |
| mussten wir zur Strafe Liegestütze machen.“ | |
| ## Betreuer verdrehten den Mädchen die Arme | |
| Sie selbst habe sich nicht klein kriegen lassen, sa gt die junge Frau: „Ich | |
| bin Heimkind, mich erschüttert so schnell nichts.“ Den Betreuern habe sie | |
| gesagt: „Ihr versucht, ein Ja und Amen zu kriegen, aber da seid ihr bei mir | |
| an der falschen Adresse.“Dafür wurde sie unter anderem einen Tag allein in | |
| ihr Zimmer gesperrt – „war für mich eher wie Urlaub, man konnte mal | |
| schlafen.“ Aber sie berichtete auch von körperlicher Gewalt: So verdrehten | |
| Betreuer den Mädchen die Arme oder setzen sich auf die jungen Frauen. | |
| Schöne Erinnerungen an die Zeit im Camp habe die junge Frau nur wenige: | |
| „Wir durften mal im Pool planschen oder wenn wir gut gearbeitet hatten, gab | |
| es eine Zigarette extra.“ | |
| Der Friesenhof hat vor gut einem Jahr Insolvenz angemeldet. Aber seither | |
| sind weitere Einrichtungen in Schleswig-Holstein in die Kritik geraten. Ein | |
| Jugendhilfe-Anbieter im Kreis Schleswig-Flensburg hatte Fehler eingeräumt | |
| und einen Neustart versprochen, ein Heim in Dithmarschen hat allerdings | |
| gegen den Entzug seiner Betriebserlaubnis geklagt und vorläufig Recht | |
| bekommen. | |
| Die Opposition im Landtag aus CDU, FDP und Piratenfraktion wirft dem | |
| Sozialministerium und der dort angesiedelten Heimaufsicht vor, zu wenig | |
| Kontrolle ausgeübt zu haben. Als Reaktion auf den Friesenhof-Skandal wurde | |
| die Heimaufsicht personell aufgestockt, zudem übernahm die | |
| Bürgerbeauftragte für soziale Angelegenheiten des Landes auch die Aufgaben | |
| einer Ombudsfrau für Heimkinder. | |
| Vom „Eindruck einer unheilvollen Allianz“ zwischen Heim und | |
| Kontrollbehörden spricht Mathias Schwabe, Professor für soziale Arbeit an | |
| der evangelischen Hochschule Berlin, in seinem Gutachten über die früheren | |
| Zustände. Er will seine Ergebnisse Ende November in Kiel vorstellen – Stoff | |
| genug für weitere Sitzungen. | |
| 12 Jul 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Esther Geißlinger | |
| ## TAGS | |
| Jugendheim Friesenhof | |
| CDU Schleswig-Holstein | |
| Heimerziehung | |
| Jugendheim Friesenhof | |
| Jugendheim Friesenhof | |
| Jugendheim Friesenhof | |
| Jugendheim Friesenhof | |
| Jugendheim Friesenhof | |
| Jugendheim Friesenhof | |
| Heimerziehung | |
| Missbrauch | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Bilanz nach Friesenhof-Ausschuss: Heimlich geschlossen | |
| Der PUA-Untersuchungsbericht steht jetzt im Netz. Das Land habe mit dem | |
| Mädchencamp Nanna faktisch ein geschlossenes Heim toleriert, kritisieren | |
| die Piraten. | |
| Umstrittener Friesenhof-Schlussbericht: Streit um Abschlussbericht | |
| SPD, Grüne und SSW wollen in Mädchenheimen keine Kindeswohlgefährdungen | |
| bemerkt haben. Schließung war trotzdem rechtens. Kritik von FDP und CDU | |
| Thomas Mörsberger über Heimskandal: „Nur Gewalt ist verboten“ | |
| Die Heimaufsicht habe beim Friesenhof korrekt gehandelt, schreibt Anwalt | |
| Thomas Mörsberger in seinem Gutachten. Nötig sei nur mehr Transparenz. | |
| Umstrittener Friesenhof-Gutachter: Ein Freund des Drastischen | |
| Untersuchungsausschuss zu den geschlossenen Friesenhof-Jugendheimen lässt | |
| deren Konzept von einem Experten begutachten, der Zwangsmaßnahmen | |
| befürwortet | |
| Friesenhof-Skandal in Schleswig-Holstein: „Es war beklemmend dort“ | |
| Ex-Boxer und Friesenhof-Berater Lothar Kannenberg berichtet von Zuständen | |
| im Mädchencamp. CDU und FDP ließen keine kritischen Fragen zu. | |
| Untersuchungsausschuss Friesenhof: „Nicht gut aufgehoben gefühlt“ | |
| Die Kieler Heimaufsicht ließ sich von einem Anwalt des Heims einschüchtern. | |
| Das wurde bei der Zeugenaussage eines Sachbearbeiters deutlich. | |
| Heimskandal in Schleswig-Holstein: Hamburgs Kinder sind die letzten | |
| Hamburgs Linksfraktion fordert die Rückholung der Landeskinder aus dem | |
| umstrittenen Heim „Hof Seeland“. Die Kieler Piraten wollen sogar die | |
| Schließung. | |
| Neue Fälle von Quälerei in Jugendheimen: Strafsport und trocken Brot | |
| In Schleswig-Holstein stehen stehen wieder Jugendheime wegen entwürdigender | |
| Praktiken in der Kritik. Der Hamburger Senat will dort weiter Kinder | |
| hinschicken. |