# taz.de -- Thomas Mörsberger über Heimskandal: „Nur Gewalt ist verboten“ | |
> Die Heimaufsicht habe beim Friesenhof korrekt gehandelt, schreibt Anwalt | |
> Thomas Mörsberger in seinem Gutachten. Nötig sei nur mehr Transparenz. | |
Bild: Strafe oder nicht? Sport im Mädchenheim. | |
taz: Herr Mörsberger, Ihr [1][Gutachten zum Friesenhof] erweckt den | |
Eindruck, dass Sie das Vorgehen der Heimaufsicht als juristisch korrekt | |
bewerten und sogar Vorwürfe gegen die Einrichtung in Zweifel ziehen. Stimmt | |
das? | |
Thomas Mörsberger: Nein. Aber bei Rechtsgutachten können solche | |
Missverständnisse leicht entstehen. Es war nicht unser Auftrag, das | |
konkrete Geschehen in den Einrichtungen des Friesenhofs zu ermitteln. | |
Reinhard Wiesner und ich wurden nach den rechtlichen Rahmenbedingungen | |
gefragt und inwieweit sie für das Vorgehen der Behörde relevant waren. | |
Allerdings kommen wir in unserem Rechtsgutachten zu dem Schluss, dass es | |
Klärungsbedarf gibt – sowohl hinsichtlich der Handlungsmaßstäbe für die | |
Erzieher selbst wie für die Aufsichtsbehörden. | |
Ist es nicht unstrittig, dass Maßnahmen wie Strafsport oder das Wegnehmen | |
von Schuhen nicht erlaubt sind? | |
Unzulässig ist, wenn diese Fragen nicht differenziert und differenzierend | |
beantwortet werden. Das betrifft erneut sowohl das Geschehen im Heim wie | |
die Frage, was die Aufsichtsbehörde tun darf oder muss. | |
Also gibt es Fälle, in denen Kinder zum Sport gezwungen werden dürfen? | |
Sagen wir es so: Die Aufsicht sollte das Spektrum der pädagogischen | |
Methoden nicht einengen. Auch Eltern kann man das Bestrafen nicht | |
verbieten. Nur Gewalt ist verboten. | |
Hat die Behörde nicht schlicht zu spät reagiert? | |
Im Nachhinein spricht viel dafür, dass ein früheres Intervenieren besser | |
gewesen wäre. Aber eine rechtliche Überprüfung muss sich an Grundregeln der | |
Fairness halten. | |
Wie gehen Sie da vor? | |
Ich betrachte als juristischer Sachverständiger die Erwägungen, die zum | |
jeweiligen Zeitpunkt getroffen wurden und prüfe, ob diese sich in dem | |
Rahmen hielten, den das Gesetz zulässt. Und für die Aufsichtsbehörde gilt | |
das sogenannte Opportunitätsprinzip. Das heißt, es ist zu prüfen, welches | |
Vorgehen jetzt und in der Wirkung auf später am zweckmäßigsten erscheint. | |
Es sind viele Dinge zu berücksichtigen: Wie erfahre ich, was geschehen ist? | |
Wie sehen die Perspektiven aus? Habe ich die Beweise, um nicht bei einer | |
gerichtlichen Überprüfung vorgeführt zu werden? | |
Also werden aus Angst vor Klagen die Augen zugemacht? | |
Hoffentlich nicht! Im Gegenteil. Gerade, wenn es schwierig wird, sollten | |
die Augen weit geöffnet sein. Aber was nützt es, wenn ich martialisch | |
auftrete und das Verwaltungsgericht gibt dem Einrichtungsträger recht, weil | |
ich Vorwürfe nicht belegen konnte. | |
Beim Friesenhof waren die Hinweise deutlich. Abgeordnete berichten: Laut | |
der Akten fanden Mitarbeiter 2008 und 2009 bei unangemeldeten Besuchen | |
verschlossene Fenster vor. Eine Familienrichterin wies darauf hin, dass es | |
in Dithmarschen unzulässigerweise geschlossene Heime gebe. | |
Nach meiner Kenntnis ging die Aufsichtsbehörde diesem Verdacht nach, der | |
sich nicht bestätigt hat. Es gibt einen Unterschied zwischen | |
Freiheitsentziehung, für die es eine richterliche Genehmigung braucht, und | |
Freiheitsbeschränkung. Etwa wenn Eltern sagen, du gehst heute nicht raus. | |
Ein Graubereich, der in Heimen missbraucht werden kann. | |
Rechtlich ist der Unterschied zwar kompliziert, aber er gilt als geklärt. | |
Wer sich darauf beruft, es handle sich in seiner Konzeption nur um | |
Freiheitsbeschränkungen, der muss das exakt beschreiben und legitimieren | |
können. Deshalb ist auch klar: Sie dürfen nicht dauerhaft einsperren, | |
dürfen nicht schikanös agieren, sondern müssen ihr erzieherisches Verhalten | |
begründen können. Allerdings ist es nicht einfach, von außen zu beurteilen, | |
ob da die Grenzen adäquat eingehalten werden. Deshalb muss mehr Transparenz | |
her. Wir brauchen eher „Heim-Einsicht“ statt Heimaufsicht. | |
Jugendliche müssen aber doch jederzeit telefonieren können, in den | |
Friesenhof-Heimen durften sie das nicht. | |
Hört sich plausibel an. Aber wenn man mit einem Jugendlichen daran | |
arbeitet, dass er endlich lernt, nicht jedem Konflikt durch Weglaufen oder | |
den Ruf nach dem großen Bruder auszuweichen, dann ist ein jederzeitiges | |
Nutzen des Handys alles andere als kindeswohlgemäß. Aber natürlich muss es | |
in Abständen möglich sein, Kontakt nach außen aufzunehmen, um sich zu | |
beschweren. Das durchzusetzen, sollte weniger Sache der Aufsichtsbehörden | |
sein, denn da ist die Gefahr groß, dass relativ formal damit umgegangen | |
wird. Es muss ein Standard bei den Einrichtungen werden. Und da sollten | |
Eltern und Jugendämter hinterher sein. | |
Reichen denn die aktuellen gesetzlichen Vorgaben aus? | |
Nein. Aber ich plädiere weniger für schärfere Bestimmungen, die den | |
Behörden mehr Eingriffskompetenzen geben. Vielmehr sollte man sich | |
anschauen, auf was es ankommt, um Kinder und Jugendliche in Einrichtungen | |
adäquat zu schützen. Da passiert wenig. Früher gab es bundeszentrale | |
Weiterbildung für die Fachkräfte der Heimaufsicht. Alles abgeschafft! Den | |
Ruf nach schärferen Gesetzen kenne ich aus den Reaktionen in Politik und | |
Medien, wenn wieder was Schlimmeres passiert ist. Wir sollten genauer | |
hinschauen, wo es wirklich hakt. | |
4 Nov 2016 | |
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[1] https://www.landtag.ltsh.de/export/sites/landtagsh/parlament/ausschuesse/pu… | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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