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# taz.de -- Gesetz zum Freiheitsentzug Jugendlicher: Als Kind ans Bett gefesselt
> Kinder in Heimen und Kliniken zu fixieren, soll nur noch erlaubt sein,
> wenn ein Richter zustimmt. Experten fürchten, dass diese Praxis einreißt.
Bild: Krankenhausbett mit Fixierband: Mit Genehmigung könnte hier ein Kind lie…
Hamburg taz | Die große Koalition will etwas für den Kinderschutz tun. Am
Donnertag soll der Bundestag dazu ein neues Gesetz verabschieden, in erster
Lesung und ohne Debatte. Wenn sich ein Kind im Krankenhaus oder Heim
aufhält und ihm durch „mechanische Vorrichtungen“ oder auf andere Weise die
Freiheit entzogen wird, dann soll dies künftig nur noch auf Antrag der
Eltern und mit Zustimmung eines Familiengerichts geschehen.
Damit sei „das Festhalten, Fixierungen, Sedierungen, der Einsatz von
Therapietischen, Bettgittern, Gurten, Schutzanzügen, der Einschluss in
Time-Out-Räumen“ gemeint, heißt es im Entwurf aus dem Jusitzministerium von
Heiko Maas (SPD).
Die Maßnahme soll für höchstens sechs Monate erlaubt sein, bevor sie wieder
überprüft wird. Die Genehmigungpflicht gilt sowohl für Kinder in
geschlossenen als auch in offenen Einrichtungen, und das Kind soll einen
„Verfahrensbeistand“ haben. Statt eines Gutachtens vor Gericht reicht ein
„ärztliches Zeugnis“ aus. Der Richter soll die Maßnahme aber nur ablehnen,
wenn sie „nicht dem Kindeswohl entspricht“. Ob diese Maßnahmen zum Einsatz
kämen, sei von „Erziehungskonzepten“ abhängig.
Den Anstoß für das Gesetz habe eine Untersuchung über drei Behindertenheime
in Bayern gegeben, sagt CDU-Familienpolitiker Marcus Weinberg. Das Gesetz
soll auch die Eltern entlasten. Denn Heime der Jugendhilfe oder der
Behindertenhilfe würden „schwierige“ Kinder zum Teil ablehnen, wenn Eltern
nicht in freiheitsentziehende Maßnahmen einwilligten.
Die sähen sich so dem „Zwang zur Unterschrift“ ausgesetzt. Auch würden
Kinder mit geistiger oder seelischer Behinderung in gut gemeinter Absicht
oder aus Personalmangel Maßnahmen ausgesetzt, deren freiheitsentziehender
Charakter den Handelnden nicht immer bewusst sei. „Wir wollen für die
Kinder mehr Sicherheit schaffen“, so Weinberg.
## Zwang zur Unterschrift
Wird Erwachsenen in der Psychiatrie die Freiheit entzogen, muss dies ein
Gericht genehmigen. Bei Kindern reichte bislang die Zustimmung der Eltern,
entschied der Bundesgerichtshof 2013 im Fall eines autistischen Jungen. Die
Grünen im Bundestag stellten deshalb jüngst den Antrag, Kinder hier
Erwachsenen gleichzustellen. Auch die Fachverbände der Kinder- und
Jugendpsychiater forderten ihrerseits „Rechtssicherheit“ im Umgang mit
psychisch kranken Kindern.
Die Ärzte hatten Gelegenheit, ihren Standpunkt im Justizministerium
vorzutragen. Vertreter der Kinder- und Jugendhilfe wurden dagegen nicht
angehört, sie zeigen sich über den Gesetzentwurf überrascht.
„Es gab keine Fachdebatte“, klagt der frühere Abteilungsleiter der
Jugendhilfe in Hamburg, Wolfgang Hammer. Er lehnt die Änderung ab. „Was
hier als Kinderschutz gedacht ist, wird zum Einfallstor für Freiheitsentzug
als pädagogischem Mittel, wo immer Eltern und Einrichtungen sich
überfordert sehen.“ Hamburg habe gute Erfahrungen mit einer
„Koordinierungsstelle“ für „schwierige Fälle“ gemacht. Diese zeigten,…
es Alternativen zu geschlossenen Heimen gebe.
Friedhelm Peters vom Vorstand der Internationalen Gesellschaft für
erzieherische Hilfen (IGfH) in Frankfurt befürchtet, dass hier „eine höchst
problematische Praxis legitimiert wird“. Time-Out-Räume in Heimen seien
umstritten, sagt der Soziologe. „Und Fixierungen mit Gurten auf einer Liege
sind ein No-Go in der Jugendhilfe.“
Selbst der Bundesrat moniert, dem Gesetz fehle „die kinderrechtliche
Betrachtung. Das geht auf die Brandenburger Sozialministerin Diana Golze
(Linke) zurück. Die Linke im Bundestag versucht nun, eine Anhörung im
Rechtsausschuss durchzusetzen. Er bestehe die Gefahr, dass „dubiose Praxen
per Gerichtsbeschluss legalisiert werden“, sagt Familienpolitiker Jörn
Wunderlich. Man müsse die Konsequenzen „gründlichst analysieren“.
8 Mar 2017
## AUTOREN
Kaija Kutter
## TAGS
Kinderschutz
Freiheitsentzug
Heim
Jugendhilfe
Hamburg
Heimerziehung
Jugendhilfe
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Entschädigung
Kinderschutz
Kindeswohlgefährdung
Jugendheim Friesenhof
Pädagogik
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